© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Hamburg ringt um Fassung
Kriminalität: Nach dem Mord eines 16 Jahre alten Zuwanderers an einem Jugendlichen hat die Diskussion über die Konsequenzen begonnen
Sverre Schacht

Nur die Opfer kriegen lebenslänglich“, hat ein Passant auf die Säule im Hamburger U-Bahnhof Jungfernstieg geschrieben – es ist die jetzt von Blumen und Kerzen umringte Säule, an der Mel D. (19) am Wochenende nach Himmelfahrt von fünf Jugendlichen angepöbelt und dann von dem 16 Jahre alten Deutsch-Afghanen Elias mit einem Messerstich ins Herz getötet wurde.

Ein Grund für die unvorhersehbare tödliche Attacke ist nicht erkennbar. Die Gruppe hatte, wie Überwachungsvideos von der weitverzweigten Station zeigen, schon vorher am Abend Passanten bepöbelt und attackiert. Die Jugendlichen wollten Streit, unbedingt. Dann umringten sie ihr Zufallsopfer, das mit einem Freund auf einer Bank den Zug zur Disco abwartete. Nach einem „Was guckst du?“ stach Elias unvermittelt zu. Mel D. wollte fliehen, brach aber zusammen und starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Die Videobilder führten am Montag vergangener Woche zur Festnahme des Täters (JF 21/10). Auch vier andere der Gruppe wurden rasch gefaßt.

Der geständige Täter (Vater Afghane, Mutter Serbin) und seine zwei Intensivtäter-Brüder machten bereits in der Vergangenheit durch Gewalt gegen Anwohner in der Hamburger Neustadt (Innenstadt) auf sich aufmerksam. Warnungen an die Politik verhallten, die Polizei kennt den Täter, seit er mit zehn Jahren erstmals wegen Körperverletzung angezeigt wurde. Er wird in einer Intensivtäterdatei geführt, und so erkannten ihn jetzt Ermittler.

Dies ist nur eine der äußert brutalen jüngsten Attacken in Hamburgs Bussen und Bahnen (JF 15/10). Die Täter sind dabei meist jugendliche Zuwanderer, die Opfer Deutsche, was beispielsweise die Afghanen Hamburgs zunehmend erbost – viele von ihnen äußern in Internetforen, sie würden anders wahrgenommen, wenn Hamburgs Justiz endlich unabhängig von Herkunft und ohne Altersboni oder falsch verstandene Liberalität Recht sprechen und grundsätzlich angemessene Urteile bei schweren Verbrechen verhängen würde.

Doch davon sind die Verantwortlichen weit entfernt. Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) sagt: „Es muß dann aber auch eine angemessene Strafe folgen, die sowohl eine abschreckende Wirkung hat, aber zugleich auch die Täter in unsere Wertegemeinschaft zurückholt.“ Er fordert Konsequenzen bei der Justiz – vom Sparen an unterbesetzten Gerichten, von der politischen Verantwortung und falschen politischen Vorgaben ist freilich keine Rede. In einer Stellungnahme von vier Senatoren der schwarz-grünen Koalition – Ahlhaus, Till Steffen (Justiz), Christa Goetsch (Bildung) und Dietrich Wersich (Soziales) – behandelt die Koalition das gravierende Problem, als sei es eine Verwaltungsfachfrage: „Wir haben unsere Behörden beauftragt, das Fallgeschehen gemeinsam aufzuarbeiten. Im Mittelpunkt werden dabei die individuellen, familiären und strafrechtlichen Vorgeschichten der Jugendlichen sowie die staatlichen Maßnahmen stehen“ – also die Täter.

Eine in Hamburg nicht neue Entwicklung: Vor gut zehn Jahren erlangte bekanntlich ein Richter, der diese Zustände nicht hinnehmen wollte, aus dem Stand mit seiner Partei gut ein Fünftel aller Wählerstimmen: Ronald Schill.  Bei seinen Kollegen stieß „Richter Gnadenlos“ schon vorher auf wenig Gegenliebe – Kollegen wie Achim Katz. Der Jugendrichter sagte jetzt, es gebe etliche junge Männer mit einem Vorstrafenregister wie Elias, aber die würden nicht alle zu Mördern. Katz kennt, wie er selbst sagt, die Akte Elias „nicht im Detail“, gehört aber seit Jahren zu den Richtern, die einschlägig straffällige Jugendliche immer wieder laufenlassen. Die universell-ideologische Begründung liefert er auf seiner Internet­seite: Harte Strafen nützten nichts, das habe auch die Forschung erwiesen.

Um gar nicht erst in den Verdacht zu kommen, dies zu mißachten, verurteilte er vor Jahren eine 16jährige nach erneuter schwerer Körperverletzung und räuberischer Erpressung lediglich zum Anti-Streß-Training. Die Täterin bekam Urlaub auf Staatskosten, ihre Opfer danach noch Drohbriefe von ihr.

Seither ist die Zeitspanne zwischen Tat und Prozeß noch größer geworden. Elias sollte sich ohnehin in diesen Tagen vor Gericht verantworten – wegen schwerer Körperverletzung, wie Justizsprecher bestätigen. Bereits dreimal hatte die Staatsanwaltschaft ihn angeklagt – folgenlos. Auch der jetzige Prozeß wagt nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Es wird keine Anklage wegen Mordes geben, keine niederen Motive also.

In einem ähnlichen Fall kamen gerade zwei jugendliche Täter aus der Untersuchungshaft frei. Die zuständige Große Strafkammer 27 des Landgerichts Hamburg hatte den Urlaubswünschen einer Richterin Priorität vor einem rechtsstaatlich fristgerechten Prozeß eingeräumt. Dank Aschewolke saß die Beurlaubte dann in Spanien fest. Daraufhin mußten Berhan I. (17) und Onur K. (17) freigelassen werden. Sie hatten einen 44jährigen Deutschen so verprügelt, daß er starb. Sein Vergehen: Er hatte den Tätern keine 20 Cent geben wollen.

Angesichts solcher Prozeßverschleppung ist es kein Wunder, wenn Zeugen keine verwertbaren Aussagen mehr liefern und „eindeutige Beweise“ fehlen. Doch statt darüber zu sprechen, fordern SPD-Politiker nun ein Waffenverbot in der U-Bahn. Was soll es bringen, wenn selbst geständige Mörder nicht als solche verurteilt werden? Politische Schnellschüsse aus der Hexenküche derer, die schon vor neun Jahren wegen der gleichen Versäumnisse vom Wähler abgestraft wurden, lassen wenig Hoffnung auf Besserung aufkeimen. „Wo sind die Lichterketten gegen die Verbrecher?“ fragt ein weiteres Graffito am Tatort – die bittere Antwort: Für vermeintlich unpolitische Opfer gibt es keine.

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