© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Jeremy Rifkin gilt als wichtiger Deuter unserer ökonomischen Krise und sozialen Zukunft
Der Prophet
Harald Harzheim

Er ist einer der einflußreichsten Intellektuellen der USA: der Soziologe, Ökonom und Publizist Jeremy Rifkin. Die Euro-Krise und die jüngsten Auseinandersetzungen um den Sozialstaat bringen seine Thesen wieder in die Debatte. Seine Prognose vom „Ende der Arbeit“ ist längst zum politischen Schlagwort avanciert. Es bezeichnet eine Zukunft, deren High-Tech-Produktion dauerhafte Massenarbeitslosigkeit mit sich bringt, denn globale Märkte werden künftig „kaum noch menschliche Arbeitskraft brauchen“. Dies, so Rifkin, werde entweder „das Ende unserer Zivilisation“ bedeuten oder soziale Veränderungen provozieren, die „zu einer Wiedergeburt unserer Menschlichkeit“ führen.

Der 1945 in Denver/Colorado geborene Rifkin ist Vorsitzender der Foundation of Economic Trends in Washington, doziert als Professor in Philadelphia und war mehrfach als Regierungsberater und auch für die EU-Kommission tätig. Sein Werk umfaßt 17 Bücher mit Titeln wie „Das biotechnische Zeitalter“ (1998) oder „Das Verschwinden des Eigentums“ (2000) und kann als Exorzismus gegen liberale Simplifizierung und als Verteidigung des Individuums vor amoklaufenden Strukturen verstanden werden.

Zehn Jahre nach dem Erscheinen von „Das Ende der Arbeit“ 1995 konstatierte Rifkin, daß die weltweite Arbeitslosenzahl schon eine Milliarde überschritten habe und daß auch in einem wirtschaftlich aufsteigenden Land wie China bereits 15 Prozent der Jobs vernichtet wurden. In diesem Zusammenhang warf er der deutschen Regierung vor, die Schuld an schwindenden Arbeitsplätzen auf Pseudoargumente wie Auslandsverlagerung, mangelnde Ausbildung und zu hohe Sozialabgaben abzuwälzen.

Sein aktuelles Werk, „Die empathische Zivilisation“ (2010), fordert „eine Reglobalisierung, bei der die Bedürfnisse der Mehrheit im Vordergrund stehen, nicht die Gewinnspannen einer kleinen Minderheit“. Die Aufklärung habe einst den Egoismus des Einzelnen postuliert, der sich im Egoismus der Nationen spiegle. Dem stellt Rifkin die neuen Erkenntnisse der Neurowissenschaft entgegen: daß nämlich kein evolutionäres Überleben ohne Mitgefühl möglich ist. Genügte es in frühen Zeiten, Empathie mit der eigenen Sippe oder seinem Stamm zu empfinden, später mit der eigenen Nation, so muß jetzt die Weltbevölkerung und bald die gesamte Biosphäre mit eingeschlossen sein. Gelingt diese kulturelle Ausweitung nicht, sei die Welt verloren. Rifkins Zukunftsvision beinhaltet auch eine Verabschiedung vom politischen Rechts-Links-Dualismus. Vielmehr müsse das alte Hierarchiedenken den neuen dezentralen, vernetzten Kommunikationsformen weichen.

Vor allem aber glaubt Rifkin an ein Leben nach der (schlechten) Arbeit, die man der Technik überlassen könne. Statt dessen sollte künftig der „Non-Profit-Sektor“ verstärkt werden, also Tätigkeiten im sozialen, kulturellen und religiösen Bereich. Hier geben sich soziale Wirtschaft und konservative Lebensform die Hand.

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