© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Die Schuldigen
Verantwortlich für das Euro-Abenteuer: Politische Wegbereiter, wissenschaftliche und juristische Befürworter, publizistische Propagandisten
Michael Paulwitz

Politikern ist so leicht nichts peinlich, und ihr Geschwätz von gestern vergessen sie bei Bedarf recht rasch. Wäre es anders, müßten die Täter und Mitläufer des Euro-Experiments in diesen Tagen permanent tiefrote Ohren tragen. Die über dreißigjährige Geschichte der europäischen Währungsunion ist eine Chronik der ideologischen Verblendung, der dilettantischen Fehleinschätzung und des mutwilligen Ignorierens von Fakten und Argumenten.

Helmut Kohl, der auch als „Kanzler der Währungsunion“ in die Geschichte eingehen wird, ist jedenfalls genauso hochtönend wie vor einem Vierteljahrhundert. Noch auf der offiziellen Feier seines 80. Geburtstags Anfang Mai pries der wegen einer Spendenaffäre in Ungnade gefallende Ex-CDU-Chef den Euro erneut als „Friedensgaranten“ und erklärte die durch ihn „unumkehrbar“ gewordene EU-Integration zu einer „Frage von Krieg und Frieden“. Die „beste Waffe gegen dümmlichen Chauvinismus“ schien ihm diese Einigung in seiner Rede vor dem Europäischen Bankenkongreß in Frankfurt im November 1996, als er den Euro zum „gottgefälligen Werk“ erhob – drunter ging es schon damals nicht. Sein FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher hatte bereits Ende 1987 vor der Übernahme der EG-Ratspräsidentschaft durch die Bundesrepublik erstmals öffentlich eine „gemeinsame europäische Währung“ gefordert; Kohl machte sich diese politische Idee noch vor dem Mauerfall zu eigen.

Schmidt erfand den ECU, Kohl setzte den Euro durch

Hinter jedem „großen Europäer“ im Kanzleramt steht ein französischer Präsident, der ihn antreibt. Im Falle Kohls war das François Mitterrand, der als Preis für sein widerwilliges Ja zur Wiedervereinigung die Köpfe von D-Mark und Bundesbank rollen sehen wollte. SPD-Altkanzler Helmut Schmidt dagegen betont bei jeder Gelegenheit, daß die Währungsunion im Grunde seine Erfindung sei, zu der er zusammen mit „seinem Freund“ Valéry Giscard d’Estaing 1978/1979 mit dem „ECU“ die Basis gelegt habe. Auf den Euro läßt Schmidt deshalb bis heute nichts kommen. Ende 1996 stellte er per Offenem Brief in der Zeit Bundesbank-Präsident Hans Tietmeyer als Euro-Bremser hin, weil der sich nicht zum Filialdirektor degradieren lassen wollte; und an der Griechenland-Euro-Krise sind für ihn vor allem Merkel und Sarkozy schuld, weil sie nicht schnell genug „gehandelt“ hätten.

Gewohnt wetterwendisch agierte dagegen Kohls Amtsnachfolger Gerhard Schröder. Mit der Charakterisierung des Euro als „kränkelnde Frühgeburt“ hatte der frischgebackene niedersächsische Ministerpräsident und SPD-Kanzlerkandidat noch die Allparteieneintracht der Debatte über die Euro-Regierungserklärung am 2. April 1998 gestört, in der Kanzler Kohl den „Meilenstein der Geschichte“ beschwor, SPD-Chef Oskar Lafontaine den Europäer Kohl lobte und der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt mit Grünen-Leitwolf Joschka Fischer sich einmütig am „historischen Ereignis“ berauschten. Kontra gaben nur Gregor Gysi und die PDS, die denn auch als einzige drei Wochen später geschlossen gegen das Euro-Einführungsgesetz stimmte; aus den anderen vier Fraktionen gab es nur eine Handvoll Enthaltungen.

Am 24. April im Bundesrat gegen die Euro-Einführung zu stimmen, wagte Schröder natürlich nicht, ebensowenig Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, der sich unter dem Eindruck von 80 Prozent Euro-Gegnern in Umfragen immer wieder mal an euroskeptischen Tönen versucht hatte. Erwin Teufel für Baden-Württemberg, Hans Eichel für Hessen, Johannes Rau für NRW, Oskar Lafontaine für das Saarland – sie alle winkten den Euro im Bundesrat durch, einzig Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf enthielt sich der Stimme.

Kaum Kanzler geworden, betrieb Schröder gegen alle Bedenken den Euro-Beitritt Griechenlands, den Rot-Grün am 7. Juni 2000 im Bundestag zur Abstimmung stellte. Die Unionsparteien rühmen sich heute, wenigstens in diesem Fall dagegen gestimmt zu haben. Wenige Wochen zuvor hatte Vizekanzler und Außenminister Fischer seine notorische „Humboldt-Rede“ gehalten, in der er die „Vollendung der europäischen Integration“ in einem Bundesstaat zum Zielpunkt des mit der Währungsunion fortgesetzten Weges erklärte. 2005 gab Rot-Grün den entscheidenden Anstoß zur Aufweichung des Stabilitätspakts; Frankreich half gerne.

Bedenken gegen die Teilnahme Griechenlands hatten trotz der damals diskutierten griechischen Mogeleien weder Schröder noch Fischer. Der vom abgewählten SPD-Ministerpräsidenten zum Finanzminister beförderte Hans Eichel auch nicht. Er mußte mit Scheinverkäufen staatlicher Forderungen gegen Post und Telekom an private Investoren tricksen, um die Defizitkriterien optisch zu erfüllen. Sein Amtsvorgänger Theo Waigel hatte die Eintrittskarte in den Euro auch nur mit Haushaltsakrobatik gelöst und wollte sich zur euro-gerechten Bilanzkosmetik sogar am Bundesbank-Gold vergreifen. Waigels Parole vom Euro, der „stark wie die Mark“ werden solle, klingelt wohl nur denen in den Ohren, die damals auf seine Werbeauftritte hereingefallen sind. Den Namen der Währung – Euro statt ECU – findet er heute noch „genial“, er beansprucht ja auch für sich die Urheberschaft.

Der heutige Bundespräsident Horst Köhler hatte als CDU-Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums einst den Maastricht-Vertrag mit ausgehandelt. 1998, da war er Sparkassenpräsident, hatte er im Spiegel spezial-Interview im Waigelschen „Stark wie die Mark“-Ton dröhnend Zuversicht verbreitet und die vom Euro beförderte „Haushaltsdisziplin“ und „Stabilitätskultur“ gepriesen. Häufe ein Euro-Land dennoch hohe Defizite auf, sei „weder die Gemeinschaft noch ein Mitgliedstaat“ verpflichtet zu helfen; es werde „nicht so sein, daß der Süden bei den sogenannten reichen Ländern abkassiert“, die Währungsunion werde „kein Riesenumverteilungsrad“. Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, der den Bundespräsidenten dieser Tage per Pressemitteilung „höflich“ gebeten hat, den Widerspruch zu seiner heutigen Rechtfertigung des vertragswidrigen „Bailout“ aufzulösen, wird wohl vergebens auf Antwort warten.

Gegenüber den fundierten Einwänden zahlreicher Staatsrechtler und Ökonomen stellte sich die vom europäischen Missionseifer beseelte politische Klasse taub und blind. Die Manifeste von 1992 und 1998, als 155 Professoren für eine Verschiebung der Währungsunion plädierten, weil die Voraussetzungen fehlten, wurden mit Nichtachtung gestraft und von willigen Medien wie der Zeit ebenso mit Häme kommentiert wie die Zurückweisung der ersten Verfassungsbeschwerde der „vier Musketiere“.

Willfährige und naive Euro-Trommler in den Medien

Als Hausheiliger der Euro-Befürworter fungierte der Würzburger Ökonom Peter Bofinger. 1997 mobilisierte er 58 Fachkollegen für eine Pro-Euro-Initiative gegen die Nein-Kampagne der professoralen Warner – 2004 wurde er auf Vorschlag der Gewerkschaften Mitglied im Rat der „Fünf Wirtschaftsweisen“, der die Bundesregierung berät. Norbert Walter trommelte als Chefvolkswirt der Deutschen Bank für den Euro. Kurzsichtige Industrielobbyisten und zahlreiche große Wirtschaftsführer schlugen sich ohnehin auf die Seite der Euro-Fans, zu denen sich auch ARD-Intendant Fritz Pleitgen zählte; Bundesbankpräsident Ernst Welteke, willfähriger als Amtsvorgänger Hans Tietmeyer, ließ es sich nicht nehmen, zur Euro-Bargeldumstellung die ersten Münzen selbst auszugeben.

Auch das Gros der Medien verbreitete nach dem Vorbild von Springer-Presse und ARD zur Euro-Einführung meist unkritische Wohlfühlstimmung; skeptischere Töne schlugen neben JF und Focus am ehesten noch FAZ und Süddeutsche Zeitung an. Zum zehnjährigen Euro-Jubiläum 2009, als die Katastrophe für Experten schon absehbar war, überwogen erst recht die Lobeshymnen und Erfolgsbilanzen. Das immerhin hat sich geändert: Die hellenische Euro-Dämmerung hat Hankel, Nölling, Schachtschneider und Starbatty inzwischen auch in den Mainstream-Medien zu gefragten Interviewpartnern und Gastkommentatoren befördert.

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