© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/10 14. Mai 2010

Buddha des Westens
Heidegger-Hörbuch: Vom Vorrang gesprochener Sprache
Harald Harzheim

Der Vorrang gesprochener Sprache gegenüber der Schrift, das war für den Philosophen Jacques Derrida ein Hauptmerkmal logozentrisch-metaphysischer Tradition. Schon Plato erklärte die Philosophie für tot, seit man deren Gedankengänge schriftlich fixiere. Vergleicht man die historischen Aufnahmen von Heideggers Reden mit den schriftlichen Ausgaben, möchte man Plato fast recht geben. Die Schrift muß ohne expressive Unterstützung durch Stimme, Gestik und Mimik auskommen. Aber menschliche Kommunikation – mag sie auch noch so abstrakt-rational daherkommen – verliert ohne sie. Zumindest bei rhetorisch Begabten wie Martin Heidegger, der für seine Inhalte adäquate Sprachformen fand, dessen Vorträge als eindrucksvolle „Spoken-Word Performances“gelten dürfen. Einige davon wurden auf Tonträger gebannt, eine Auswahl ist seit einiger Zeit auf CD erhältlich. 

Darunter findet sich der berühmte Vortrag „Gelassenheit“, 1952 in Freiburg gehalten. Wie Claude Levi-Strauss das „wilde Denken“ gegenüber dem technischen Denken verteidigte, bricht Heidegger eine Lanze für das besinnliche Denken, das im  dominanten „(be-)rechnenden Denken“ unterzugehen drohe. Wenn der Philosoph die Ruhe des Heimatbodens dem neuzeitlichen Lärm und der medialen Zerstreuung entgegenhält, scheint das in schriftlicher Form als ein Übermaß an Anachronismus, als kaum mehr nachvollziehbar.

Nein, das Gesagte erschließt sich erst in der meditativen Ruhe seines Sprechens. Dann werden Heideggers lokal- und zeitgebundene Bilder zu Metaphern eines globalen Widerstands gegen die Streßkultur. Satzteil für Satzteil, unterbrochen durch lange Pausen, ohne große Hebung und Senkung der Stimme, überzeugt der Philosoph von der Verdinglichung der Natur im technischen Zeitalter. Deren Denken aber müsse nicht abgeschafft, sondern mittels „Gelassenheit“ relativiert werden. Die beinhalte eine „Offenheit“ für das Geheimnis, das sich auch in der Technik zeigt. Keine plumpe Gegnerschaft zur Technik also, sondern die Einladung, ihr gegenüber Bodenständigkeit zu wahren, sich nicht in ihr zu verlieren und der Vergötzung des „nur Arbeitens“ zu widerstehen. (Die Wirkung von Heideggers meditativer Rede gibt Interpreten wie Sloterdijk recht, die sein Spätwerk als Ansatz eines westlichen Buddhismus deuten.) Ab und an aufblitzende Ironie erfährt keine eigene Betonung und wirkt deshalb um so nachhaltiger: in jedem Fall eine Stimme, die gerade in der Handy-, iPad- und liberalen Streßkultur heilsame Wirkung ausübt.

Wie sehr der „Zauberer von Meßkirch“ einen Therapeuten in sich trug, sollten die „Zollikoner Seminare“ (1969) noch zeigen, von denen es leider keinen Mitschnitt gibt. Dafür aber von Heideggers Lesung seiner Kurzprosa „Der Feldweg“ (1952), einer literarischen Version des „Gelassenheits“-Textes.

Weniger eindrucksvoll ist ein ZDF-Interview zwischen dem Philosophen und dem Heidegger-Forscher Richard Wisser. Der stirbt nämlich vor Respekt, läßt alle Behauptungen seines Meisters unwidersprochen. So verneint Heidegger den gesellschaftlichen Auftrag von Philsophie: Schließlich basiere die Gesellschaftsdefinition auf Verabsolutierung von Subjektivität; sein Denken aber habe die Subjektivität überwunden und dürfe deshalb in Gesellschaftssachen nicht mitreden. So ein Satz schreit nach kritischer Intervention – und sei es, um dem Denker eine Vertiefung seiner Aussage zu entlocken. Nein, Heideggers Befähigung zur Diskussion kann man hier nicht überprüfen.

Ohnehin präsentieren diese Mitschnitte nur den mittleren und späten Heidegger. Schwer ist der frühe Philosoph vorstellbar, der 1929 im Seminar zur „Entschlossenheit“ zum „Eigentlichen“ aufrief – das heißt, nicht ganz. Im Vortrag „Zeit und Sein“ (1962) erscheint für Momente, was manche als irrationale Verführungskraft, andere als Wachrütteln erfuhren. Heideggers Versuch, das Sein ohne das Seiende zu denken, entführt in totale Abstraktion jenseits der Empirie, ins spekulativ-dichterische Denken.

Heideggers Häufung von Neologismen provoziert bei der Lektüre oft unfreiwillige Komik. Hier nicht. Die klare, zügige Sprache gibt dem Gesagten ein hohes Maß an Ernst und Verständlichkeit. Das steigert sich zum kraftvollen Appell, das Ausgesprochene nicht „als Satz“ zu deuten, nicht „der Logik auszuliefern“.

Dabei klingt aus Heideggers Stimme die legendäre Wucht früherer Vorlesungen und Seminare. Als man dem gebürtigen Meßkichner 1959 die Ehrenbürgerschaft der Stadt verleiht, reflektiert er in seiner Dankesrede über deren Bedeutung: „Ehrenbürgerschaft“ beinhalte eine Bewahrung des Ehrwürdigen, vom „Heimatlichen“ bis zum „Unheimlichen“ – ein Denken als intellektuelle Zerreißprobe, dem scheinbar „Nutzlosen“ gewidmet. Während dessen hört man im Hintergrund den Meßkirchner Alltag: Glockenläuten und Autobrausen – das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, in dem sich Heideggers Denken bewegt.

Foto: Martin Heidegger: Von der Sache des Denkens. Vorträge, Reden und Gespräche aus den Jahren 1952–1969. 5 CDs. Der Hörverlag 2009, Gesamtlaufzeit etwa 356 Minuten, 34,95 Euro

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