© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Meldungen

Postindustrielle Visionen für türkischen Kulturpott

SEELZE. Ausgerechnet das Techno-Gewummere der seit 2007 alljährlich die Essener Innenstadt belästigenden „Love Parade“ sei der Presse im „Revier“ Ausweis genug dafür gewesen, daß sich der „Techno-Pott“ nun mit den führenden Regionen Europas messen könne. Solche Propagandatöne im Vorfeld der Kür zur „Europäischen Kulturhauptstadt 2010“ ordnet der Bielefelder Soziologe Rolf Parr in eine Abfolge von „Raumkonstruktionen“ ein, die er mit den 1930er Jahren („Waffenschmiede des Reiches“) beginnen läßt und über die Wirtschaftswunderzeit bis zur postindustriellen Bewältigung des Zechensterbens („Kulturpott“, „deutsches New York“) weiterführt. Wie keine andere Region Deutschlands setze das Ruhrgebiet trotz der miesen Lage der „Realwirtschaft“ heute seine ökonomischen Hoffnungen auf den „Wandel durch Kultur“ (Der Deutschunterricht, 2/2010). Auch an multikulturellen „Visionen“ scheint es nicht zu hapern. Parr stellt eine davon ans Ende seines Aufsatzes: 2031 würden sich, nach der Verleihung des Nobelpreises an Mehmet Ünlü, in dessen Zentrum für Biosensorik und Mikroelektronik die Wissenschaftler aus aller Welt die Türklinke in die Hand geben.

 

Philosophen-Periodika: Publikation auf deutsch

STUTTGART. Immer Ärger mit den „Ranking-Agenturen“. Deren dubioser Quantifizierung-Fetischismus hat nun auch die Periodika philosophischer Fachverlage heimgesucht. Die Brüsseler European Science Foundation stuft nämlich alle in deutscher Publikationssprache erscheinenden Zeitschriften als „drittklassig“ ein. Solches „Ranking“ beeinflußt mittelbar die Anschaffungspolitik der Bibliotheken und zeitigt schmerzhafte Absatzverluste. Tilmann Borsche, der den Protest der Verlage in der von ihm herausgegebenen Allgemeinen Zeitschrift für Philosophie (AZP, 1/2010) veröffentlicht, verteidigt zugleich sein Festhalten am Deutschen mit einer „Kleinen reaktionären Betrachtung“ des polnischen Philosophen Leszek Kolakowski. „Englischsprachige Philosophen“ wenden sich vornehmlich „Bereichen“ zu, in denen „alles mühelos übersetzbar“ sei. Würde sich Philosophieren aber allein auf  „übertragbare Erfahrungen“ reduzieren, verkäme Denken zur „Trivialität“. Eine „planetarische Zivilisation“, die mit solcher sprachlichen Uniformität heraufziehe, sei nicht mehr „zivil“ sondern „totalitär“. Darum, so folgert Borsche, habe die AZP-Redaktion beschlossen, dem „Globalisierungstrend wissenschaftlicher Fachsprachen nicht nachzugeben“.

 

Erste Sätze

Es ist fünf Minuten nach vier.

Hans Fallada: Kleiner Mann, was nun?, Berlin, 1932

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