© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

„Daß so einer hier so etwas sagen darf“
Integration: Eine Berliner Veranstaltung der European Commission against Racism and Intolerance zeigt, daß das Thema Rassismus voller Stolperdrähte steckt
Lion Edler

Rassismus in Deutschland sei ein „heikles“ Thema, stellte die Direktorin des Instituts für Menschenrechte, Beate Rudolf, in der vergangenen Woche anläßlich des „Runden Tisches“ ihres Instituts und der vom Europarat eingesetzten European Commission against Racism and Intolerance (ECRI) in Berlin fest. Wie recht sie damit hatte, mußte wenig später Christian Druck erfahren.

Der Referent für Diskriminierung beim Bayerischen Integrationsbeauftragten Martin Neumeyer (CSU) löste wütende Proteste aus, als er während der Debatte über den vierten Deutschland-Bericht der ECRI forderte, Migranten nicht nur in der „Opferrolle“ zu sehen, sondern auch die Wichtigkeit von „Eigenbemühungen“ anzuerkennen. Oftmals verlaufe die Grenze gar nicht zwischen Deutschen und Ausländern, sondern zwischen den Milieus. So gebe es unter Ausländern verschiedene Gruppen, die sich in ihrem „Bildungsbewußtsein“ unterschieden. Als Beispiel verwies er auf eine aktuelle Studie, nach der 39 Prozent der in Deutschland lebenden Polen mindestens Abitur haben, jedoch nur 10 Prozent der Türken.

Diese Unterschiede gebe es „natürlich auch wegen der Diskriminierung“, wie Druck schnell besänftigend hinzufügte, als er den steigenden Erregungspegels im Konferenzraum bemerkte. Doch zu spät. „Unverschämt!“ ertönt es von einem Zwischenrufer. „Das ist eine Farce, daß so einer hier so etwas sagen darf!“ entrüstet sich ein Vertreter eines Berliner Zigeunerverbandes. Später zeigt sich Druck im Gespräch mit einem Zwischenrufer reuig. Er habe leider „unglücklich formuliert“, auch sei der Begriff „Opferrolle“ falsch gewesen.

Zur Bekämpfung von Rassismus fordert die ECRI unter anderem härtere Strafen für rassistisch motivierte Gewalt und Nachbesserungen beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. So sollen Sprache und Nationalität als Grund für Diskriminierung aufgenommen und das Gesetz durch eine Kampagne bekannter gemacht werden. Der Sprecher der Arbeitsgruppe Rassismus vom Forum Menschenrechte, Yonas Endrias, fordert zusätzlich „eine Art Anti-Rassismus-Kommission“, die aus „unabhängigen Experten“ bestehen müsse. Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, regte zudem Quotenregelungen für Zuwanderer an.

Am Rande der Konferenz spielte auch die Debatte um Aussagen des Bundesbankers Thilo Sarrazin zu „Kopftuchmädchen“ eine Rolle. Die ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) kritisierte die Reaktion der Politik auf den Mord an der ägyptischen Muslima Marwa El-Sherbini und auf die Sarrazin-Debatte als „schwach, um nicht zu sagen jämmerlich. Und das geht nun gar nicht!“ Wenn die Politik hierbei schweige oder sich erst nach langer Zeit äußere, dann erwecke dies den Eindruck, daß Rassismus gar nicht so schlimm sei. John selbst hatte während der Debatte Sarrazin als „Rumpelstilzchen“ sowie seine Äußerungen als „abwertend, niedermachend, destruktiv und ausgrenzend“ bezeichnet. „Nach der allgemeinen Definition, was rassistisch ist, könnte man seine Äußerungen da einordnen“, behauptete John.

Auch der ECRI-Vorsitzende Nils Muiznieks beklagte eine „beunruhigende“ Veränderung der Integrationsdebatte in Europa. Erst sei vom Recht auf Integration gesprochen worden, dann von der Pflicht zur Integration, die nun zunehmend nur noch bei den Einwanderern gesehen werde. Man müsse diese Debatte „ständig überwachen“ und „wachsam“ sein, forderte Muiznieks.

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