© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

Verpaßte Chancen im „großen Spiel“
Kasachstan: Der „Schneeleopard Zentralasiens“ wartet auf mehr deutsche Investitionen / China baut seine Position gezielt aus
Michael Paulwitz

In der Kirgistan-Krise hat sich die Nachbarrepublik Kasachstan als regionale Führungsmacht und Stabilitätsanker in Zentralasien profiliert: Der von Kasachstan eingefädelte Exilgang des gestürzten kirgisischen Präsidenten Bakijew nahm den Großmächten die Sorge vor einem Bürgerkrieg. Sichtbarer Ausdruck der geostrategischen Schlüsselrolle des Landes ist der Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), den Kasachstan achtzehn Jahre nach der Unabhängigkeit von Moskau in diesem Jahr als erste ehemalige Sowjetrepublik innehat.

Kasachstan, wegen seines Wappentieres „Schneeleopard Zentralasiens“ genannt, gilt als der stabilste und höchstentwickelte Staat der Region: Islamischer Fundamentalismus wie in Usbekistan und soziale Unruhen wie bei den ethnisch eng verwandten Kirgisen sind ebenso unbekannt wie turkmenischer Bizarr-Stalinismus oder tadschikische Bürgerkriegsszenarien.

Bodenschätze sind Kasachstans größter Trumpf. Erdöl, Erdgas, Uran, Steinkohle, Eisenerz oder Edelmetall – es gibt fast nichts, das die kasachische Erde nicht hergibt. Für Präsident Nursultan Nasarbajew, der das Land seit 1991 regiert, ist die Modernisierung und Diversifizierung der stark auf den Rohstoffsektor ausgerichteten Wirtschaft ein „Schlüssel zum Erfolg“ und strategisches Hauptziel des nächsten Jahrzehnts. Investiert werden soll insbesondere in die verarbeitende Industrie und in die Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur.

Im geopolitischen Kraftfeld mächtiger Nachbarn und globaler Interessen hat Kasachstan seine Unabhängigkeit geschickt behauptet. Ging es zunächst darum, in der Neuauflage des „großen Spiels“ um die Vormachtstellung in Zentralasien die Distanz zwischen den ölhungrigen USA und der ehemaligen Kolonialmacht, den noch immer ein Drittel der Bevölkerung ausmachenden Russen, zu wahren, baut in den letzten Jahren vor allem China seine Position in der Region gezielt aus. Peking investiert massiv  in direkte Ölleitungen über die Grenze. Diesen wachsenden Einfluß versucht Kasachstan wiederum auszutarieren, unter anderem durch eine jüngst abgeschlossene Zollunion mit Rußland, dessen Hegemoniebestrebungen mit dem Führungsanspruch Kasachstans gegenüber den anderen zentralasiatischen Republiken konkurrieren.

Im Kräftefeld zwischen Moskau, Washington und Peking wünscht man sich in Astana ein stärkeres Engagement Deutschlands und deutscher Investoren. Die Bedingungen scheinen günstig: Kasachstan benötigt dringend, was Deutschland am besten liefern kann; im Maschinenbau etwa liegt die Importquote bei 85 Prozent. Das Land weist konstante Handelsbilanzüberschüsse aus und wird aufgrund seines Rohstoffreichtums auch künftig liquide sein. Es hat eine gut ausgebildete Bevölkerung, deren Akademiker- und Alphabetisierungsquote auf dem Niveau westlicher Industriestaaten liegt.

Dennoch ist der deutsche Anteil an den kasachischen Importen trotz leicht gestiegener Handelsumsätze seit 2002 von neun auf sechs Prozent gesunken; der chinesische hat sich dagegen von  neun auf 24 Prozent fast verdreifacht. Auch bei den Importen aus Kasachstan (Erdöl, Erdgas) hat China Deutschland inzwischen überholt.

„Deutschland muß die Augen öffnen“, sagt deshalb Beybut Atamkulov, Generalkonsul der Republik Kasachstan. Deutschland müsse den Wert Kasachstans als Markt und Industriestandort erkennen, um nicht von China abgehängt zu werden. Klagen über bürokratische Schwierigkeiten läßt er nicht gelten. Kasachstan bietet ein Tor zum chinesischen Markt, ohne Investoren weitreichende Technologietransfers abzunötigen wie das Reich der Mitte.

Belastet wurde der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zuletzt allerdings durch die Folgen der Finanzkrise. Kasachstans Banken hatten Auslandsschulden in Höhe eines ganzen Jahresbruttoinlandsprodukts aufgetürmt und waren nach dem Platzen der Immobilienblase unter Druck geraten. Die kasachische Regierung lehnte es ab, private Banken auf Staats- und Steuerzahlerkosten endlos zu stützen, so daß deren Gläubiger empfindliche Abschreibungen auf ihre Forderungen hinnehmen mußten.

Das betraf indes nicht nur Spekulanten, sondern auch ausländische Investoren und mittelbar die Bundesregierung; Hermes-Bürgschaften über rund 800 Millionen Euro drohten fällig zu werden. Während der Bundeswirtschaftsminister Staatsgarantien im Gegenzug für eine Stundung der Kredittilgungen fordert, lehnt die kasachische Regierung jedes weitere Bankenrettungsprogramm strikt ab und verweist auf China, das nach der Finanzkrise seine Dollarschatulle geöffnet habe, um die Geschäfte mit den zentralasiatischen Staaten mit Milliardenspritzen wieder in Gang zu bringen. Die rasche Beilegung dieses Streits liegt zweifellos im beiderseitigen Interesse.

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