© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

Zitterpartie für den Arbeiterführer
Wahl in Nordrhein-Westfalen I: Vor dem Urnengang am Sonntag liefern sich Schwarz-Gelb und Rot-Grün ein Kopf-an-Kopf-Rennen
Ansgar Lange

Wenige Tage vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl am 9. Mai setzt das große Zittern und Bangen an Rhein und Ruhr ein. Das Rennen um die Macht in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland scheint völlig offen. Jüngsten Umfragen zufolge liefern sich Schwarz-Gelb und Rot-Grün ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap ermittelte in der vergangenen Woche für die CDU 37,5 Prozent und für die SPD 33 Prozent. Die jeweiligen Wunschkoalitionspartner der großen Parteien, FDP und Grüne, kommen auf 7,5 beziehungsweise 12 Prozent. Beide Lager liegen demnach mit 45 Prozent gleichauf.   

Linkspartei liegt über der Fünf-Prozent-Hürde

Mit dieser Entwicklung hätte niemand gerechnet. Noch bis vor kurzem trauten selbst Genossen der ziemlich blassen und konturenlosen SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft einen Erfolg nicht zu. Mittlerweile wird sie von einigen Journalisten bereits mit Angela Merkel verglichen. Kraft werde genauso wie einst die heutige Bundeskanzlerin total unterschätzt. Das mag sein. Aber eine noch größere Übereinstimmung springt ins Auge: Kraft und Merkel gleichen dem sprichwörtlichen Pudding, den man nur schwer an die Wand nageln kann. Programmatisch bietet die SPD-Frau wenig.

Am auffälligsten ist noch ihr Herumgeeiere, wenn es um mögliche Koalitionen mit der Linkspartei geht. Die Linke sei weder „regierungs- noch koalitionsfähig“, läßt die frühere Unternehmensberaterin verlauten. Doch nicht wenige beschleicht der Verdacht, daß sie wie einst Andrea Ypsilanti in Hessen sofort zu einem Bündnis mit der Linkspartei bereit wäre, um Jürgen Rüttgers aus der Düsseldorfer Staatskanzlei zu vertreiben. Laut Umfragen wird die Linkspartei am Sonntag den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen.

Angesichts des sich abzeichnenden Patts scheint es derzeit ausgeschlossen, daß Hannelore Kraft ohne die Linkspartei zur Ministerpräsidentin gewählt werden könnte. Die SPD-Rechte in NRW votiert daher für eine Große Koalition. „Mit diesen Chaoten kann man nicht 18 Millionen Menschen regieren. Es wäre besser, wenn wir ein Bündnis mit der Linken klar ausschließen“, sagte Ex-Fraktionschef Friedhelm Farthmann. Hätte sich die SPD-Frontfrau zu einer solch klaren Aussage selber durchgerungen, hätte sie vielleicht bei der „konservativen“ Industriearbeiterschaft und bei Gewerkschaftern ein paar ordentliche Prozentpunkte zulegen können.

Inhaltlich hatte der Landtagswahlkampf dagegen wenig zu bieten. Es war viel die Rede von den Sorgen und Nöten der Alleinerziehenden. Die Interessen der steuerzahlenden Mittelschicht und des Mittelstandes scheinen nur noch die FDP zu interessieren, während die anderen sich einen Kampf um die Gunst der sogenannten „Randgruppen“ liefern. Insbesondere mit den Migranten möchte es sich keine Partei mehr verscherzen, da immerhin zwei Millionen Eingebürgerte  in NRW wählen dürfen. An vorderster Front steht dabei Integrationsminister Armin Laschet, bei dem man schon genau hinschauen muß, um ihn nicht mit einem Grünen zu verwechseln.

Wegen vermeintlicher Skandale und Jahre zurückliegender „Finanzaffären“ der Landes-CDU – der Spiegel präsentierte in dieser Woche passend zur heißen Wahlkampfphase neue Vorwürfe – gelang es Rüttgers und Co. eigentlich zu keinem Zeitpunkt, die eigene Leistungsbilanz der vergangenen fünf Jahre nach fast vier Dekaden SPD-Filz in den Fokus zu rücken. Daß sich einige Christdemokraten mit Emphase für ein Bündnis mit den Grünen stark machen, erschließt sich zumindest nicht, wenn man sich die Parteiprogramme anschaut. Die Union hält beispielsweise weiter am gegliederten Schulsystem fest. Die Grünen wollen die Gemeinschaftsschule bis zum Ende der Pflichtschulzeit. Die CDU möchte an den Studiengebühren festhalten, während die Grünen sie abschaffen wollen. Auch bei den Themen Soziales, Energie/Umwelt und Finanzen passen beide Programme zumindest auf dem Papier überhaupt nicht zueinander. Und während die CDU zumindest im Wahlkampf von „Null Toleranz gegenüber Gewalt“ spricht, sperren sich die Grünen gegen polizeiliche Videoüberwachung. Sie wollen die Rasterfahndung abschaffen und  Haftstrafen weitgehend durch gezielte Resozialisierung vermeiden. Dennoch haben die CDU-Wahlkampfstrategen sich alle Mühe gegeben, sich die schwarz-grüne Option für den Tag nach der Landtagswahl offenzuhalten.

Die FDP, die auch in NRW weit davon entfernt ist, wieder ein stärker nationalliberales Profil zu entwickeln und hier in eine Lücke zu stoßen, die die Union bei der Räumung konservativer Positionen hinterlassen hat, hat sich jedenfalls kurz vor der Wahl auf ein „Weiter so“ mit der christlich-liberalen Koalition festgelegt: „Wir werden keine Koalition mit Parteien eingehen, die Bündnisse mit rechtsextremen oder linksextremen Parteien nicht eindeutig ausschließen.“ Diese Aussage macht eine Koalition mit den Wackelkandidaten SPD und Grünen unmöglich.

Pragmatischer geben sich die Grünen wenige Tage vor der Wahl, die auch ein erstes wichtiges Zwischenzeugnis für Schwarz-Gelb in Berlin ausstellen wird: „Wir werden jede mögliche Regierungsbildung daran messen, wie viel grüne Politik sich in einer Koalition umsetzen läßt.“ Auffallend bleibt, daß der „Arbeiterführer“ Jürgen Rüttgers auch noch nach fünf Jahren Amtszeit spröde und steif wirkt. Anders als einst bei Johannes Rau werden viele im Land mit ihm nicht so „richtig warm“.

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