© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Kunst klärt die Welt
Fernab aller Tagespolitik: In Berlin scheint die Leuchtkraft des Imaginären auf
Wolfgang Saur

Das Berliner Islammuseum wurde 1904 durch Wilhelm von Bode, den „Napoleon der Kunstgeschichte“, ins Leben gerufen. Es hat seine Weltgeltung bis heute behalten. Im Kaiserreich trat damals der Orient­idealismus in eine neue Phase wissenschaftlicher Vertiefung. Als 1899 der Bau der Bagdadbahn begann, wurde auch die Deutsche Orient-Gesellschaft gegründet, und Robert Koldewey startete seine babylonische Expedition. Ins zeitliche Umfeld gehören die panbabylonische Kulturtheorie, der Bibel-Babel-Streit und die theatralische Pantomime „Sardanapal“ (1908) ebenso wie die archäologische Leidenschaft Wilhelms II. Ihm schenkte der Sultan die Fassade des Wüstenschlosses Mschatta, ein Architekturmonument – noch heute eine Hauptattraktion der Museumsinsel.

Die Prinzipien islamischer Kunst entspringen der muslimischen Zentral­idee von der Einzigkeit Gottes. „Für den Islam ist die göttliche Kunst vor allem Kundgebung der göttlichen Einheit in der Schönheit und Gesetzmäßigkeit der Welt (…) Die Kunst klärt die Welt, sie hilft dem Geiste, von der unübersichtlichen Vielfalt der Dinge zur umfassenden Einheit aufzusteigen“ (T. Burckhardt).

Ewige Wahrheiten abspiegelnd, ist sie schroff antinaturalistisch gestellt. Natürliche Anschauung zählt nicht; Göttliches wird nur zeichenhaft angedeutet. Europas Drang nach Realismus und individueller Erfindung hat die islamische Ästhetik abgewiesen. Sie erschuf sich ureigene Formen und Techniken: Schriftkunst, Säulenwald, Kristallstruktur, unendliche Linie, reine Farbe, magische Fläche, Lichtprisma, Rahmenprinzip, Paradiesgarten und Glasur, Knüpftechnik oder Feinmalerei. Diese durchzogen die kulturelle Praxis von Spanien bis nach Indien.

Die seit 1945 rekonstruierten und nach 1990 vereinigten Sammlungen machen Berlin erneut zum orientalistischen Standort. Vollendet wird das islamische Museum 2019, das sich dann auf 3.000 Quadratmeter entfalten mag.

Diese Aussicht extrapolieren derzeit drei große Ausstellungen, welche die hiesigen Bestände reichhaltig ergänzen. Wenn es dabei um die kulturgeschichtlichen, künstlerischen und religiösen Traditionen in all ihrer Breite und Vielfalt geht, wird zwar die politische Gegenwart – Multikulti und Globalisierung – ausgespart. Fokussiert wird statt dessen die gestalterische Präzision, geistige Macht und schöpferische Intuition des Islam.

Und wirklich: Statt der flüchtigen Debatten, die uns sonst heimsuchen, erscheint hier nun die Leuchtkraft des Imaginären auf dem Grund von Symbol und Kunst. Eine transpolitische Dimension öffnet sich so. Jenseits der ausgebreiteten Kult- und Kunstlandschaften entdeckt man den geistlichen Nerv, den der Islam mit anderen Religionen teilt. Alle suchen den Mensch auf Gott auszurichten. Als Licht, Lampe, funkelnder Stern, allwissend und leuchtend, als Pol des Weltalls preist ihn der Koran (Sure 24,35). Es strahlen die Urbilder von ihm aus, spielen in Zeichen und Ritus.

Konsequent gliedern die Berliner Festspiele also die Schätze des Aga Khan: Werden eingangs Koran und die Grundlegung des Glaubens aufgerollt: die heilige Inspiration der Kunst und Architektur, dann Mystik, schließlich Pilgerreise und Gebet gewürdigt, erschließt Teil zwei, „Die Route der Reisenden“, systematisch die Perioden islamischer Geschichte, ihre divergent ausgebreitete Kulturgeographie und sämtliche Dynastien. Besitzer des Horts ist der IV. Aga Khan. In der 49. Generation amtiert er als geistliches Oberhaupt der weltweit zerstreuten Ismaeliten, der zweitgrößten Gruppe des schiitischen Islam.

Einen großen Auftritt gibt es für den Iran. Fast kultisch betont wird dessen Nationalepos „Schahname“ aus der Feder des berühmten Firdausi (940–1020). Der vollendete vor genau eintausend Jahren sein Werk, das 1522 dann eine Prachtillumination inspirierte: die kostbarste Handschrift, die Persien je schuf. Deren herrlichste Blätter, reife Früchte eines brillanten Kunstverstands, werden hier vorgestellt.

Firdausis Königsbuch kündet eine Heldengeschichte: Das vom Vater ausgesetzte Kind wurde von Simug, dem mythischen Vogel, errettet und aufgezogen im entrückten Gebirge. Der in Träumen belehrte Vater bereut und reist herbei. Als er scheitert, den Berg zu ersteigen, fliegt der Held auf wunderbaren Schwingen herab. Mystisch geschaut wird so die Trennung der Seele von Gott, dann ihre Wiederkehr und Einung.

Solch edelsteinartige Miniaturen – ihre verschachtelten Rahmen, verwobenen Ornamente, eigenwillige Perspektivik und glühenden Farben sind ein exquisiter Charakterzug des muslimischen Erbes. Vor hundert Jahren hat er unsere Maler zu kühnen Experimenten verlockt, so Matisse. Doch geschätzt und gesammelt haben sie die Kenner seit Jahrhunderten. Davon zeugen die kostbaren Mappen des Henri de Polier (1741–1795), eines Lausanner Edelmanns, der mit der Ostindienkompanie an den Ganges kam, als Berater und Architekt seines Maharadschas Sprachforscher wurde und die einheimische Kunstszene erneute. Kostbarkeiten zuhauf flossen ihm zu.

Vor denen stehen wir nun in abgedunkelten Räumen: schweigend vor stern- und arabeskenübersäten Passepartouts und ihren funkelnden Szenerien. Die Figuren scheinen von übernatürlicher Aura umflossen – Zeichnungen flaumfederhaft zart und doch explosiv wie Dynamit. In dieser Filigrankunst steckt ein anarchisches Potential. Mit subtilen Mitteln, doch effektiv zersprengt sie die Konvention und evoziert machtvoll das Imaginäre, den paradiesischen Keim alles Lebendigen.

Die Ausstellung „Schätze des Aga Khan Museum. Meisterwerke islamischer Kunst“ ist noch bis zum 6. Juni im Berliner Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, täglich von 10 bis 20 Uhr zu sehen. Der Katalog kostet 26 Euro.

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