© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

Emanzipation in Lederstiefeln
Von der Dissidentin zur Stichwortgeberin: Alice Schwarzer ist ihren Prämissen treu geblieben
Ellen Kositza

Wer hätte das gedacht“, schreibt ein Zeitgenosse in den Weiten der Netzforen freudig irritiert, „daß die lila Latzhosenträgerin Alice Schwarzer sich doch noch zu einem konservativen Vorposten mausert?“

Angeführt wird: Schwarzers vehementer Kampf gegen Islamismus, verschleierte Frauen und für ein Minarett-Verbot, ihr Eintreten für Angela Merkel, ihr Schlagabtausch mit dem Fäkal-Rapper Bushido und ihr Einwand, Pädophilie sei mitnichten eine „Erfindung“ der katholischen Kirche. Alice Schwarzer polemisierte dieses Jahr auch gegen die Einrichtung des – von Konservativen seit je beargwöhnten, von der frauenbewegten Linken gefeierten – Internationalen Frauentags am 8. März. Zuletzt wurde in der Emma, dem von Schwarzer seit nunmehr 33 Jahren verantworteten Frauenmagazin, gar auf vier dichtbedruckten Seiten ein Text aus dem als rechts geltenden Ares-Verlag präsentiert; eine Auseinandersetzung mit den Massenvergewaltigungen deutscher Frauen durch Sowjetsoldaten.

 An der Vorstellung, hier habe eine Alt-Achtundsechzigerin eine politische Kehrtwende vollzogen, stimmt nichts. Daß sie eine „68erin“ sei, trifft allenfalls ab Dezember dieses Jahres zu, da feiert Schwarzer ihren 68. Geburtstag. Geändert haben sich nicht die Waschmittel, in denen die Emma ihre Themen badet, verändert haben sich das Wasser sowie die Gestade, an denen die Wellen anbranden. Das ist das eigentlich Bedeutsame! Alice Schwarzer ist sich und ihren Prämissen über die Jahre treu geblieben. Beharrlich – man könnte es auch stur oder scheuklappenblind nennen – beackert sie ihr Feld. Über ihr publizistisches Kind namens Emma wacht sie als Mutterglucke. Halbgare Versuche, es anderen zur Betreuung anzuvertrauen, scheiterten unter öffentlichem Geheul. Einstige enge Mitstreiterinnen in Frauensachen (wie die spätere taz-Chefin Bascha Mika, die beizeiten von Schwarzer abgesägte Nachfolgerin in spe Lisa Ortgies und zahlreiche Ex-Mitarbeiterinnen) blicken im Zorn zurück auf die dominante Übermutter Schwarzer, die sie mit Begriffen aus der Tyrannen-Terminologie belegten.

Alice Schwarzer zählte nicht zum Kern der zweiten deutschen Frauenbewegung, die in den berühmten Latzhosen oder barbusig durch universitäre sit-ins ein neues Matriarchat gegen die Männerherrschaft heraufbeschwor. Als um 1968 die Parole der sexuell liberalisierten Kommunen Furore machte: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört zum Establishment“ (naturgemäß eine Männerzote), weilte die kaufmännisch ausgebildete Wuppertalerin als Studentin in Paris. Die Thesen der sexuellen Befreiung beargwöhnte sie da schon kritisch. Während die neuen Feministinnen Unisex-Klamotten, Latzhose und Parka, für sich entdeckten, kam Schwarzer im geblümten Kleid. „Ich war in meinen Kreisen immer die Unangepaßte, die Dissidentin“, sagt sie.

Legendär ist das 1975 im Fernsehen ausgestrahltes Streitgespräch zwischen Schwarzer und der Anti-Feministin Esther Vilar. Angetan mit Rock und hochhackigen Lederstiefeln personifizierte sie die aggressive Emanzipation, wie sie das breite Publikum seinerzeit noch nicht kannte – fauchend und ätzend.

Damals kochte innerhalb der emanzipatorischen Bewegung (Vilar war da außen vor) der Streit zwischen einem egalitären und einem differentialistischen Weiblichkeitsverständnis. Während die eine Seite, oft spirituell angehaucht, spezifisch weibliche Stärken und eine fraulich-andere „Sicht der Dinge“ stark machen wollte, argumentierten Binnengegnerinnen unter dem Verdikt der Gleichheit. Bis heute schlägt sich Alice Schwarzer (für die Leserschaft und den Fankreis markentechnisch forciert: die „Alice“) zu letzteren. Strikt plädiert sie „gegen jede Rollenzuweisung im Namen des biologischen Geschlechts“, denn „Geschlechterrollen engen Frauen wie Männer ein. Beide müssen sich davon befreien“.

Das ist, grob umrissen, der Ausgangspunkt jenes politischen Programms, das heute unter dem Schlagwort Gender Mainstreaming millionenschwer umgesetzt wird. Schwarzer ist auf keinen fahrenden Zug aufgesprungen, sie hat ihn mitangestoßen. Anders als das weibliche Heer von heute Tausenden Doktorandinnen und Beamten, die sich mit „Gleichstellung“ und Genderei ihr Brot verdienen dürfen, tat sie es gegen heftigste Widerstände. In den Siebzigern nannte sie die Bild (die heute längst Werbekampagnen mit Schwarzers Konterfei betrieb) „Hexe mit stechendem Blick“, der Süddeutschen galt sie als „frustrierte Tucke“, später schimpfte sie eine Illustrierte als „Miss Hängetitt“. Auch die Herzen des Publikum hatte Schwarzer damals längst nicht gewonnen, Leserbriefschreibern galt sie als „neurotische Kuh“ und dergleichen.

Ab 1971 griff die elternlos aufgewachsene Soziologie- und Psychologiestudentin zur Feder, bis heute verfaßte sie 21 Bücher; Bände, bei denen sie als Herausgeberin firmierte, nicht mitgezählt. Das Leitmotiv ihres vielfach übersetzten Bestsellers „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ (1975) hat sie seither vielfach variiert. Darin porträtierte sie vierzehn Frauen, deren Probleme bei aller Unterschiedlichkeit ein Fundament aufweisen: die Herrschaft der Männer.

Berühmt (und berüchtigt) war Schwarzer da schon einige Zeit. 1971 lancierte sie den Stern-Titel „Wir haben abgetrieben“. 374 Frauen – etliche Prominente wie Romy Schneider und Senta Berger darunter – bekannten sich unter Schwarzers Führung dazu, gegen geltendes Recht verstoßen zu haben und ihr ungewolltes Kind „weggemacht“ zu haben. O-Ton Schwarzer: „Mit dem neuen Unterdruckgerät, das wie ein Staubsauger arbeitet, ist der Eingriff innerhalb von zwei Minuten durchgeführt. Das Unterbrechen einer Schwangerschaft ist, medizinisch gesehen, geringfügiger als das Herausnehmen der Mandeln“.

Daß die Selbstbezichtigung wie in Schwarzers Fall eine vorgetäuschte war (sie habe es wenigstens in Gedanken dutzendmal getan, sagte sie später), sollte keine Rolle spielen. Ziel der Kampagne war ihr politischer Effekt. Und der saß. Längst können Frauen in Deutschland relativ sicher und weitgehend kostengünstig sich ihrer unerwünschte Brut auf dem Gynäkologenstuhl entledigen. Weltweit besteht Nachholbedarf, die Selbstbestimmung der Frau (frei nach Simone de Beauvoir, einer der Ikonen Alice Schwarzers) auf diesem Wege zu sichern – Emma bleibt dran.

Wer der Führerin persönlich öffentlich in die Quere kommt, wird gnadenlos niedergemacht. Während bei Schwarzer in allen anderen Fällen in dubio pro muliere gilt, so greift dieser Grundsatz nicht, wo sie selbst in einen Zickenkrieg involviert ist. So ging es einst Esther Vilar, so verfuhr sie 2001 mit Verona Feldbusch, 2006 mit Eva Herman (siehe Kasten auf dieser Seite) und später mit den Schwarzer-kritischen Postfeministinnen.

Über Schwarzers Kampagnenfähigkeit darf man staunen: Was sie je einforderte, und sei es zunächst von der Öffentlichkeit als noch so abstrus empfunden worden, ist mit zeitlicher Verzögerung mindestens debattenfähig, oft genug gar Gesetz geworden. Urzeiten vor Krippenoffensive und Ganztagsschulplänen forderte Schwarzer eine umfassende Betreuungslandschaft, lange vor dem Lebenspartnerschaftsgesetz machte sie sich für die Homo-Ehe stark. Den sogenannten Girls’ Day, der Mädchen in herkömmliche Männerberufe locken soll, initiierte Schwarzer ebenso, wie sie Jahrzehnte vor der Marktgängigkeit solcher Themen Pornographisierung, Frühsexualisierung und sexuellen Mißbrauch eindringlich bekämpfte. Seit 1979 befaßt sie sich, zunehmend verstärkt, mit der Gefahr des Islamismus. Selbst den heute boomenden Frauenfußball protegiert die Emma seit über zwanzig Jahren.

Zahlreiche Details – etwa die „Vatermonate“ im Erziehungsgeld, diverse Frauenquoten und Gleichstellungsnormen, spezielle Frauengesundheitsförderung –, die heute von der Ankunft des Feminismus im bundesdeutschen Alltag zeugen, mögen nicht eingleisig auf Schwarzers Wirkmächtigkeit zurückgehen. Doch sie hat dafür gesorgt, daß aus dem dürren, in vielfältigen Sprechweisen murmelnden Rinnsal der Frauenbewegung ein gewaltiger Fluß erwuchs, letztlich ein Strom, der Mainstream eben.

 

Denunziationskampagne

Nachdem Eva Herman 2006 in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift Cicero eine gesellschaftliche Wiederaufwertung von Müttern, die nicht berufstätig sind, gefordert hatte, startete Alice Schwarzer mit Hilfe ihrer Emma-Leserinnen eine Denunziationskampagne („sexistisches Elaborat“) gegen die damalige Tagesschau-Sprecherin und verlangte deren Entlassung. Hermans Thesen seien „eine Suada angesiedelt zwischen Steinzeitkeule und Mutterkreuz“, behauptete die Altfeministin.

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