© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

Angriff auf die Wall Street
Finanzmarkt: Die US-Bösenaufsicht nimmt die Geschäfte von Goldman Sachs unter die Lupe / Obama-Regierung für strengere Regulierung
Elliot Neaman

Wenn die Ebbe kommt, sehen alle, wer nackt geschwommen ist“: So beschrieb der Finanzguru Warren Buffet die Folgen einer geplatzten Finanzblase. Nach dem Börsencrash von 2008 hat die Ebbe nun begonnen, und mit ihr ein langer Prozeß der Abrechnung mit den nun nackt dastehenden Zockern, die die Wirtschaftswelt dicht an den Abgrund gebracht haben. Die jüngst von der US-Finanzaufsichtsbehörde SEC gegen die Investmentbank Goldman Sachs erhobenen Betrugsvorwürfe dürften ein Schlüsselkapitel in der Chronik dieser Abrechnung bilden.

So kompliziert und esoterisch die Finanzinstrumente, die solche Verheerungen verursacht haben, dem Laien erscheinen mögen, sind die Ursachen der Krise im Grunde gar nicht schwer zu verstehen. Nach dem Platzen der IT-Blase 2001 senkte die US-Notenbank die Zinsen, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Anhaltende Niedrigzinsen führten dazu, daß Anleger ihr Geld auf dem Immobilienmarkt statt in Aktien investierten. Zugleich liberalisierten die Banken ihre Standards bei der Kreditvergabe – sowohl aus wirtschaftlichen Gründen als auch, weil sie von der Politik dazu angehalten wurden –, so daß es auch Käufern mit geringer Kreditwürdigkeit einfach gemacht wurde, eine Hypothek zu bekommen und Immobilienbesitz zu erwerben. Der Immobilienboom von 2002 bis 2007 riß selbst erfahrene Investoren mit, die es eigentlich hätten besser wissen müssen.

Vielen Wirtschaftsexperten und Investoren war klar, daß die Immobilienpreise allzu steil in die Höhe geklettert waren. Doch gingen sie davon aus, daß der zu erwartende Preissturz nur eine Minderheit treffen würde, die sich finanziell übernommen hatte. Das Neue an dieser Blase waren jedoch die riskanten Sub-prime-Kredite, die als Schuldverschreibungen gebündelt an der Wall Street gehandelt wurden.

Solche Spekulationsgeschäfte waren zwar versichert; das Abstürzen des Immobilienmarkts führte aber zu einer allgemeinen Panik, bei der die Versicherungskonzerne ungeheure Verluste erlitten. In einem Domino-Effekt erreichte die Krise zunächst die Investmentbanken, dann Versicherungskonzerne und Rating-Agenturen, bevor sie sich weltweit ausbreitete und die globale Wirtschaftsordnung als solche zum Einsturz zu bringen drohte. Die vermeintlich unkomplizierten Derivate erwiesen sich als Massenvernichtungswaffen.

Bislang wurden in der Regel Vergleiche geschlossen

Goldman Sachs wird nun vorgeworfen, Anlegern „entscheidende“ Informationen über ein solches Risikogeschäft vorenthalten zu haben. Dabei geht es um eine Spekulation auf ein Bündel von etwa 500 Hypotheken, das in 90 Schuldverschreibungen aufgeteilt wurde. Die SEC behauptet, Goldman Sachs habe einen Hedge-Fonds-Makler namens John Paulsen die in dem Paket enthaltenen Hypotheken handverlesen und dann eine Milliarde US-Dollar darauf setzen lassen, daß es bei sinkenden Immobilienpreisen an Wert verlieren würde. Das andere Ende der Wette hielten Anleger, denen Paulsen Versicherungszahlungen leistete, solange die Hypotheken abgezahlt wurden. Als die Schuldner reihenweise zahlungsunfähig wurden, strich Paulsen hohe Gewinne ein. Zu den zwei größten Verlierern zählte die IKB Deutsche Industriebank. Die SEC fordert nun, Paulsens Rolle bei dem Geschäft hätte vollständig offengelegt werden müssen.

Auf den ersten Blick hat die SEC mit ihrer Klage kaum Erfolgsaussichten. Schließlich handelte es sich nur um ein kleines Nebengeschäft. Goldman Sachs erhielt 15 Millionen Dollar für die Schaffung des betreffenden Finanzinstruments und verlor letztlich selber 100 Millionen Dollar daran. Wenn es sich also tatsächlich um Betrug handelte, war es Selbstbetrug! Auf ihrem Höhepunkt bestand die Finanzblase zudem aus Zehntausenden derartiger Spekulationsgeschäfte. Die bei diesem risikoreichen Spiel mitmachten, waren keine naiven Toren, sondern gewitzte Anleger, die seine Regeln hätten kennen müssen. Und selbst die Millionen von Hausbesitzern, die darauf setzten, daß der Marktaufschwung ihnen helfen würde, Hypotheken abzubezahlen, die sie sich eigentlich nicht leisten konnten, hatten sich wissentlich auf eine gefährliche Zockerei eingelassen.

In der Regel kommen Zivilklagen gegen große Finanzkonzerne wie Goldman Sachs (JF 12/10) gar nicht vor Gericht. Wenn Goldman Sachs sich nun nicht auf einen Vergleich mit der in solchen Fällen üblichen Geldstrafe einlassen will, ist das ein Hinweis darauf, daß es hier nicht nur um Geld geht, sondern um den guten Namen des 1869 gegründeten Finanzhauses. Spätestens seit dem Börsengang 1999 gilt GS als Magnet für die talentiertesten Finanzjongleure, von denen viele später in hohe Regierungsämter überwechseln. Dieser Ruf als Goldstandard im Investmentgeschäft steht nun auf dem Spiel.

Die Strafanzeige, mit der die SEC vergangene Woche zusätzlich drohte, scheint erst recht zum Scheitern verurteilt, denn dazu müßte dem Konzern eine verbrecherische Absicht nachgewiesen werden. Gegen diese Beschuldigungen kann GS sich mit dem Argument verteidigen, derartige Geschäfte seien in der Finanzwelt alltäglich. Selbst wenn bekannt gewesen wäre, daß Paulsen an der Zusammenstellung des Derivate-Bündels beteiligt war, hätten sich Anleger davon vermutlich kaum abschrecken lassen. Schließlich hatte der vollkommen unbekannte Hedge-Fonds-Manager jahrelang bei Immobilienspekulationen Geld verloren – und dabei wäre es wohl auch geblieben, wäre der Hypothekenmarkt nicht implodiert.

Nur Neid der Konkurrenten auf eine erfolgreiche Firma?

SEC-Chefin Mary Schapiro verwahrt sich dagegen, daß die Klage gegen Goldman Sachs politisch motiviert sei. Fest steht jedoch, daß sie in einer Atmosphäre offenen Mißtrauens gegenüber der Wall Street erhoben wurde – günstige Bedingungen für die von der Obama-Regierung und der demokratischen Kongreßfraktion geplanten Reformen im Bankwesen. Neben sinnvollen Maßnahmen wie der Forderung nach mehr Transparenz im Handel von Derivaten zählen dazu auch unsinnige bzw. kontraproduktive Vorhaben wie hohe Steuern für Banken oder ein Verbot von Derivaten (die dann auf weitaus weniger regulierten Märkten im Ausland gehandelt würden). Nur etwa drei Prozent des Derivate-Marktes sind reine Spekulationsgeschäfte, die darauf abzielen, von zukünftigen Preisbewegungen zu profitieren. Bei der großen Mehrheit handelt es sich um altbewährte Absicherungen gegen Währungs- und Preisschwankungen. Ursprünglich wurden Derivate vor über dreihundert Jahren erfunden, um zur Erntezeit Festpreise für Agrarerzeugnisse zu gewährleisten.

Diejenigen, die derzeit wilde Vorwürfe gegen die Wall Street als eine Art Riesen­casino erheben, haben zumeist wenig Ahnung von den komplexen Mechanismen, nach denen Märkte funktionieren. Ähnlich wie Nietzsche die Wurzeln des Christentums in einem Sklavenaufstand gegen die Weltmacht Rom sah, beruht der Antikapitalismus auf politischem Ressentiment und äußert sich immer dann besonders vehement, wenn eine Periode finanzieller Sorglosigkeit in Tränen endet. Heute wird gerne vergessen, daß die Hausbesitzer wie die Banken sich über ihre vermeintlichen Profite freuten, solange der Markt sich stetig nach oben bewegte. Das Eigenheim wurde als Inbegriff des „Amerikanischen Traums“ von Staats wegen kräftig gefördert.

Goldman Sachs war eine der wenigen Wall-Street-Firmen, die den Kollaps des Immobilienmarkts schon 2006 voraussahen und sich erfolgreich dagegen abzusichern begannen. Ebendieser Erfolg wird ihnen nun zum Vorwurf gemacht. Ein russisches Sprichwort bringt es auf den Punkt: Die höchsten Ähren werden als erste niedergemäht.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

Foto: CNN-Moderator Richard Quest berichtet von der Wall Street: Goldman Sachs hat die Finanzkrise vorausgesehen und unsichere Investments an andere weitergereicht

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen