© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/10 07. Mai 2010

Pankraz,
die Imitation und der giftige Kugelfisch

Eine ziemlich spektakuläre Lehre verbreitet der bekannte indisch-amerikanische Managementforscher Oded Shenkar. Nicht die Schöpfer und Ideenhaber, sondern die „Imitatoren“ seien der eigentliche Motor des Fortschritts, schreibt er in seinem Buch „Copycats“ (Harvard Business Press 2009). Schöpfer und Ideenhaber seien für die Gesellschaft letztlich nur zu ertragen, wenn sie in die Hände von Imitatoren gerieten, die aus den Schöpfungen erst etwas wirklich Nützliches und Verwertbares machten.

Wohlgemerkt, Shenkar will keine Breche schlagen für die sich ausbreitende Klau- und Räubermentalität. Er ist ein pingeliger Industrieberater, der kapitalistische Firmen bei der Gewinnmaximierung berät und sich dabei haargenau an die staatlichen Gesetze hält. Gerade deshalb warnt er die Unternehmensleitungen davor, stürmische Kreativbolzen einzustellen und hoch zu bezahlen – das bringe am Ende nur Verluste. Viel fruchtbringender seien Kopierer, Nachahmer, Auswerter, eben Imitatoren.

Im Gegensatz zu dem weitgehend intuitiven, schwer logifizierbaren Schöpfertum könne Imitation durchaus gelernt und gelehrt werden. Es komme darauf an, feste Regeln für eine Kunst des guten Imitierens zu entwickeln. Zitat Shenkar: „Wichtig für die Unternehmen ist eine Kunst des guten Kopierens. Wissenschaftler, die die Dynamik sozialer Systeme modellieren, haben herausgefunden, daß die Frage, wie man kopiert und wann, den entscheidenden Unterschied macht zwischen demjenigen, der seine Konkurrenten überholt, und demjenigen, der als ungeschickter ‘Raubkopierer’ abgehängt und vielleicht sogat zur Rechenschaft gezogen wird.“

How Smart Companies Use Imitation to Gain a Strategic Edge“, lautet der Untertitel von Shenkars Buch, zu deutsch etwa: „Wie smarte Unternehmen durch Imitation einen strategischen Vorsprung erringen können“. Titel und obiges Zitat könnten den Verdacht nahelegen, als ginge es um nichts weiter als um die Überlistung des Patentamts. Die ungeschickten Imitatoren werden als Raubkopierer belangt, die smarten hingegen haben die ursprüngliche Schöpfung schlauerweise so weit verändert, daß ihr Produkt vor jedem Patentamt als „eigenständig“ bestehen kann.

Der genuine Erfinder erscheint hier lediglich als Trüffelschwein, das man, wenn überhaupt, mit einigen Brocken abspeist, während die smarten Unternehmen mit seiner Schöpfung Millionengewinne machen, und zwar dank ihrer festangestellten Berufs-Imitatoren. Diese Konstellation ist nicht neu und auch nicht  auf die Industrie im engeren Sinne beschränkt. An den Universitäten, in den Medien, in der Literatur – überall hocken dicke Klumpen von unkreativen Platzhaltern, die vampirgleich darauf warten, daß einer mal etwas herauskriegt. Dann stürzen sie sich auf ihn und saugen ihn aus, hauen ihn übers Ohr, als hießen sie alle Hegemann.

Bereits in die Witzblätter eingegangen ist die tragikomische Figur des kreativen Manuskript-Anbieters in der Sparte Fernsehspiel. Die angeschriebenen Redakteure schicken ihm sein Manuskript umgehend zurück, indem sie als Gründe für die Ablehnung „Unausgereiftheit“ oder „Lebensferne“ usw. angeben. Doch gleichzeitig haben sie eine Kopie der Einsendung angefertigt, die sie nun schlau benutzen, um als gewiefte Vollprofis, recte: Imitatoren, eine eigene, „mediengerechte“ Fassung anzufertigen und auf die Kanäle zu bringen. Der Profit geht natürlich an sie, nicht an den Ideenhaber.

Aber das Buch von Shenkar erschöpft sich keinesweg in der Beschreibung und im Lobpreis solch schnöder Geschäftspraktiken. Vielmehr sucht es zu zeigen, daß den Schöpfern recht geschieht, daß es gewissermaßen ihr Schicksal ist, übers Ohr gehauen zu werden, und daß das zum Wohle der Menschheit geschieht. Und Shenkar hat ansehnliche Argumente für seine Auffassung. Die Lektüre seines Buches hinterläßt einen Stachel im Fleisch aller Erfinder.

Sind Schöpfer wirklich nur eine Art Kugelfisch, ein japanischer Fugu, im Naturzustand hochgiftig, im Kochzustand jedoch, von schlauen Verwertern aufbereitet, eine Delikatesse, eine Kulturleistung allerersten Ranges? Es gibt ja hochelaborierte Theorien, zum Beispiel von Kant, die das schöpferische Genie nicht unter Kultur, sondern unter Natur abheften: „Das Genie schafft wie Natur.“ Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zu den „gelehrten Kopier-Künstlern“ (Shenkar), die den „nur“ naturhaften Lavastrom wahren Schöpfertums in „eigentliche Kultur“ verwandeln, völlig ohne Gewissensbisse.

Oder hat man doch ein schlechtes Gewissen? Hin und wieder kommt ein originärer Erfinder dazu, seine Schöpfungen tatsächlich selber auszuwerten und so gleichsam zum kulturellen Imitator seiner selbst zu werden, sogar in der von Oded Shenkar & Co. beratenen Industrie. Sein Fall wird dann von den Medien wie ein seltener Skalp herumgereicht und brüllend gefeiert, so wie man einen Lottokönig feiert oder eine Oma, die in ihrem Gärtchen einen Schatz aus der Römerzeit gefunden hat. Wenn das kein schlechtes Gewissen ist!

Jeder weiß doch: Ohne Natur keine Kultur, ohne schöpferische Genies keine Imitatoren, keine Kopierkünstler, keine Auswerter. Die einzig akzeptierbare, faire Reaktion auf Bücher wie Shenkars wäre eine kräftige Aufwertung des Schöpfertums im öffentlichen Bewußtsein, wobei der wirklich Kreative natürlich sorgfältig vom bloßen Bohemien der Kreativität, von Maulhelden, Windmachern und Möglichkeitsbolzen, abzuheben wäre. „Schöpferische Milieus“ à la Prenzlauer Berg gibt es nicht; wahre Kreativität entfaltet sich am besten in kargen Arbeitsklausen.

Medien und Managerzirkel, welche kreative Talente lauthals feiern, wenn diese einmal den „Aufstieg“ in den Imitatoren-Status geschafft haben, machen sich lächerlich. Notwendig wäre eine starke reale, auch finanzielle Hinwendung zu den Schöpfern, auch wenn das auf Kosten von Imitatorengehältern geschehen müßte.

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