© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/10 30. April 2010

Ein ideales Paar
Leipzig: Neue Räume für die Mattheuer-Stiftung eröffnet
Sebastian Hennig

Im Hochparterre des Gründerzeit-Eckhauses auf der Leipziger Hauptmannstraße eröffnete am Sonnabend die Ursula-Mattheuer-Neustädt-und Wolfgang-Mattheuer-Stiftung neue Räume. Bald waren die prächtigen Zimmer – im ersten liegt eine von dem Bildhauer Karl Heinz Appelt abgeformte bronzene Totenmaske Mattheuers – mit hohen stukkierten Decken und weiten Flügeltüren mit Besuchern gefüllt. Das Vokalquartett De Morales aus aktiven und ehemaligen Thomanern rahmte die Eröffnung. Feierlich, statisch, ewig schön ertönte die Musik von Josquin de Prez aus den Jünglingskehlen.

Die gewichtigsten Bilder Wolfgang Mattheuers (1927–2004) haben wahrscheinlich alle einen Käufer gefunden (und damit ja auch indirekt die Stiftung ermöglicht) – was aus Stiftungsbesitz an Nachlaßwerken ausgestellt wird, ist keine Blütenlese: Zeichnung, Grafik, Gelegenheitsbilder und Kleinplastik. Anders verhält es sich mit den weniger bekannten Zeichnungen und Lithographien von Ursula Mattheuer-Neustädt. Vor allem ihre Landschaften, Porträts ihres Mannes und andere Naturstudien bestechen durch einen unverkrampft- sachlichen Zugang zum Gegenstand. Während ihr Mann scheinbar alles nach dekorativem Potential auswertete, gibt sie sich unbefangen dem Schauen hin und beglückt damit auch den Betrachter, so zum Beispiel mit einer Kugelschreiber-Landschaft von Rügen (1973), der Bleistiftzeichnung „Dunstiger Tag am Lago Maggiore“ (1987) und einer „Mallorca-Küste“ (1993).

Eine vierfache Vergrößerung der Bronzeplastik „Jahrhundertschritt“ soll noch dieses Jahr in Berlin aufgestellt werden. Ein Druckgrafikwerkverzeichnis erscheint in Chemnitz. Und die Stiftung will zukünftig im Zweijahresrhythmus einen Preis für gegenständliche Bildkunst an junge Künstler vergeben. Der Galerist Karl Schwind ist Geschäftsführer der Stiftung, die Ursula Mattheuer-Neustädt nach dem Tod ihres Mannes gründete. Er verweist darauf, daß im Haus auf der Hauptmannstraße neben den Mattheuers auch Werner Tübke und Bernhard Heisig wohnten und malten, und betont zugleich, daß dieses Triumvirat nicht durch Gemeinsamkeiten geeint war, sondern durch das, was sie von den anderen trennte. Der Lobbyist für seine Künstler mahnt einen Flügel als Dauerausstellung im Leipziger Museum für Bildende Künste an, damit japanische und amerikanische Touristen dort vor Ort „strong German art“ bestaunen können. Die Druckgrafik wurde durch eine Schenkung des Stiftungsmitgliedes Hartmut Koch bereits in den Kunstsammlungen Chemnitz plaziert. Das Leipziger Museum wäre wohl gar nicht auf die Werke der Stiftung angewiesen, zumal die DDR-Bestände des Schokoladen-Königs Ludwig Stück für Stück zurückfluten nach Leipzig. Kulturdezernent Michael Faber beginnt sein Referat: „Lieber Herr Schwind, Sie dürfen versichert sein, daß wir an dieser Thematik schon arbeiten.“ Ob das Ergebnis im Sinne der Stiftung ausfällt – wer weiß.

Zum Abschluß und am unverkrampftesten spricht der Kunsthistoriker Heinz Schönemann, bis zu seiner Pensionierung Denkmalpfleger bei den Staatlichen Schlössern und Gärten in Potsdam. In seiner Zeit als Direktor der Kunstsammlung in Halle bewirkte er den ersten Museumsankauf eines Mattheuer-Bildes und später von Potsdam aus, sozusagen nebenbei, organisiert er eine große und wichtige Ausstellung des Künstlers in Leipzig. Im Seemann-Verlag erschien eine Monographie, und 2004 hielt er die Grabrede für den Verstorbenen.

Schönemann zeigt sich unzufrieden mit seinen Vorrednern, warnt vor der leichtfertigen Verwendung des Begriffes „Leipziger Schule“ und schlägt vor, in Betracht zu ziehen, was das Miteinanderleben der beiden Künstler jeweils für den Fortgang des Werkes bedeutet haben mag. Er spricht davon, daß „Wirkungen hinterlassen als ideales Paar ein Wesentliches der Mattheuerschen Kunst“ gewesen sei, und fordert auf, darüber nachzudenken – auch in anderen Lebensbeziehungen, nicht nur wenn beide der gleichen Profession nachgehen.

Das ist allerdings sehr bedenkenswert. Die Schicksalslosigkeit des armseligen Wohlstands gefährdet heute die Gemeinsamkeit von Mann und Frau. In der Kompliziertheit eines Künstlerlebens kann sie beispielhaft einfach werden, wenn man durchhält. Das haben beide getan.

Mit Bezug auf den Ausspruch des Bildhauers Schadow, den er tat, als er bei der Gestaltung des Grabmals für die Königin Luise in Charlottenburg zugunsten seines Schülers Christian Daniel Rauch übergangen wurde, „Mein Ruhm ist in Rauch aufgegangen“, hofft Schönemann, mit sarkastischem Seitenblick auf den derzeit berühmtesten lebenden Leipziger Maler, daß die Bestrebungen der Leipziger Maler nicht in Rauch aufgehen mögen. Die Sänger finden zum Schluß mit Johann Sebastian Bach die richtige Einstellung dazu: „Wer den lieben Gott läßt walten …“.

Ursula Mattheuer-Neustädt und Wolfgang Mattheuer Stiftung, Hauptmannstraße 1, Leipzig, Telefon: 03 41 / 9 83 31 86 oder 03 41 / 2 30 73 95, E-Post: stiftung.umn-wm@t-online.de ; Internet: www.mattheuer-stiftung.de  (im Aufbau)

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