© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/10 14. Mai 2010

Die Enteigneten sollen enteignet bleiben
Politische Verfolgung in der SBZ und DDR: Wie Wiedergutmachung immer noch möglich ist und zur Vermögensrückgabe führt
Klaus Peter Krause

Seit der deutschen Wiedervereinigung verlangen viele Opfer politischer Verfolgung durch die Kommunisten in der einstigen Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) Wiedergutmachung des damals erlittenen schweren Unrechts – die meisten bisher vergebens. Aber sie müssen noch immer nicht aufgeben. Das trifft gerade auf die von der sowjetischen Besatzungsmacht Verfolgten zu, die zu Unrecht verurteilt worden sind, und zwar durch die damaligen Sowjetischen Militärgerichte, Militärtribunale (SMT) oder durch außergerichtliche Sowjetstellen, wie etwa die Spionageabwehrabteilung der Roten Armee 1945 bis 1949 in der SBZ und bis 1953 auch in der nachfolgenden DDR.  Die russische Bezeichnung für die Verfolgung ist „politische Repression“.

Schon im Oktober 2009 hatte die Dokumentationsstelle Stiftung Sächsische Gedenkstätten in Dresden mitgeteilt, die russische Militär-Oberstaatsanwaltschaft in Moskau habe die damaligen Urteile gegen 10.091 Deutsche überprüft. Dabei habe sich ergeben, daß die weitaus meisten Urteile (über 90 Prozent dieser Fälle) rechtswidrig gewesen seien und die Staatsanwaltschaft die Opfer daher rehabilitiert habe.

An sich wird nur auf Antrag rehabilitiert. Aber haben die Angehörigen und Erben eines Opfers einen solchen Antrag gestellt und hat die Staatsanwaltschaft dabei festgestellt, daß viele andere Opfer mit dem gleichen Vorwurf unrechtmäßig verurteilt worden sind, dann hat sie alle diese anderen ohne individuellen Antrag gleich ebenfalls rehabilitiert, denn die Militärgerichte urteilten auch in Gruppen ab.

Allerdings hat sie die Angehörigen nicht von sich aus darüber in Kenntnis gesetzt; benachrichtigt wurden und werden nur die Antragsteller. Daher hat das Auswärtige Amt die genannte Dokumentationsstelle schon Anfang Juni 2008 damit beauftragt, die Namen der unschuldig Verurteilten und Rehabilitierten aufzulisten. Die Namen der Rehabilitierten sind dort abzurufen.

Für die Erben der Rehabilitierten hat die Rehabilitierung ihres Erblassers möglicherweise mehr als nur die bloße moralische Wirkung, vom einstigen Schuldspruch befreit zu sein. Der Berliner Rechtsanwalt von Raumer sagt: „Nach ständiger deutscher Rechtsprechung kann unter bestimmten Umständen eine Rehabilitierungsbescheinigung aus Moskau auch Grundlage für einen Rückgabe- oder Entschädigungsanspruch wegen enteigneten Immobilienbesitzes sein.“

Raumer ist einer der wenigen Spezialisten für das politische Verfolgungsunrecht jener Nachkriegsjahre: Er kennt sich mit den juristischen Fallstricken dieser Fälle aus  und hat schon eine Vielzahl solcher Verfahren geführt. Aber solche Folgeansprüche entstehen nach von Raumer  nicht in jedem Fall, und ein Rückgabeverfahren sei nicht immer einfach. Für einen Anspruch auf Rückgabe oder Auskehr des Erlöses für die vom Staat verkaufte Immobilie sind nach seinen Angaben drei Voraussetzungen nötig:

Erstens muß der Rehabilitierungsentscheidung zu entnehmen sein, daß die Verurteilung auch die Einziehung des Vermögens umfaßt hat, also nicht nur die Haft- oder Todesstrafe.

Zweitens muß der Rehabilitierte am Tag seiner Verurteilung noch Eigentümer des Vermögenswertes (im Regelfall Haus, Grundstück, andere Sachwerte) gewesen sein. Ist ihm die Immobilie zuvor im Wege der sogenannten Bodenreform oder Industriereform entzogen worden, war er es nicht mehr. Dann hatte der Entzug durch damalige deutsche SBZ-Stellen stattgefunden. Diesen damals „deutschen“ Entzug umfaßt die russische Rehabilitierung dann nicht. Gute Karten für Rückgabe oder Erlösauskehr haben die Erben des Rehabilitierten also dann, wenn dieser durch ein SMT verurteilt wurde und es damit ein russischer Vermögensentzug gewesen ist; schlechte Karten dann, wenn ihm deutsche Stellen das Vermögen weggenommen haben.

Drittens muß die  Rückgabe oder Erlösauskehr beim jeweils zuständigen Amt zur Regelung offener Vermögensfragen innerhalb von sechs Monaten nach der Zustellung der Rehabilitierungsbescheinigung beantragt werden, spätestens aber acht Monate seit dem Versenden der Bescheinigung durch eine deutsche Stelle. Zu beachten ist ferner eine weitere Frist: Anträge auf Vermögensrückgabe oder Erlösauskehr nach Rehabilitierung sind nur noch bis zum 31. Dezember 2011 möglich, eine Frist, die schon verschiedentlich verlängert worden ist.

Nicht mehr nachweisen müssen die Antragsteller, daß die sowjetischen Behörden den Einzug des Vermögens auch tatsächlich vollzogen haben. Schon im Sommer 2007 hat der für diese Fälle alleinzuständige 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts klargestellt, daß Rückgabeansprüche bei einer Rehabilitierung des Opfers eines sowjetischen Militärgerichtsurteils auf deutschem Boden, also bei fast allen typischen Fällen verurteilter Deutscher, auch ohne einen solchen Vollzugsnachweis bestehen. Seinen Grund hat das in dem damals geltenden Besatzungsrecht in der SBZ. Danach ging das Vermögen des Verurteilten mit der Rechtskraft des Urteils automatisch auf die Sowjetunion über. Sein Vermögen verlor der Verurteilte also unmittelbar durch das Urteil, ohne daß es eines weiteren tatsächlichen Vollzugs des Urteils bedurfte. Damit führt auch die Rehabilitierung mit der Aufhebung des damaligen Urteils grundsätzlich zur Vermögensrückgabe.

Die Stiftung in Dresden erforscht die Schicksale verfolgter Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg seit Jahren. Außerdem verfügt sie auch über die Daten von 650.000 sowjetischen Kriegsgefangenen in Deutschland, die sie an deren Angehörige übermittelt. Für die Dokumentationsstelle beginnt nun die Suche nach den noch lebenden Angehörigen der rehabilitierten Deutschen, um ihnen die Rehabilitierungsbescheinigung zuzustellen. Diese können die Bescheinigung bei der Stiftung anfordern. Geschäftsführer der Stiftung ist Klaus-Dieter Müller. Anträge auf Rehabilitierung an die russische Militär-Oberstaatsanwaltschaft können die Angehörigen der Opfer auch über die Dokumentationsstelle nach Moskau leiten.

Ferner kann man in der Online-Datenbank der Stiftung zu verurteilten deutschen Bürgern recherchieren. Hier liegen  auch für alle aufgelisteten Namen Ergebnisse der Urteilsüberprüfungen vor und können vor Ort eingesehen werden. Ist der Name in der Datenbank nicht verzeichnet, ist es möglich, in Moskau eine Überprüfung zu veranlassen oder dort vorliegende Ergebnisse abzurufen. Ebenso hilft die Stelle bei der Antragstellung auf Urteilsüberprüfung und Akteneinsicht. Als einzige deutsche Stelle ist sie jetzt auch zuständig für das Bearbeiten und Weiterleiten von Anfragen und Anträgen nach dem russischen Rehabilitierungsgesetz. Dabei leistet sie, wenn nötig, auch Hilfestellung bei der Beantragung von Einsicht in Personal- und Strafakten sowie bei der Durchsicht von Akten in russischen Archiven. Diese vom Auswärtigen Amt übertragenen Aufgaben haben die russische Regierung und die Militär-Oberstaatsanwaltschaft anerkannt. Näheres findet sich auf der Internet-Seite der Stiftung (www.dokst.de).

In den Jahren 1945 bis Ende 1953 haben sowjetische Militärgerichte in SBZ und DDR rund 35.000 Zivilisten verurteilt. Mit den Rehabilitierungen begonnen hat Rußlands Militär-Oberstaatsanwaltschaft schon in den achtziger Jahren, aber nur für sowjetische Bürger als Opfer von Verurteilungen.  Doch sind Deutsche durch Moskau bereits 1990 rehabilitiert worden, als die Wiedervereinigungsverhandlungen noch liefen und die Sowjetunion noch nicht untergegangen war.

Die Rehabilitierungen waren also auch schon der Wille der damaligen sowjetischen Regierung unter Gorbatschow, nicht erst der dann russischen Regierung unter Jelzin mit ihrem Rehabilitierungsgesetz für Opfer politischer Repression vom 18. Oktober 1991. Dieses Gesetz war zunächst ebenfalls nur für die eigenen Staatsbürger bestimmt. Trotzdem sind 1991/92 einzelne Ausländer und auch Deutsche unter ausdrücklicher Berufung auf dieses Gesetz rehabilitiert worden.

 Doch haben Bundeskanzler Kohl und Rußlands Präsident Jelzin in einer „Gemeinsamen Erklärung über die Rehabilitierung unschuldig Verfolgter“ vom 16. Dezember 1992 das russische Rehabilitierungsgesetz auch offiziell auf deutsche Opfer von SMT-Verurteilungen ausgeweitet.

Rußland unter Boris Jelzin (erster Staatspräsident Rußlands von 1991 bis 1999) verfuhr danach, aber deutsche Politiker, Ämter und Gerichte fabulierten vom vorgeblichen sowjetischen Rückgabeverbot, von „Nicht-Rückgängigmachen“ und behinderten die Rehabilitierungen mit der dann zwingenden Folge im eigenen Land massiv. Rußland dagegen zeigte, wie man begangenes Unrecht aufhebt und führte Deutschland damit jene Rechtsstaatlichkeit vor, die Deutschland in diesen Fällen von Willkür und Unrecht so offensichtlich und in skandalöser Weise noch heute mißachtet.

Der Kohl-Regierung war wohl erst allmählich klargeworden war, welche rechtliche Folge die russischen Rehabilitierungen für den deutschen Staat auslösten. Denn sie bedeuteten, daß er die in der SBZ entzogenen Vermögenswerte an die rehabilitierten Opfer oder deren Erben zurückgeben mußte, also jene Häuser, Gebäude, Anlagen und Grundstücke, die als „Volkseigentum“ nach der Wiedervereinigung von der DDR zunächst auf ihn übergegangen waren.

Jedoch wollte sich der deutsche Staat das fremde Vermögen, wie dann bald nach 1990 (zum Entsetzen der Opfer und rechtsstaatlich Gesinnter) deutlich wurde, selbst einverleiben, um es zugunsten der Staatskasse verkaufen zu können.

Die rechtswidrig enteigneten Familien sollten im vorgeblichen Rechtsstaat Deutschland enteignet bleiben. Das wird von deutschen Politikern, Behörden und Gerichten bis heute betrieben. Die russischen Rehabilitierungen können diesen staatlichen Raubzug fallweise nachträglich beheben.

 

Stichwort: Die Jelzin-Kohl-Erklärung von 1992

Am 16. Dezember 1992 kamen Kanzler Helmut Kohl und Rußlands Präsident Boris Jelzin darin überein, daß  den unschuldigen Opfern von Willkür und Unterdrückung Gerechtigkeit widerfahren muß. Sie anerkannten die Bemühungen, dem einzelnen Betroffenen Rehabilitierung zu verschaffen, und sprachen sich gleichzeitig für eine beschleunigte Fortführung dieser Bemühungen im Einzelfall aus. Sie stellten ferner fest, daß die zu Unrecht Verurteilten und unschuldig Verfolgten moralisch rehabilitiert seien, und fügten hinzu, daß diejenigen, die über diese Erklärung hinausgehend individuelle Rehabilitierung begehrten, diese in individuellen Verfahren verfolgen können. Schließlich zeigten sich beide darüber einig, „daß Rehabilitierungsentscheidungen nicht als Grundlage für Forderungen dienen können, die zum geltenden Recht und zu den internationalen Verpflichtungen beider Seiten in Widerspruch stehen“.

Foto: Flüchtlinge aus der Sowjetischen Besatzungszone in Berlin-Tempelhof (1948): Die Hoffnung auf Wiedergutmachung nie aufgeben

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