© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/10 30. April 2010

Holpriger Start einer Wunderwaffe
Integration: Mit der Kür von Aygül Özkan zur Sozialminsterin in Niedersachsen versucht die CDU bei türkischstämmigen Wählern zu punkten
Michael Paulwitz

Der Coup geriet zum Fehlstart. Eben noch hatte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) stolz die erste muslimische Ministerin türkischer Abstammung präsentiert, da mußte er seine Wunderwaffe auch schon zurückpfeifen. Aygül Özkan, 38 Jahre alte Rechtsanwältin und bis vor kurzem noch Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete, forderte als designierte Sozial- und Integrationsministerin forsch, die christlichen Kreuze zusammen mit den Kopftüchern gleich mit aus den Klassenzimmern zu verbannen.

Sie habe diese Interviewäußerung „voreilig und ohne ausreichende Kenntnisse“ der Gesetzeslage im Land Niedersachsen gemacht, mußte sie schließlich auf Druck Wulffs und der Landes-CDU noch vor ihrer Wahl am Dienstag zurückrudern. Vorangegangen war ein heftiger Streit in der Union um die Relevanz des „C“ im Parteinamen.

Von Angela Merkel persönlich gefördert

SPD-Vize Klaus Wowereit liegt wohl nicht ganz falsch mit der Vermutung, die CDU sei „erschrocken, wen man sich da geholt hat“. Die Kontroverse offenbart das Dilemma der CDU, die in „rasanter Aufholjagd“ (Özkan) den enormen Vorsprung von SPD, Grünen und Linken in der Gunst wahlberechtigter Einwanderer wettmachen will. Union und FDP erreichen bei diesen laut einer Untersuchung des Berliner Instituts Data4you aus dem Jahr 2009 zusammen gerade mal elf Prozent. Deutschlandweit gibt es – nicht zuletzt dank der rot-grünen Einbürgerungspolitik – bis zu 700.000 türkischstämmige Wähler; in Nordrhein-Westfalen schätzt man die Zahl der Wahlberechtigten mit Einwanderungsgeschichte auf 15 Prozent oder zwei Millionen.

Ein Migrationshintergrund wirkt in der CDU derzeit deshalb als Karriereturbo. Özkan war erst vor sechs Jahren in die Partei eingetreten, vor zwei Jahren erhielt sie einen garantierten sicheren Listenplatz ohne Kampfabstimmung, wurde wirtschaftspolitische Sprecherin der Bürgerschaftsfraktion und rückte sogleich in den Hamburger CDU-Landesvorstand auf. Angela Merkel persönlich soll ihren Aufstieg gefördert haben.

Wulff hat sich mit dieser Personalie nicht nur für Bundesaufgaben in der neuen CDU empfohlen, sondern auch ein Wahlsignal nach NRW gesandt. Die SPD habe die Türkeistämmigen jahrzehntelang nur mit „Kuschelrhetorik“ getröstet, „echten Aufstieg in ein hohes Staatsamt gibt es nur mit der CDU“, nahm Integrationsminister Armin Laschet den Ball auf. Grünen-Chef Cem Özdemir, dem der Migrantenbonus vor Jahren eine ähnlich steile Karriere verschafft hat, wie sie derzeit Özkan hinlegt, hieb gegenüber der türkischen Zeitung Milliyet in dieselbe Kerbe: Es gebe nur „zwei Parteien in Deutschland, die sich ernsthaft für die Migranten“ einsetzten: Grüne und CDU. Özkans Ernennung ist damit auch ein starkes schwarz-grünes Signal vor der Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland.

Im Wettlauf um den Titel der besten Migrantenversteherpartei ist die CDU bei der Behebung ihres „lebensgefährlichen Migrantenmangels“ (Welt) nicht eben wählerisch. Der von Laschet unterstützte Kölner CDU-Kandidat Efkan Kara liegt mit anderen Mitgliedern des Deutsch-Türkischen Forums der CDU (DTF) in der Domstadt im Dauerkonflikt, man bezichtigt sich wechselseitig als PKK-Sympathisant oder Anhänger der rechtsextremistischen Grauen Wölfe. Auch die Nähe etlicher DTF-Mitglieder zu staatsgesteuerten oder islamistischen türkischen Verbänden sorgt für Streit. In Teilen des DTF arbeitet man mit den vom Verfassungsschutz beobachteten Grauen Wölfen munter zusammen; mancher spricht schon von Unterwanderung. Der Kölner CDU-Chef und Landtagsabgeordnete Jürgen Hollstein machte einem ihrer Kulturzentren bereits die Aufwartung. Rückendeckung gibt eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, die statt zum Kampf gegen Rechts zur „politstrategischen“ Zusammenarbeit mit den Wölfen rät; redigiert wurde die Studie von einem Mitarbeiter des DTF-Vorsitzenden.

Das 1997 in NRW gegründete und 2008 deutschlandweit ausgedehnte DTF zählt zwar nur einige hundert Mitglieder, ist aber einflußreich. Die Forderung seines Vorsitzenden Bülent Arslan nach einem Kurswechsel als Konsequenz aus der Wahlniederlage Roland Kochs im Januar 2008 wurde faktisch erfüllt. Arslan, der sich der Urheberschaft des Programmschlagworts „Integrationsland“ rühmt, hatte damals schon Wulff als Vorbild hingestellt und betont, bei Migrantenanteilen in den Großstädten von über 40 Prozent der unter Zehnjährigen dürfe die CDU in Einwanderungsfragen nicht mehr „polarisieren“, wenn sie noch Mehrheiten gewinnen wolle.

Während also SPD-Chef Sigmar Gabriel kürzlich auf Moscheetour ging und das uneingeschränkte Ausländerwahlrecht forderte und SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft sich in NRW für den Doppelpaß stark macht und mit einer Türkin in ihrem Schattenkabinett lockt, fordert CDU-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann „mehr Migranten in den Landesministerien“, schmeichelt Laschet türkischstämmigen CDU-Leuten mit dem Vorschlag, Migranten eine „Prämie zum Bleiben“ zu zahlen, verlangt Aygül Özkan noch vor Amtsantritt „mehr Richter mit Migrationshintergrund“.

Özkan tritt zudem ebenso wie die Berliner Abgeordnete Emine Demirbüken, seit 2004 Mitglied im CDU-Bundesvorstand, im Widerspruch zur Parteilinie für eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei ein. Kaum verwunderlich also, daß die türkische Presse sie zu ihrer Ernennung begeistert als „unsere Ministerin“ feierte.

Foto: Aygül Özkan am Dienstag auf dem Weg zu ihrer Vereidigung: „Erschrocken, wen man sich da geholt hat“

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