© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Das Zeltlager der Heiligen
Ökumenischer Kirchentag: In München suchen Christen der verschiedenen Konfessionen nach der verlorenen Einheit
Christian Vollradt

Wenn Posaunenchor-Klänge die Besucher des zweiten Ökumenischen Kirchentages empfangen, ist unüberhörbar, daß auch im katholischen München der Protestantismus dem christlichen Laientreffen seinen Stempel aufgedrückt hat. Die 2.500 Blechbläser stellen gemeinsam mit den ebenfalls zu Tausenden erschienenen Pfadfindern nicht nur eine der größten und sichtbarsten Teilnehmergruppen, sondern zugleich auch eine der traditionsreichsten.

Neben der römisch-katholischen sowie der evangelischen Kirche waren an der am Wochenende zu Ende gegangenen Veranstaltung auch die übrigen Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland beteiligt, darunter Methodisten und Orthodoxe. Mag die Teilnehmerzahl mit über 200.000 noch so beeindruckend sein – Kirchentage repräsentieren weniger das Kirchenvolk, als vielmehr einen bestimmten Teil desselben: Hier kommen primär diejenigen „Christinnen und Christen“ (so die stets repetierte offizielle Lesart) zusammen, die ohnehin in den zahllosen kirchlichen – und dabei doch häufig eher weltlich ausgerichteten – Gemeindezirkeln eingebunden sind.

Die von vielen (aber nicht allen) Kirchentagsbesuchern gefeierte Rückkehr der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann in die Öffentlichkeit dominierte tageweise die Berichterstattung. Das hat zumindest den evangelischen Teil seines Präsidiums „von Herzen gefreut“, sagte Eckhard Nagel, einer der beiden Präsidenten. Ob sein katholischer Kollege Alois Glück diese Begeisterung teilte, ist nicht überliefert. Mit ihrer in einem katholischen Gotteshaus gehaltenen Eloge auf ein Empfängnisverhütungsmittel hat die Ex-Bischöfin auch nach ihrem spektakulären Amtsverzicht erneut bewiesen, daß sie in puncto Eigenvermarktung ein mit allen Wassern gewaschener Profi ist: Sage, was längst Allgemeingut ist, aber sage es dort, wo dies noch Anstoß erregt. Es ist dieselbe Methode, die christdemokratischen Politikern wie Heiner Geißler oder Rita Süssmuth einst den Ruf eintrug, „Querdenker“ zu sein. Käßmann indes hatte ihre Provokation wohlkalkuliert, denn ein Eklat war nicht zu befürchten. Angesichts der Debatte um Kindesmißbrauch befindet sich die katholische Hierarchie so weit in der Defensive, daß sie wie zu erwarten auf die Äußerungen der protestantischen Theologin reagierte – und schwieg.

Daß die Kirchentagsveranstalter dennoch nicht alles tolerieren, wird noch vor den Messehallen offenbar. Hier verteilten Mitglieder der „Aktion Leben“ Flugblätter, auf denen um Unterstützung im Kampf gegen Abtreibungen ersucht wird. Auf dem Ökumene-Treffen selbst sind die christlichen Lebensschützer nicht vertreten. Denn sie hätten sich vertraglich verpflichten müssen, auf „drastische“ oder „schockierende“ Bilder und „Exponate“ zu verzichten. Dies bezog sich sogar auf kleine Embryo-Figuren, erläuterte einer der Flugblatt-Verteiler der JUNGEN FREIHEIT. Eine entsprechende schriftliche Erklärung wollten die Lebensschützer jedoch nicht abgeben, das hätte an Selbstverleugnung gegrenzt. „Angeblich mußten andere Gruppen das Papier ebenfalls unterzeichnen, tatsächlich handelt es sich hier jedoch um eine Lex Aktion Leben“, ist sich der ältere Herr gewiß.

Anzeichen dafür gibt es in der Tat: So werden am Stand einer Hilfsorganisation für Lepra-Kranke Fotos ausgestellt, die dem Betrachter einiges zumuten. Woran – zu Recht – niemand Anstoß nimmt, da nur so die Bedeutung solcher Hilfsprojekte veranschaulicht werden kann. Doch was im Kampf gegen Lepra tolerabel ist, gilt anscheinend nicht beim Lebensschutz. Keinesfalls anstößig und darum zumutbar ist es indes offenbar, wenn eine Organisation homosexueller Christen an ihrem Stand Abbildungen halbnackter Männer präsentiert.

Der „Markt der Möglichkeiten“ evangelischer Kirchentage heißt in München „Agora“, was irgendwie gebildeter oder vielleicht katholischer klingt. Hier präsentieren sich katholische Studentenverbindungen genauso wie der Bund der Religiösen Sozialistinnen und Sozialisten, der Deutsche Verein vom Heiligen Lande und die Lesbischwulen Gottesdienstgemeinschaften. Etwas Abstand voneinander halten die Stände der Christlichen Freunde Israels und der Palästina-Hilfe; näher sind sich da schon der Evangelische Arbeitskreis in der CDU/CSU und die grüne Bundesarbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen. Die Grünen sind nicht nur mit einem Stand auf der „Agora“ und besonders viel Bundesprominenz vertreten; sie befinden sich offenbar auch auf ureigenem Milieu-Terrain. Das dokumentiert nicht nur der Kleidungsstil vieler Teilnehmer, der sich wie bei der ehemaligen Alternativpartei längst vom Schlabber-Look zum ökologisch-korrekten Marken-Chic gewandelt hat. Es ist auch an der Vernetzung der Partei mit der Führungsebene der evangelischen Laien sichtbar: Präses der EKD-Synode ist die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, und die Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages, Ellen Ueberschär, ist nebenbei für die parteinahe Heinrich-Böll-Stiftung tätig.

Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am Freitag vor 6.000 Kirchentagsbesuchern sprach, schien dies in ihrer Rede berücksichtigt zu haben. Bereits in ihren Eingangssätzen erwähnte die Christdemokratin nicht nur das Gebot der Toleranz, sondern geißelte das reine Streben nach Gewinnmaximierung und forderte den Ausbau erneuerbarer Energien. Der Plan ging auf, das Auditorium applaudierte heftig.

Daß der Auflauf politischer Prominenz auch zu einer gewissen Übersättigung führen kann, mußte Wolfgang Thierse (SPD) am eigenen Leib erfahren. Der stellvertretende Bundestagspräsident wollte gerade die Veranstaltungsreihe „Was uns glauben läßt“ besuchen, als sich ihm eine Pfadfinderin in den Weg stellte und auf die Überfüllung der Halle hinwies. Die resolute junge Dame ließ den Politiker erst passieren, nachdem er ihr seinen Passierschein vorzeigte, der ihn als Referent und Mitglied des Zentralkomitees deutscher Katholiken auswies. Der Blockade-erprobte Spitzenpolitiker (JF 19/10) machte in dieser Situation einen sichtlich genervten Eindruck.

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