© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

„Die Euro-Zone wird zerfallen“
Er warnte, klagte und versuchte den Euro politisch abzuwenden. Manfred Brunner sagte die Krise voraus
Moritz Schwarz

Herr Brunner, eigentlich muß Deutschland jetzt aus der Euro-Währungsunion austreten. Warum?

Brunner: Das Bundesverfassungsgericht stellt sich im Euro-Teil des Maastricht-Urteils von 1993 die Frage, müssen wir den Euro verbieten, weil diese Währung instabil wird und weil sie zu zukünftigen weiteren finanzpolitischen Zugeständnissen zwingt? Es gibt dann die Antwort: Für ein Verbot sind diese Befürchtungen heute zu wenig greifbar. Aber wir binden Bundesregierung und Parlament an das vertraglich Zugesicherte und die vereinbarten konkreten Verfahrensschritte. Zum Beispiel an das Verbot, für Verbindlichkeiten anderer Mitgliedsstaaten einzutreten. Dann folgt das Wort vom Austritt aus der EU als letzte Konsequenz.

Dieses Urteil hat Deutschland Ihnen zu verdanken. Sie hatten die Klage gegen den Vertrag von Maastricht angestrengt.

Brunner: Ja, das stimmt. Aber die Frage ist doch, warum diese harte Haltung des Gerichts? Eine Währungsunion mit Finanzausgleich führt bei den Geberländern zu Verschuldung, die ohne Inflation und höhere Steuern nicht bewältigt werden kann. Hinzu kommt – und hier muß man das Maastricht-Urteil mit Peter Gauweilers Lissabon-Urteil als zwei Kapitel einer Einheit lesen –, daß eine Transfer-Währungsunion systemnotwendig eine einheitliche europäische Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik nach sich zieht und damit Deutschland den Kernbereich seiner Staatlichkeit verliert. Einen Transfer-Euroraum muß Deutschland also verlassen.

Und wird es jetzt so kommen?

Brunner: Ich kann keine Anzeichen dafür erkennen.

Warum nicht, wenn die Politik per Bundesverfassungsgericht eigentlich dazu verpflichtet ist?

Brunner: Der Titel des Gesetzes gibt schon die Antwort: „Gesetz zur Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage für die Übernahme von Gewährleistungen im Zusammenhang mit Notmaßnahmen zum Erhalt der für die Stabilität der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit“. Die vertragliche Zusicherung soll also gebrochen werden, um das Ziel der Zusicherung erreichen zu können. Man fürchtet das Maastricht-Urteil, möchte aber gerne das Verfassungsgericht an der Nase herumführen. Das kommt mir so lächerlich vor, als wolle man der Römischen Rota einen Scheidungsantrag mit der Überschrift „Gemeinsames Eheversprechen“ vorlegen und vermuten, ein seniler Gerichtsprälat werde entzückt zustimmen.

Was wäre heute anders, wenn Sie damals in Karlsruhe gewonnen hätten?

Brunner: Wir bekamen immerhin eine verfassungskonforme Auslegung des Vertrages. Damit wurden dem Vertrag mit seiner Tendenz zur deutschen Entstaatlichung Giftzähne gezogen, genauso wie früher – auf die Klage von Franz Josef Strauß – eine verfassungskonforme Auslegung des deutsch-deutschen Grundlagenvertrags von 1972 den Weg zu einer akzeptierten deutschen Teilung verbaute. Hätten wir ganz gewonnen, wäre die EU weniger zentralistisch und der Euro wäre nicht eingeführt worden.

Hat sich bei Ihnen schon der eine oder andere gemeldet und sich entschuldigt, zum Beispiel Theo Waigel oder Horst Köhler?

Brunner: Nein.

Warum nicht?

Brunner: Das wäre doch eher unüblich.

Der heutige Bundespräsident Köhler hat damals versprochen, die Währungsunion werde „kein Riesenumverteilungsrad, das da gedreht wird“. Doch heute plädiert er unverblümt für umfangreiche Griechenland-Hilfe. Macht Sie das nicht wütend?

Brunner: Nein, aber bisweilen grummeln rechthaberische Gedanken in mir.

Köhler warf damals Warnern wie Ihnen vor, auf „sträfliche Art und Weise Angstmache zu betreiben“. Meinen Sie wirklich nicht, daß da nun eine Entschuldigung angebracht wäre?

Brunner: Das Problem war nicht der damalige Finanzstaatssekretär Köhler, sondern Helmut Kohl, der Deutschland in einer zentralen Frage seiner Nachkriegsgeschichte die staatsbürgerliche Diskussion verwehrte und durch den Zustand von Medien und Politik auch verwehren konnte. Es ging ja nicht nur um meine Auffassung, die tabuisiert wurde. Wo war schon zu lesen, daß zum Beispiel Willy Brandt kritisierte, mit Sicherheit liege falsch, wer meine, den Deutschen mittels europäischer Integration zu einem Ersatzvaterland zu verhelfen? Nicht der Nationalstaat schlechthin, sondern der NS-Staat habe in einer Katastrophe gemündet. Wann diskutierte der Bundestag den Satz Ralf Dahrendorfs, es sei lebensgefährlich, den Nationalstaat zu demontieren, er allein garantiere Bürgerrechte und Bürgerfreiheit?

Sie haben nicht nur in Karlsruhe geklagt, sondern 1994 sogar eine Partei gegründet, um die D-Mark zu retten, den Bund Freier Bürger (BFB). Die aber rasch als „antieuropäisch“, gar als „rechtspopulistisch“ verunglimpft wurde.

Brunner: Diese Totschlagargumente sind meistens ein sicheres Indiz, daß der Angegriffene recht hat.

Bei der Europawahl 1994 scheiterte der BFB jedoch mit 1,1 Prozent, bei der Bundestagswahl 1998 mit 0,2 Prozent. Warum?

Brunner: Eine argumentative Vernunftpartei hätte eine öffentliche Diskussion gebraucht, und bloße Protestpartei wollten wir nicht sein. Auch erschien die heute ersichtliche Gefahr zu weit entfernt.

Warum war sie dennoch absehbar?

Brunner: Die JUNGE FREIHEIT hat sie ja auch erkannt und damals vor Einführung des Euro schon kritischen Ökonomen Raum gegeben, die erst heute in den Talkshows auftreten dürfen. Absehbar war es, weil die Leistungskraft, die Mentalität und die politische Kultur der einzelnen Mitgliedsländer für eine Einheitswährung zu unterschiedlich ist. Staaten, die sich fiskalisch nur behaupten konnten, weil sie ihre Währungen immer wieder abgewertet haben, kann man nicht mit Hartwährungsländern zusammenspannen. Nun gibt es drei Möglichkeiten: Erstens, die gemeinsame Währung bleibt hart, dann wird das die schwachen Länder wie Griechenland überfordern. Zweitens, der Euro wird abgewertet, um die Schwachen zu retten, dann aber bekommen Staaten wie wir Inflation. Drittens, man beginnt mit Transfer-Hilfen die Schwachen zu stützen, das heißt, der Steuerzahler zahlt die Zeche. Das Problem ist, daß Lösung eins darauf hinausläuft, daß erst Griechenland und später andere Schwache den Euro verlassen müssen. Lösung zwei und drei laufen darauf hinaus, daß Deutschland den Euro verläßt, weil es durch das Maastricht-Urteil dazu verpflichtet ist, um seine Bürger zu schützen. In jedem Fall zerfällt die Währungsunion.

Aber das tut sie eben nicht, Deutschland bleibt und zahlt.

Brunner: Damit kann man den Zerfall nur verzögern. Was die Politik jetzt tut, hilft keinem wirklich und schadet letztlich allen. Auch Griechenland und all jenen, die mit einer Rückkehr zur eigenen Währung durch Abwertungsschritte und Gläubigerbeteiligung neu beginnen könnten – sowohl fiskalisch als auch strukturell.

Warum handelt die Politik dann anders?

Brunner: Der Euro war gedacht als Einstieg in die faktische Staatlichkeit Europas. Er ist immer noch ein ideologisches Projekt, das zu verlassen den Vorwurf des Nationalismus nach sich zieht. Viele Politiker lähmt das. Interessanterweise gibt es auch eine spezifische Feigheit der Mächtigen.

Sie waren von 1989 bis 1992 selbst hochrangiger EU-Beamter – damals hieß es noch EG – etwa Kabinettschef des EG-Kommissars für den Binnenmarkt, Martin Bangemann.

Brunner: Ich habe es selbst erlebt. In der EU verbinden sich zwei ideologische internationalistische Stränge, nämlich ein International-Sozialismus und der International-Kapitalismus. Dieser Internationalismus hat ein Interesse an dem schon von Trotzki formulierten Gebot der „permanenten Revolution“. Deshalb muß es auch jetzt im alten Sinne weitergehen.

Man kann Griechenland nicht aus dem Euro ausschließen, weil dies im Euro-Vertragswerk nicht vorgesehen ist. Aber warum gibt es keine solche Rückversicherung?

Brunner: Nachdem in der Geschichte bislang jede Währungsunion zerbrochen ist, sollte es nun heißen: Den Euro in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.

Griechenland hat beim Euro-Beitritt seine Zahlen gefälscht. Sind unsere Politiker also doch unschuldig, weil arglos getäuscht?

Brunner: Die Zahlen mancher Länder wurden in Brüssel – je nach Temperament – mit einem fernen Blick oder einem feinen Lächeln oder mit Augenrollen quittiert.

Die avisierte Griechenland-Hilfe stellt, wie Sie dargelegt haben, einen Bruch des Bundesverfassungsurteils von 1993 dar.

Brunner: Ja. Das Gericht sagt, sollte die Währungsstabilität nicht durch die im Vertrag festgelegten Schritte fortentwickelt werden können, so würde die vertragliche Konzeption und das deutsche Zustimmungsgesetz verlassen: Unsere Mitgliedschaft hat dann keine Rechtsgrundlage mehr. Die Grenze des von Verfassungs wegen Erlaubten ist überschritten. Die Frage wird sein, ob dies durch den Bundestagsbeschluß zur Griechenland-Hilfe geheilt ist.

Dann sind wir mit Merkels Griechenland-Hilfe also beim Artikel 20 des Grundgesetzes, nach dem „gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, alle Deutschen das Recht zum Widerstand (haben), wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“?

Brunner: Wenn die verfassungsmäßige Ordnung als solche beseitigt werden soll. Und selbst dann ist der Weg zu einem doch recht wehrhaften Bundesverfassungsgericht immer noch eine andere Abhilfe im Sinne Ihres Verfassungszitats.

Der Betrug geht weiter, denn nicht nur Karlsruhe verbietet die Griechenland-Hilfe im Grunde, laut Umfrage ist die überwiegende Mehrheit der Deutschen dagegen. Berlin kümmert das aber offenbar nicht.

Brunner: Ich glaube, eigentlich wären die starken EU-Staaten inzwischen sogar bereit, Griechenland zu entlassen, aber was sie nicht fallenlassen wollen, ist das internationale Finanzsystem. Denn im Grunde steckt hinter der Euro-Krise dessen Krise.

Inwiefern?

Brunner: Das internationale Finanzsystem ist inzwischen eine einzige Blase, die irgendwann platzt. Immer wieder, ob bei der Bankenkrise 2008 oder eben jetzt, versucht man, diesen Moment hinauszuschieben, in dem man den Steuerzahler zur Kasse bittet. Aber früher oder später wird eine Situation eintreten, die nicht mehr durch Finanzgarantien zu retten ist.

Wann kommt der große Kladderadatsch?

Brunner: Meistens sterben Ideologien schlagartig. So wird es wohl auch hier sein.

Was passiert mit dem Euro, wenn immer mehr Staaten sich entschließen auszutreten?

Brunner: Wirklich spannend wird es, wenn Frankreich unter Druck gerät. Darüber flüstert man bisher nur, aber tatsächlich ist auch Paris ein Krisenkandidat und könnte früher, als wir denken, unter Abwertungsdruck geraten. Und: Der Schutz des ländlichen Raums Frankreichs, eines verteidigungswürdigen Teils Europas, und die Idee der Globalisierung vertragen sich nicht.

Frankreich und Deutschland sind die EU-Kernstaaten – ist nicht jedes Projekt, aus dem einer der beiden aussteigt, tot?

Brunner: Im Grunde war und ist nach der Theorie des optimalen Währungsraums nur eine Währungsunion zwischen Deutschland, den Beneluxstaaten, Österreich mit Slowenien und Finnland überlebensfähig. Eine solche Währungsunion würde aber als von Deutschland dominiert betrachtet werden und ist deshalb politisch undenkbar. Die Ironie ist hier, daß die politische Währungsunion nicht funktioniert und die funktionierende Währungsunion politisch nicht sein kann.

 

Manfred Brunner war der erste prominente Euro-Kritiker in Deutschland. Bis 1989 FDP-Landesvorsitzender in Bayern und danach Kabinettschef des EG-Kommissars Martin Bangeman, wußte er aus erster Hand um die tatsächlichen Risiken einer europäischen Währungsunion. So gab Brunner 1992 seine sichere Karriere in Brüssel auf, um gegen den Vertrag von Maastricht zu klagen, der die Weichen in Richtung Euro stellte. Das Bundesverfassungsgericht ignorierte jedoch damals noch seine Einwände. Erst beim Lissabon-Urteil Peter Gauweilers 2009 folgte es einer Argumentation, wie sie schon Brunner angeführt hatte. Beide Klagen waren von dem Nürnberger Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider ausgearbeitet worden. Nach dem Mißerfolg in Karlsruhe gründete Brunner 1993 die konservativ-liberale Bürgersammlung Bund Freier Bürger (BFB), um die Einführung des Euro politisch zu verhindern. Nach zwei zermürbenden Wahlkämpfen – der BFB wurde von vielen Medien und Politikern rasch als „europafeindlich“ und „rechtspopulistisch“ dargestellt – und Mißerfolgen bei der Europawahl 1994 sowie der Bundestagswahl 1998 zog sich Brunner aus der Politik zurück. Heute lebt er, 1947 in München geboren, als Rechtsanwalt in seiner Vaterstadt.

 

Maastricht-Urteil: Manfred Brunner erwirkte 1993 im Zuge seiner Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Maastricht die Bedingung einer Währungsstabilitäts-Politik als Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit der Euro-Währungsunion. Dank dieses Urteils steht also fest, daß Deutschland im Falle einer „Weichwährungs“-Politik der EZB den Euro verlassen muß.

 

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