© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/10 14. Mai 2010

Thomas Gottschalk: Sechzig Jahre und kein bißchen leise
Unterhalter der Nation
Toni Roidl

Der lange Blonde ist der letzte Dinosaurier des deutschen Fernsehens und sein mediales Alleinunterhaltertum – das Zeitalter der kollektiven Samstagabend-Unterhaltung – ist dank Diversifizierung des Senderangebotes längst vorbei. Umso erstaunlicher, wie das ewig jugendliche Fossil immer noch Millionen um den Bildschirm versammelt. Am 18. Mai wird Thomas Gottschalk 60 Jahre.

Angesichts dieses Datums, an dem Normalsterbliche nun wirklich nicht mehr als Berufslausbuben durchgehen, werden wieder etliche Medien hervorwühlen, was Gottschalk ganz früher gemacht hat: Eintritt in die katholische Studentenverbindung K.D.St.V. Tuiskonia München, DJ, „Pop nach acht“ auf Bayern 3 und den längst verziehenen „Supernasen“-Klamauk. Aber diese Stationen sind irrelevant, denn im kulturellen Gedächtnis der Nation heißt Gottschalk „Wetten, daß ..?“

Die Sendung war schon anachronistisch, als er sie 1987 vom Erfinder Frank Elstner übernahm. Doch statt in Elstnerscher Biederkeit weiterzuwurschteln, baute Gottschalk das Format zu einem größenwahnsinnigen Circus Maximus aus: immer längere Überziehungen, immer verrücktere Wetten, immer teurere Stars. Und diese dienten nur als Kulisse für den Auftritt von Gold-Tommy.

Das Konzept funktionierte: „Wetten, daß ..?“ wurde zum Hochamt der TV-Unterhaltung. Montagmorgen sprach Deutschland über Samstagabend: über den rüpelnden Götz George, die zickige Britney Spears. Auch Bild titelte regelmäßig: „Gottschalk beleidigt deutschen Schäferhund!“ oder „Gottschalk wäscht Mann in Waschmaschine!“

Der Gummibären-Guru, der auch mal gern mit seinem Bruder Christoph Postaktien unters Volk brachte, darf alles. Kein Wunder: Er beherrscht die Kunst, noch die anzüglichsten Zoten wie einen galanten Handkuß aussehen zu lassen. So wie er immer wieder abenteuerliche Ausreden dafür findet, seinen weiblichen Gästen an Kleidern und Schuhen herumfummeln zu müssen. Gottschalk zum Phänomen Gottschalk: „Ich lebe von der Unfähigkeit meiner Mitbewerber.“

Und wenn seine intellektuellen Kritiker in den Feuilletons mal wieder über die „schon fünfte Show, die unter der 10-Millionen-Marke bleibt“ (Welt) ätzen, dann moderiert Tommy zum Gegenbeweis am Tag nach ‘Wetten, daß ..?’ auch noch drei Stunden lang den ZDF-Jahresrückblick vor 15 Millionen Zuschauern. Genüßlich servierte Bild den Quotenkampf gegen Dieter Bohlen, der wie ein Boxer posaunt hatte, er wolle Gottschalk „plattmachen“. Doch DSDS ging auf die Bretter, und Gottschalk triumphierte mit  31,6 Prozent Marktanteil.

Bevor das Schlachtroß mit der blonden Mähne endgültig auf das Altenteil der Jahresrückblicke, Preisverleihungen und Spendengalas abgeschoben wird, hat man ihm nun mit Michelle Hunziker ein jüngeres Semester an die Seite gestellt. Der Meister nennt das in der BamS „Schaufensterumdekorieren“ und nimmt es gelassen hin. Auch über die Schreiber ärgert er sich nicht mehr wie früher. Sagte er noch vor Jahren dem Spiegel: „Ich bin langsam genervt, daß mir Kritiker nach 20 Jahren mit jeweils zehn plus x Millionen Zuschauern nach der Sendung immer noch erklären wollen, daß das so nicht geht!“, meint er heute: „Wenn ich mir überlege: Früher habe ich mich beim Feuilleton für ‘Die Supernasen’ entschuldigt – heute veranstalten Filmhochschulen ‘Supernasen’-Wochen!“ (Tele5).

Eine peinliche Geburtstagsgala mit Retrospektive konnte der Star seinem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber gerade noch ausreden. Statt dessen durfte er eine nostalgische ZDF-Zeitreise in die „Sixties“ moderieren, die indirekt ein vorgezogenes Gratulanten-Kaffeekränzchen war. In dieser Rolle als Jubilar merkt man ihm das Alter dann doch an. Oder auch wenn er in der Süddeutschen mault: „Es gibt da eine Internetbande, die in Jubel ausbricht, wenn Stefan Raab rülpst, und das für eine große Unterhaltungsleistung hält!“

Seine Haltung dazu brachte Gottschalk schon im Jahr 2000 auf den Punkt, als er in Lubowitz bei der Einweihung des Oberschlesischen Eichendorff-Kultur- und-Begegnungszentrums „die teuerste Ansprache meines Lebens“ hielt – und 50.000 D-Mark spendete.

Er sagte: „Ich betrachte mit einem gewissen Interesse all das, was um mich herum passiert, und viele Kollegen haben entweder Irrsinn oder Unsinn auf dem Programm, aber hier hat Hermann Hesse festgestellt, daß Eichendorff ähnliche Probleme hatte wie ich. Er schreibt: ‘Zwischen dem wilden Genie-Wesen mancher seiner romantischen Kameraden steht Eichendorff freundlich, still und lächelnd wie ein Gast vom Lande, etwas verwirrt von dem Getriebe, aber eines eigenen Wesens und Wertes sicher.’“

Nicht nur das verbindet den mit oberschlesischen Wurzeln ausgestattteten Gottschalk mit dem Dichter Eichendorff, der als Lützower Jäger gegen Napoleon focht. Dem Magazin Digital-VD sagte Gottschalk: „Als Unterhalter gehöre ich der Nation.“

Foto: Gottschalk beim Fest „Die Bundesrepublik wird 60“ (Mai 2009, Berlin): Keine Lust auf eigene Feier

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