© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/10 30. April 2010

Spaß und Politik: Von der Biertrinker-Union zur ominösen Partei zur Elitenförderung
Lebendige Demokratie
Volker König

Wenn die Bürger an Rhein und Ruhr am 9. Mai zur Wahl schreiten, haben sie die Qual der Wahl zwischen 25 Parteien – eine neue Rekordzahl. Lebendige Demokratie, könnte man meinen. Neben den Altparteien tummelt sich eine bunte Fülle kleiner Parteien voller Ernsthaftigkeit und mit tollen Kürzeln: BGD (Bund für Gesamtdeutschland), BIG (Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit) oder FBI (Freie-Bürger-Initiative) – mal freibeuterisch unter der Flagge der Piraten oder einfach nur violett. Die Frage ist nur: Wo hört der Ernst auf, und wo beginnt der Ulk?

Richtige Ulkparteien sucht man auf dem Stimmzettel – auf den ersten Blick jedenfalls – vergebens. Auch der Wahlkampf läuft so dröge, daß man schon froh sein kann, wenn sich wenigstens CDU-Chef Jürgen Rüttgers markig für die Förderung des deutschen Volksliedes einsetzt.

„Gangsta-Rapper“ Bushido fällt erst einmal aus

Schmäh à la „Strache-Rap“, mit dem der FPÖ-Vorsitzende bei den letzten österreichischen Nationalratswahlen die Jugend an die Wahlurnen trieb, traut man einem biederen Christ- oder Sozialdemokraten ohnehin nicht zu.

Dabei ist die hohe „Rap“-Kunst schon lange nicht mehr von der Politik zu trennen. Zumindest wenn es darum geht, die „Kids“ für den Urnengang zu begeistern. Ist nicht „Rüpel-Rapper“ Sido mit seiner TV-Sendung „Sido geht wählen“ knapp am Grimme-Preis 2010 vorbeigeschrappt? Oder trat nicht „Gangsta-Rapper“ Bushido noch im Februar vor die Mikrofone und kokettierte, er wolle eine eigene Partei gründen?

Doch Bushidos Kinofilm „Zeiten ändern dich“ konnte die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Der Streifen kam nur mit Ach und Krach über die 500.000-Zuschauer-Marke. Nachdem der Rapper nun auch noch aufgrund von Urheberrechtsverletzungen vom Hamburger Landgericht zu 63.000 Euro Strafe verurteilt wurde, ist seine Politikarriere erst einmal beendet.

So bleibt in NRW nur „Die Partei“ (Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative) von Martin Sonneborn.

Der Ex-Chefredakteur des Satiremagazins Titanic ist der einzige echte Paradiesvogel auf dem Stimmzettel und hält das Fähnlein der Ulkparteien hoch: „Wir fordern Dekadenzgutscheine für alle Hartz-IV-Empfänger“, „Mehr Geld für alle (in NRW)“.

Sonneborn tummelte sich bei früheren Wahlen bisweilen auch schon mit Karl Nagel, dem Gründer der Anarchistischen Pogopartei Deutschlands (APPD; „Asoziale an die Macht“), die mit ihrem geschmacklosen Drogen-TV-Werbespot zur Bundestagswahl 2005 immerhin den damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse aus der Fassung brachte. 4.233 Wähler sprangen dennoch auf den asozialen Wahn an.

Nach dem Wahlsieg Neuwahlen erzwingen

Bewußt satirische oder bizarre Parteien sind nichts Neues. Die erste der skurrilen Parteien, die in Deutschland zu Wahlen antrat, war die „Union nicht genug überdachten Lächelns trotz innerer Genialität“ (UngüLtiG). Sie präsentierte sich 1982 zur hessischen Landtagswahl und konnte drei Jahre später bei der Kommunalwahl in Frankfurt am Main stolz feststellen, daß sie mit 736 Stimmen (0,2 Prozent) immerhin deutlich vor der medial stark unterstützten linksliberalen FDP-Abspaltung Liberale Demokraten lag.

Vergleichsweise bieder wirkte die Deutsche Biertrinkerunion (DBU), die bei den ersten Landtagswahlen in den neuen Bundesländern im Herbst 1990 antrat. Handgemalte Plakate vermittelten mit einem humpenschwingenden Strichmännchen und dem Slogan „Was wählst Du? – DBU!“ schlicht die bierselige Botschaft der Liste, die es  auf 31.000 Stimmen und in Rostock sogar zu einem Ratsmandat brachte.

Unverblümt direkt nannte sich eine Liste „Spaßpartei Deutschlands“, die 2002 bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt stattliche 0,7 Prozent der Stimmen verbuchte.

Die Heimat skurriler Ulkparteien ist übrigens der angelsächsische Raum. Prototyp seit vielen Jahrzehnten die Monster Raving Loony Party (www.omrlp.com) in Großbritannien. Eine ihrer Forderungen: Hundefutter sollten fluoreszierende Stoffe beigemischt werden, damit man im Dunklen die Kothaufen auf der Straße sehen kann.

Was aber, wenn so eine Partei jemals ins Parlament gewählt wird? Da gibt es auch ein Vorbild: die „Parti Rhinocéros“ im kanadischen Quebec. Diese Gruppierung errang bei den Parlamentswahlen 1980 über 110.000 Stimmen und stellte in zwei Wahlkreisen sogar den zweitplazierten Direktkandidaten. Erschrocken über solch unerwarteten Zuspruch erklärte die Gruppe, daß sie im Falle ihres Wahlsieges sich sofort auflösen und Neuwahlen erzwingen wolle.

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