© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Mit Netz und doppeltem Boden
EU: Trotz Pferdepaß und Brand eine weitere Kennzeichnungsmethode für Pferde verordnet / Seuchenprävention berechtigt?
Harald Ströhlein

Obgleich bereits Gesetz, werden die neuen Kennzeichnungsvorgaben für Pferde wohl erst mit der neuen Fohlen-Generation noch für reichlich Diskussionsstoff unter Pferdezüchtern und -haltern sorgen. So müssen nach Maßgabe aus Brüssel alle nach dem 1. Juli 2009 geborenen Pferde mit einem elektronischen Datenträger gekennzeichnet werden, der unter die Haut der Kreatur zu implantieren ist. Mehr als fragwürdig ist diese Vorgabe deshalb, da Pferde bereits mit einem sogenannten Equiden-Paß ausgestattet und in einer zentralen Datenbank erfaßt sein müssen.

Daß dieses kompromißlose Regelwerk für alle Pferde gilt– ob sie nun in einem Zuchtverband registriert sind oder nicht –, begründen die EU-Bürokraten mit dem Hauptmotiv dieser Aktion, nämlich der effektiveren Prävention und Bekämpfung von Seuchenzügen unter den Einhufern (Equiden). Diesem Argument will man sich nur ungern verschließen, denn in der Tat scheint die globale Pferdepopulation nicht vor einem zunehmenden Infektionsdruck verschont zu bleiben. So ist in jüngster Zeit von verschiedenen Influenzastämmen in Asien und Australien die Rede, von der Afrikanischen Pferdepest, der ansteckenden Blutarmut (EIA) oder nicht zuletzt dem West-Nil-Virus, welches sich durch seinen fortschreitenden Siegeszug in den USA, in Asien und Europa einen unrühmlichen Namen gemacht hat. Überhaupt muß man sich nicht wundern, wenn sich die Seuchenproblematik unter Nutz- und Freizeittieren weiter verschärft. Jährlich werden etwa 50 Milliarden Tiere zwischen den Kontinenten hin- und hergekarrt. Das Risiko der Einschleppung und Verbreitung von Seuchenerregern steigt dabei in zunehmendem Maße.

Gleichwohl ist das verordnete „Chippen“ nicht unumstritten. Schon seit Jahren wird das Thema vehement diskutiert und noch immer von zwei deutschen Pferdezuchtverbänden, dem Trakehner und dem Holsteiner Verband, strikt abgelehnt. Deren Standpunkt: Der klassische Brand, die mögliche DNA-Analyse, die registrierte Lebensnummer und der Pferdepaß sollten für die Identifikation eines Tieres völlig ausreichen.

Der Chip-Zwang läßt nicht nur einmal mehr den Unmut gegen die überbordende EU-Bürokratie wachsen, sondern wird wohl auch zu einer hitzigen Tierschutzdebatte führen. Denn Tierschützer werden den traditionellen Heißbrand wiederholt auf den Prüfstand stellen und auf das Tierschutzgesetz verweisen, wonach es verboten ist, einem Tier ohne vernünftigen Grund Leid zuzufügen. Genau dieser Sachverhalt tritt nämlich dann ein, wenn ein bereits „gechipptes“ Fohlen mit einem Brand als überflüssige (weil zusätzliche) Kennzeichnung versehen werden soll.

Komplikationen sehen die Kritiker auch darin, daß die Registrierung der Pferdehalter, beispielsweise der Pensionsstallbetreiber, und nicht der Pferdebesitzer veranlassen muß. Kritisch wird darüber hinaus gesehen, daß ein Standortwechsel – beim Pferd kein unüblicher Vorgang – nicht zu melden ist. Der Seuchenbekämpfung als Urmotiv der neuen Kennzeichnungspflicht kann dieses laxe Vorgehen jedenfalls nicht dienlich sein.

Sowohl eine Praxistauglichkeit als auch eine effektive Seuchenprophylaxe vermißt die Deutsche Reiterliche Vereinigung, weshalb sie bei Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) mit Nachdruck intervenierte – allerdings ohne Erfolg. Von dem Mehraufwand und den Mehrkosten einmal abgesehen, wird sich die neue Gesetzgebung also erst noch beweisen müssen.

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