© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Brüchige Gefolgschaft
Zwist in der CDU: Koch & Co. proben den Aufstand gegen die Kanzlerin
Rolf Dressler

Im Zeitalter der Massenmedien werden Menschen öfter denn je zu „Überfliegern“ oder  „Lichtgestalten“ stilisiert. Und wenn‘s rein gar kein Halten mehr gibt, verkauft man dem Publikum einen Blitzaufsteiger fast aus dem Nichts, wie etwa einen gewissen Barack Obama, kurzerhand auch schon mal als „Messias“. Vielen Akteuren mag solcherlei Etikett mächtig schmeicheln, andere aber, die meisten wohl, sehen sich letztlich gottlob doch wieder auf ein wirklichkeitsgerechtes Normalmaß zurückgestutzt. Das jedenfalls weitet den Horizont und schärft ihn zugleich – sowohl bei den allzu sehr hochgejubelten Politikbetreibern selbst als auch im Millionenfußvolk der Arbeitnehmer, Steuerzahler und Wähler.  

Anschauungsbeispiel: Angela Merkel. Bereits gegen Mitte ihrer bisherigen Kanzleramtsjahre überhöhten diverse Pressekommentatoren Helmut Kohls einstiges „Mädchen aus dem Osten“ schlicht zur „mächtigsten Frau der Welt“. Und angesichts dieser Lorbeerkranzflut versammelten sich die „C“-Parteien wie eine in Treue unverbrüchliche Gefolgschaft hinter Angela Merkel.

Indes, der schöne Schein ist dahin, seit in Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsstärksten Bundesland, die Wähler der Merkel/Rüttgers-CDU einen unerwartet schmerzlichen Schlag in die Magengrube versetzten. Der Stachel sitzt besonders tief, weil die politische Linke – sprich: SPD, Grüne und Linkspartei – zunächst zumindest schon einmal rechnerisch über eine komfortable Mehrheit der Sitze im Düsseldorfer Landesparlament verfügt. Nur: Wer in der CDU hat diesen Alptraum maßgeblich heraufbeschworen? Wem in Person ist die Verantwortung für das Absturz-Desaster zuzuschreiben?

Noch am ehesten werden sich jene CDU-Granden wegducken können, die, nicht zuletzt auch karrierehalber, der übergroßen Vorsitzenden jahrelang nachgerade wie einer Leitwölfin gefolgt sind. Ob auf den innerdeutschen Wegen oder auf außenpolitischem Parkett: Striktes Mitziehen weitab von jeder kritischen Widerrede bescherte Merkel-Gefolgsleuten wie Ronald Pofalla oder Norbert Röttgen Schlüsselpositionen in Partei und Regierung. Im Verbund mit Angela Merkel, der  vermeintlich Unanfechtbaren in den Chefsesseln von Partei und Regierung, wähnte man sich auf der sicheren Seite.

Doch mit einem Schlag nun hat der NRW-Wahlausgang eben nicht nur die Landespolitik zwischen Rhein und Weser völlig neu aufgemischt. Nein, jetzt muß das ganze Deutschland, die sogenannte Berliner Republik anno 2010, sich sehr konkret, sehr ernsthaft auf etwas ganz Neues gefaßt machen: auf Kanzlermehrheiten aus roten, grünen und dunkelroten Sozialisten nebst Neu- und Altkommunisten, die, wie sie gern beteuern, angeblich „längst in der Demokratie angekommen“ sind.

Erstaunlich genug, daß genau diese umwälzende Deutschland-Perspektive bislang offenbar kaum richtig wahrgenommen wird. Statt dessen verzetteln und verhaken sich der Zehn-Prozentpunkte-Verlierer CDU und dessen bisheriger Düsseldorfer Koalitionär, die FDP, in Kleinklein-Scharmützel. In dieser Gemengelage müssen die heftigen Einwürfe der CDU-Landesfürsten Roland Koch (Hessen), Stefan Mappus (Baden-Württemberg) sowie Stanislaw Tillich (Sachsen) und Christian Wulff in Richtung Berlin besonders schmerzen. Denn deren unverhohlen harsche Generalkritik zielt im Kern direkt auf die Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende Angela Merkel. Ein klares Signal: Vorbei soll sie sein, die Schalmaienzeit der Merkel-Claquere, der Abnicker und Ja-Sager, der Jubel-Perser, die den Koch, Mappus, Tillich & Co. schon zu Helmut Kohls Kanzlerzeiten ein Dorn im Auge waren.

Verwundern freilich dürfte das Aufbegehren höchstens notorische Ignoranten. Denn Angela Merkel höchstselbst will doch die CDU „modernisieren“, „zukunftsfähig machen“ und in eben diesem Sinne „neu aufstellen“. Genau dabei aber verwischen sie und ihre Zuarbeiter in Parteiführung und Programmkommissionen das vielbeschworene Profil der Partei mehr und mehr, bis hin zur Beliebigkeit und zur Unkenntlichkeit. Neue und vor allem auch jüngere Wählerschichten sollten eigentlich für die CDU gewonnen werden.

 Wie viele Wählerstimmen hätte dann allein schon die vormalige Familienministerin Ursula von der Leyen, noch unlängst die nach Angela Merkel angeblich beliebteste deutsche Politikerin, für ihre Farben einfahren müssen? Wie ist es dann nur möglich, daß die NRW-CDU statt dessen mit einem Katastrophen-Minus von zehn Prozentpunkten praktisch abgewählt wird? Dieser und andere Widersprüche sind nur scheinbarer Natur. Sie können und müßten aufgeklärt werden. Darauf drängen zu Recht Koch, Mappus, Tillich, Wulff und bald sicherlich noch andere.

Angela Merkel überhebt sich, wenn sie nun schon zum wiederholten Male unbequeme Sachkritik mit der Behauptung wegzubügeln versucht, das, was sie innen- oder außenpolitisch vorhabe, sei „alternativlos“. Ob Afghanistan-Einsatz, Weltfinanzdesaster, Euro-Krise oder das Irrwitz-„Rettungspaket“ für Griechenland: Wer in solchen Katastrophenfällen das eigene Denken und Tun schon vorbeugend und apodiktisch für „alternativlos“ und das einzige Wahre erklärt, verletzt die Regeln demokratischer Diskussionskultur im Ringen um den besten Lösungsweg. Und das mißfällt gewiß auch Wählern.

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