© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

Sitzblockade in Berlin
Thierses 1. Mai
von Marcus Schmidt

Wahrscheinlich glaubt Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse tatsächlich, daß er etwas Gutes getan hat, daß es richtig war, sich am 1. Mai als Inhaber eines der höchsten Staatsämter gegen das Gesetz zu stellen und eine friedliche, ordnungsgemäß angemeldete und nicht verbotene Demonstration zu blockieren. Wahrscheinlich glaubt er auch wirklich, daß es mutig und couragiert war, sich – umringt und geschützt von unzähligen Polizisten und Tausenden Gegendemonstranten – einigen hundert gesellschaftlich Geächteten „Autonomen Nationalisten“ in den Weg zu setzen und ihnen das vom Grundgesetz garantierte Demonstrationsrecht streitig zu machen.

Später, als Steine und Flaschen auf Polizisten flogen, als Linksextremisten (von denen viele zuvor gemeinsam mit Thierse gegen die „Nazis“ protestiert hatten) ihren abgrundtiefen Haß auf den Staat, den der Bundestagsvizepräsident repräsentiert, hemmungslos und auf Kosten der Gesundheit und des Lebens anderer auslebten, war Thierse wahrscheinlich schon zu Hause. Es ist jedenfalls nicht überliefert, daß er sich der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“, aus der heraus sich die üblichen Straßenschlachten entwickelten, in den Weg gestellt hat, daß er ihr entschlossen entgegengetreten ist und „Gesicht“ gezeigt hat. Wahrscheinlich denkt Wolfgang Thierse, daß er an diesem Tag alles richtig gemacht hat.

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