© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/10 30. April 2010

Heißer Kampf um die Rohstoffströme
Geopolitischer Brennpunkt Afghanistan: Mit ihrem Krieg am Hindukusch geraten die USA ins Hintertreffen / China füllt das Vakuum
Michael Wiesberg

Diese Art von „Arbeitsteilung“ hatten die Amerikaner mit Sicherheit nicht im Sinn, als sie ihre Feldzüge gegen den Irak und Afghanistan starteten. Während sie nun Hunderte von Milliarden Dollar aufwenden müssen, um al-Qaida und die Taliban zu bekämpfen, sind die Chinesen dabei, den „Mehrwert“ abzuschöpfen.

„Die Supermacht dieser Welt ist auf Sicherheit fokussiert“, merkte zum Beispiel der China-Experte der New York Times, Michael Wines, in einem Beitrag  bitter an, „während sich der am schnellsten aufsteigende Konkurrent auf den Handel konzentriert“. Ähnlich sieht es S. Frederick Starr, Gründer und Leiter des privaten, der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore angeschlossenen Think Tank Central Asia-Caucasus Institute, der anmerkte, man könne sich nur wundern, daß die Nato und Wa­shington die „Vorbereitung der ökonomischen Durchdringung Afghanistans durch China“ unbeantwortet ließen. „Wir schüttelten die Bäume“, so Starr, „und sie sammeln die Früchte auf.“

Washington wird von gewieften Chinesen düpiert

Die USA drohen auf den geostrategisch so wichtigen Schauplätzen Irak und Afghanistan von den Chinesen düpiert zu werden. Für sie ist das um so ärgerlicher, als sich gerade abzeichnet, daß Afghanistan neben seiner geostrategisch exponierten Lage ein überraschend rohstoffreiches Land ist.

Dies geht unter anderem aus Berichten der Forschungsbehörde U.S. Geological Survey hervor, die 2007 Lagerstätten in Afghanistan erfaßte und feststellte, daß das Land über umfangreiche Mineralvorkommen wie Eisen, Schwefel, Nickel, Kupfer, Quecksilber, Gold, Silber bis hin zu seltenen Metallen, die für die Elektronik von Bedeutung sind, verfügt. Aber auch hier sind die Chinesen bereits am Zug. So sicherte sich der chinesische Staatskonzern Metallurgical Construction Corporation (MCC) vor drei Jahren die Förderrechte für die Aynak-Mine, eine der wichtigsten Kupferminen der Welt.

Und schon rangeln chinesische und indische Firmen um die Schürfrechte der Hajigak-Mine im zentralafghanischen Bamyan, wo qualitativ hochwertiges Eisenerz vermutet wird. Ähnliches ereignet sich im Irak, wo der chinesische Mineralölkonzern CNPC (China National Petroleum Corporation) in Kooperation mit BP die Förderrechte für das gewaltige Ölfeld Rumaila ersteigerte. CNPC erhielt überdies – in Kooperation mit den Mineralölkonzernen Petronas (Malaysia) und Total (Frankreich) – die Förderrechte für das Ölfeld Halfaya.

Warum die Amerikaner mehr und mehr ins Hintertreffen geraten, ließ Nurzaman Stanikzai, der als Mudschaheddin gegen die Sowjets kämpfte und heute im Auftrag von MCC arbeitet, in einem Gespräch mit Michael Wines durchblicken: „Die Chinesen sind viel gewiefter. Wenn sie mit örtlichen Vertretern sprechen, tragen sie Zivilkleidung und sind sehr freundlich. Die Amerikaner sind nicht so gewieft. Wenn Sie herkommen, tragen sie Uniformen und ihre Gewehre und sind weniger freundlich.“

Trotz aller Euphorie über die Bodenschätze sollte nicht übersehen werden, daß Afghanistan noch weit davon entfernt ist, ein Exportland zu werden. Das kann sich allerdings aufgrund des wirtschaftlichen Potentials und seiner geostrategischen Lage bald ändern.

In diesem Kontext ist die entstehende „neue Seidenstraße“ zu nennen; hier hoffe Afghanistan, sich als Transitstrecke zwischen Zentral- und Südasien positionieren zu können, wie es Friederike Böge in einem Beitrag für die FAZ ausdrückte. Dabei arbeitet der pakistanisch-indische „Hafenwettstreit“, so Böge, Afghanistan in die Hände. Indien hat sich beim Ausbau des iranischen Hafens Chabahar (Gulf of Oman) engagiert, Pakistan mit chinesischer Unterstützung den Hafen Gwadar (Arabischen Meer) ausbauen lassen. Die damit einhergehenden neuen Verbindungsstraßen haben indes den Nachteil, unsicher zu sein; Überfälle und Wegelagereien in Form von Schutzzöllen prägen derzeit das Bild.

Von nicht unerheblicher Bedeutung für die weitere Entwicklung Afghanistans könnte auch die Realisierung der längst geplanten Gas-Pipeline zwischen Turkmenistan, wo die größten Gasreserven der Welt vermutet werden, und Pakistan und Indien werden. Sie soll, genauso wie eine mögliche Öl-Pipeline von Turkmenistan nach Gwadar, Afghanistan durchlaufen, was dem Land erhebliche Transitgebühren einbrächte.

 An der Umsetzung dieses Projekts, das eine wichtige energiestrategische Erweiterung des komplexen zentralasiatischen Pipeline-Netzes darstellen würde, hat naturgemäß auch China ein großes Interesse, vor allem weil die zentralasiatischen Staaten damit direkt Südasien und vor allem China beliefern könnten.

Nach dem Willen der USA, die zeitweise sogar Anstalten machten, sich mit den Taliban als „Stabilitätsfaktor“ zu arrangieren, sollte die Gas-Pipeline bereits in den 1990er Jahren durch den US-Konzern Unolocal gebaut werden; inbesondere die Regierung Clinton setzte sich für das Projekt ein.

Die Idee für diese Pipeline entwickelte ursprünglich das argentinische Ölunternehmen Bridas, das sich in der Folge einer starken Konkurrenz von Unolocal gegenübersah. Bridas konnte dessenungeachtet mit Turkmenistan und Pakistan einen Vertrag über den Bau einer derartigen Pipeline abzuschließen. Unocal konterte 1995 mit in einer Vorvereinbarung mit den Taliban, und zwar ein Jahr, bevor diese Kabul eroberten. Bridas gelang es 1996 dennoch, die Zustimmung aller Kriegsparteien in Afghanistan, einschließlich den Taliban, zu erhalten.

Durch gezielte Lobbyarbeit und starkem politischen Druck konnten aber Pakistan und Turkmenistan dazu gebracht werden, Unolocal den Zuschlag zu erteilen. Zur Realisierung des Projekts sollte es indes dennoch nicht kommen, weil Unolocal vor allem aufgrund des öffentlichen Drucks, der sich in den USA gegen die Taliban entwickelte, die Pipeline-Pläne aufgab.

Luftschläge gegen zivile Ziele verstärken Antipathien

Jetzt wird den Amerikanern durch das Auftreten der Chinesen sogar noch die Kontrolle über die Rohstoffströme in Zentralasien streitig gemacht; bis heute ein dominantes Motiv der US-Außenpolitik. Die chinesischen Ambitionen haben auf US-Seite ein lebhaftes Nachdenken über mögliche Gegenstrategien ausgelöst.

So urteilt zum Beispiel Subhash Kapila, ein politischer Berater, der auf Süd­asien spezialisiert ist, in seiner Studie „Afghanistan and Pakistan: Comparative Analysis“ (April 2009), daß im Hinblick auf eine zukünftige Eindämmungspolitik Chinas afghanische Luftwaffenstützpunkte bessere Perspektiven böten als pakistanische; vorausgesetzt, die Amerikaner blieben in Afghanistan. Diese Stützpunkte hätten überdies den Vorzug einer strategischen Abdeckung des Luftraums der zentralasiatischen Republiken und des Mittleren Ostens. Kapila wendet sich mit Vehemenz gegen die neue amerikanische „Af-Pak-Blaupause“, die Afghanistan und Pakistan als eine geostrategische und geopolitische Einheit betrachtet. Falls dem wirklich so wäre, hätten die Amerikaner in den letzten 20 Jahren nicht zweimal in Afghanistan interveniert, betont Kapila und streicht heraus, daß die Mehrheit der Pakistanis, und zwar auch in der pakistanischen Armee, antiamerikanisch eingestellt sei.

Die USA, so Kapila, überschätzten Pakistans geostrategische Bedeutung. Angesichts seiner mächtigeren Nachbarn und seiner Sicherheitsprobleme im Inneren sei dessen „strategische Tiefe“ begrenzt. Zudem würde Pakistan im Zweifelsfall wohl für China optieren, wenn es vor der Entscheidung stünde, ob es eher die USA oder China strategisch unterstützen solle. Interessant sei Pakistan einzig im Falle einer möglichen Eindämmungspolitik gegenüber Indien; daß eine derartige Politik notwendig werden könnte, sei aber sehr unwahrscheinlich.

Die von Kapila konzidierte Amerika-Freundlichkeit der Afghanen hat sich in den letzten Jahren indes erheblich abgekühlt, was nicht zuletzt durch die letzten Nato- und US-kritischen Äußerungen des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai zum Ausdruck kam, der zunehmend versucht, das Image einer „US-Marionette“ abzulegen.

Einer der besten Afghanistan-Kenner Deutschlands, der Journalist Christoph R. Hörstel, macht in seinem Buch „Sprengsatz Afghanistan“ (2007) für diese Abkühlung und die damit einhergehende Wiedererstarkung der Taliban vor allem die US-Luftwaffendoktrin verantwortlich, die er eng mit dem Namen des US-Luftwaffengenerals John A. Warden verbunden sieht. Warden kam in seinem Buch „Battlefield of the Future“ (1995) zu dem Ergebnis, daß die Bekämpfung der militärischen Truppen eines Feindes nicht primäres Ziel eines Krieges sein könne. Vielmehr müsse es darum gehen, ihm „unerträgliche Kosten aufzuerlegen und ihn strategisch oder operationell zu lähmen“.

Dazu gehört auch die Bekämpfung von Zielen, die für die Zivilbevölkerung lebensnotwendig sind. Wardens Ideen fanden Eingang in die US-Luftkriegsdoktrin und trugen nach der Überzeugung von Hörstel mit dazu bei, daß es in Afghanistan überproportional viele zivile Tote aufgrund von US-Luftschlägen gab. Nicht zuletzt deshalb seien die Taliban wieder erstarkt, die überdies als „gut bezahlender „Arbeitgeber“ (Böge) – aus welchen Quellen sich deren finanzielle Mittel auch speisen mögen – weiter an Boden gewinnen.

Der mit aller Härte ausgebrochene „asymmetrische Krieg“ mit den Taliban ist also zu einem gewissen Maß von den Amerikanern mitverschuldet, was zum Beispiel der CDU-Abgeordnete Willy Wimmer bereits im März 2007 in aller Deutlichkeit in einem Interview mit dem Magazin Der Selbständige unterstrich: „Die Amerikaner haben sich ihre Bedrohung selbst geschaffen. Und der politische Anspruch, den ich in diesem Zusammenhang sehe, ist der, daß mir das Leben deutscher Soldaten zu schade ist, um für die Fehler der Verbündeten aufs Spiel gesetzt zu werden.“

Foto: Die neue Turkmenistan-Iran-Gaspipeline: Während zwischen Aschgabat und Teheran die Geschäfte florieren, versinken die Öl- und Gaspläne der USA im Kriegsgeschehen

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