© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Zerrissene Einheitspartei
Parteitag: Nach dem Rückzug von Oskar Lafontaine drohen der Linkspartei Grabenkämpfe zwischen den Landesverbänden aus Ost und West
Hans Christians

Es war bezeichnend, daß der heimliche Parteivorsitzende Gregor Gysi etwas aussprach, was den Seelenzustand der Linkspartei treffend beschreibt: „Ich würde mir wünschen, daß dieser Parteitag Gräben zuschütten wird“, sagte der Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Doch sein Wunsch sollte ein frommer bleiben.

Nach dem Rückzug der Doppelspitze mit Oskar Lafontaine und Lothar Bisky mußten die Post-Kommunisten am vergangenen Wochenende in Rostock eine neue Parteiführung wählen. Und schon bei der Abstimmung zeigte sich die tiefe Zerrissenheit der Linken. Nur drei Mitglieder des neuen Bundesvorstands  (siehe auch Seite 4) erhielten mehr als 80 Prozent Zustimmung, darunter die neue Vorsitzende Gesine Lötzsch. Ihr künftiges Pendant als Parteichef,  der ehemalige bayerische Gewerkschaftsfunktionär Klaus Ernst, erreichte knapp 75 Prozent der Delegierten-Stimmen. Dem knorrigen Bayern werfen viele Mitglieder ein überhebliches Auftreten vor und nehmen ihm übel, daß er bekennender Porschefahrer ist. Dies schickt sich offenkundig nicht für eine sozialistische Partei.

Und so konnten die Risse im Fundament der 2007 aus der Fusion von PDS und WASG entstandenen Partei kaum verdeckt werden. Allen Rufen nach Geschlossenheit und der Herausstreichung von Gemeinsamkeiten zum Trotz: Alle Kandidatinnen, die von den sechs mitteldeutschen Landesvorsitzenden vor dem Parteitag den westdeutschen Amtskollegen zur Wahl in den Parteivorstand vorgeschlagen worden waren, fielen im ersten Wahlgang mit Pauken und Trompeten durch. Das dürfte ein Vorgeschmack auf das neue  Klima sein, welches im künftigen Bundesvorstand herrschen wird.

Es war mehr als auffällig, daß ein Teil der Delegierten den Saal verließ, als Gregor Gysi den langjährigen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch in einer Laudatio würdigte. Der Intim-Feind des scheidenden Vorsitzenden Lafontaine wurde als „kluger Kopf“ und genialer Strategie gewürdigt. Dessen Reaktion fiel mit deutlichen Worten aus. „Das war’s – noch lange nicht.“ Lafontaines Amtskollege, der Europaabgeordnete Lothar Bisky, erhielt nur mäßigen Beifall, als er die Heterogenität des Partei lobte. Denn gerade in den mitteldeutschen Landesverbänden herrscht Frust. Einigkeit besteht zwar darin, daß der ehemalige SPD-Chef Lafontaine die Partei für Wählerschichten geöffnet habe, die womöglich sonst nie für die Postkommunisten gestimmt hätten. Allerdings werfen viele Parteifreunde dem Egozentriker vor, daß sein fundamentalistischer Kurs eine Regierungsbeteiligung nahezu unmöglich gemacht habe.

Mit dem Rückzug des Saarländers aus der Bundesspitze gilt die rot-rot-grüne Option plötzlich wieder als realistisch. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, daß ausgerechnet der „Schatten-Vorsitzende“ Gysi eher lapidar verkündete, daß man für einen Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen bereitstünde. Auch dies ist nicht unumstritten. Die populäre Partei-Vize und Wortführerin des radikalen Flügels Sarah Wagenknecht warnte vor einem Kniefall vor den Sozialdemokraten. „Wir dürfen unsere Positionen nicht weichspülen, nur um Herrn Gabriel zu gefallen“, sagte sie mit Blick auf den SPD-Vorsitzenden. Oskar Lafontaine jedenfalls dürfte es sich nicht nehmen lassen, aus dem Saarland heraus das aktuelle Tagesgeschehen zu kommentieren. „Eine erfolgreiche Strategie wechselt man nicht aus“, sagte Lafontaine, und dies kann getrost als Kampfansage an die Reformer verstanden werden. Das Wort des Ex-Vorsitzenden hat immer noch Gewicht. Ohne ihn säße die Partei wohl kaum in 13 von 16 Länder-Vertretungen, und die PDS würde womöglich immer noch als mitteldeutsche Regionalpartei an der Fünf-Prozent-Hürde kratzen. Deswegen wurde dem Saarländer auch verziehen, daß er intern eine höchst autoritären Führungsstil pflegte. Beobachter gehen sogar davon aus, daß Lafontaines Verdienst gewesen sei, den radikalen Flügel bei Laune zu halten und damit zu mäßigen. West-Quoten-Mann Ernst ist im Osten unbeliebt, Ost-Quoten-Frau Lötzsch hat im Westen keine Hausmacht. So wird sich Lafontaine öfter zu Wort melden müssen, als ihm lieb sein dürfte.

Während sich die Delegierten in der Halle um die Zukunft der Partei sorgten, wurde draußen die Vergangenheit wachgerufen: Die Junge Union erinnerte mit Transparenten an die Vergangenheit der ehemaligen SED als DDR-Staatspartei.

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