© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Die Angst vor dem endgültigen Verschwinden
Sudetendeutscher Tag: Während Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer vom Fußball redet, sorgen sich viele Sudetendeutsche um ihr Erbe
Ekkehard Schultz

Wir werden hier immer weniger.“ Oft waren am vergangenen Wochenende auf dem Sudetendeutschen Tag in den Augsburger Messehallen diese resignativen Worte zu vernehmen. Und tatsächlich werden die Lücken, die das Verschwinden der Erlebnisgeneration reißt, auf der traditionellen Großveranstaltung der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) immer größer.

Um so stärker bemühten sich die Redner darum, gegen diese verbreitete Stimmung anzukämpfen und Zuversicht zu wecken. So forderten sowohl der Vorsitzende der Landsmannschaft, Franz Pany, als auch der Sprecher der sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt, immer wieder dazu auf, trotz „vieler Rückschritte“ den „Mut nicht zu verlieren“. Vielmehr dürften auch die „positiven Zeichen“ nicht übersehen werden.

Als ein solches Zeichen bewerteten Pany und Posselt den am Jahrestag des Kriegsendes im Abendprogramm des tschechischen Fernsehens gesendeten  Dokumentarfilm „Töten auf tschechische Art“ (JF 21/10). In dieser Produktion des tschechischen Regisseurs David Vondracek werden Originalaufnahmen der  Massenmorde an deutschen Soldaten und Zivilisten um den 8. Mai 1945 in der damaligen Tschechoslowakei gezeigt. Pany wertete den Film als deutlichen Fortschritt, da die an den Sudetendeutschen begangenen Verbrechen klar benannt würden. Allein die Tatsache, daß er überhaupt ausgestrahlt werden konnte, deute darauf hin, daß das Eis zwischen Tschechen und Sudetendeutschen immer mehr Risse bekomme. Posselt bezeichnete  die Ausstrahlung des Films als Meilenstein. Die damit verbundene „Anerkennung von gegenseitiger Schuld“ könne den weiteren Weg zu einer Aussöhnung ebnen. Darüber hinaus belege der Film, daß ein „steter Tropfen am Ende auch den festesten Stein“ aushöhle. Doch dieser Optimismus wird nicht von allen Vertriebenen geteilt. „Die Dokumentation zeigt, was sich auch an Hunderten von Orten abgespielt hat. Leider will hier in Deutschland kaum jemand etwas davon wissen“, sagte ein älterer Sudetendeutscher.

Auch bei anderen Veranstaltungen wurde auf dem Sudetendeutschen Tag  über die Möglichkeiten der Erinnerungsarbeit an die ehemalige Heimat sowie die Vertreibung diskutiert. Denn gerade in den vergangenen Jahren wächst bei der älteren Generation die Sorge, daß mit ihnen die Erinnerung an die über 800jährige deutsche Geschichte in den böhmischen Ländern verschwinden könnte.

Einen wichtigen Beitrag, um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, sieht die Landsmannschaft in der Errichtung eines Sudetendeutschen Museums. Bereits 2007 beauftragte der Stiftungsrat der Sudetendeutschen Stiftung die Augsburger Historikerin Marita Krauss, eine Konzeption zu erstellen. Demnach soll sich die Präsentation einerseits am Stand der aktuellen wissenschaftlichen Forschungen orientieren, andererseits jedoch auch der Erlebnisgeneration die Möglichkeit geben, sich noch einmal aktiv einzubringen. Die Finanzierung dieses Vorhabens birgt jedoch Risiken, da das Museum nicht nur mit Mitteln des Landes Bayern, sondern auch mit Mitteln des Bundes errichtet werden soll. Viele Sudetendeutsche fürchten daher ähnliche Schwierigkeiten wie beim Vertriebenenzentrum in Berlin.

Der bayerischer Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hielt die Rede auf der Hauptkundgebung am Sonntag. Gleichwohl zeigten sich viele Besucher von den Ausführungen Seehofers enttäuscht, in denen er zwar mehrfach die Leistungen der heimatvertriebenen Sudetendeutschen für den Freistaat würdigte, ansonsten jedoch lieber seine Eindrücke von dem am Vortag vom Fußballverein  Bayern München verlorenen Champions-League-Finale gegen Inter Mailand vermittelte und zudem die hohen finanziellen Bürgschaften Deutschlands für Griechenland als „alternativlos“ verteidigte. An diesem Eindruck vermochte auch Seehofers Ankündigung, im Herbst in Begleitung von sudetendeutschen Repräsentanten zu einem offiziellen Besuch nach Prag zu reisen, nur wenig zu ändern, zumal er bereits ausdrücklich vor „zu hohen Erwartungen“ warnte.

Deutlich positiver wurde dagegen die Dankrede der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, aufgenommen, die für ihr Engagement für das Zentrum gegen Vertreibungen den Europäischen Karlspreis der SL erhalten hatte. Steinbach forderte die Abschaffung der „Vertreibungs- und Entrechtungsgesetze“, zu denen sie die Beneš-Dekrete zählte. Es schade der Europäische Union „in der Substanz, wenn menschenrechtsfeindliche Gesetze nach wie vor praktiziertes Recht“ seien, sagte Steinbach.

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