© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Pankraz,
G. B. Shaw und der Weltnichtrauchertag

Kommenden Montag, am 31, Mai, ist „Weltnichtrauchertag“. Frühere Weltnichtrauchertage standen unter Titeln wie „Sportler und Künstler rauchen nicht!“ oder „Film und Fernsehen: Mit Schall ohne Rauch!“ Aber das war offenbar nicht wirksam genug, und so hat sich die  Weltgesundheitsorganisation (WHO) heuer zu einem ganz aggressiven Generalthema entschlossen: „Die Marketing-Strategien der Tabak-industrie!“ Man will das Übel endlich an der Wurzel packen; nicht die Konsumenten, sondern die Produzenten werden diesmal ins Visier genommen.

Auch für die Tabakindustrie gilt freilich, was für die Industrie insgesamt gilt: Ohne spontane  Nachfrage keine Produktion. Auch das raffinierteste, hinterhältigste Marketing kann daran nichts ändern. Glaubt die WHO denn wirklich, man müsse nur die Verkaufstricks der Tabakhändler „entlarven“ und „brandmarken“, und schon werde nicht mehr geraucht? Das wäre reiner Köhlerglaube, zielte völlig an den Tatsachen des Alltags vorbei.

Es gibt ja schon längst keine Tabakreklame mehr, geschweige denn ein ausgedehntes, werbe-wissenschaftlich untermauertes Marketing. Plakate und Zeitungsanzeigen für Tabakkonsum sind verboten. Auf jeder Zigarettenschachtel muß ausdrücklich auf die gesundheitsschädlichen Folgen des Rauchens hingewiesen werden. An faktisch keinem öffentlichen Platz darf mehr geraucht werden, es gibt keine Raucherzimmer mehr, keine Raucherabteile, allenfalls „Raucherzonen“, deren Hinweisschilder klingen, als werde man in ein Ghetto eingewiesen.

Trotzdem hat sich das Kontingent überzeugter Raucher nicht verringert, es steigt sogar wieder an, speziell bei Jugendlichen. Zu den traditionellen Reizen und Genüssen des Rauchens ist ein weiterer getreten: der Reiz des Verbotenen, Tabuisierten und Verwegenen. Das funktioniert ganz ohne Marketing. Und kein Gegen-Marketing kann daran etwas ändern, kein Horrorbild von „verteerten Atmungsorganen“, keine Warnung vor Tabakblasenfuß, Tabaklunge, Tabakmosaikkrankheit oder rasant gestiegener Tabaksteuer.

Pankraz, von Haus aus Nichtraucher und loyaler Staatsbürger, betrachtet das sichtbare Versagen der behördlichen und weltgesundheitlichen Anti-Raucher-Kampagnen mit Genugtuung, ja sogar mit etwas Schadenfreude. So mächtig, so hysterisch und so umfassend medienpräsent – und doch so ohnmächtig! Das ist ein sehr lehrreiches Exempel. Druck erzeugt Gegendruck, und Überdruck löscht den Gegendruck nicht automatisch aus. Man darf darauf hoffen, daß sich die Debatte allmählich liberalisiert und den Rauchern wieder mehr Verständnis und Gerechtigkeit widerfahren läßt.

Rauchen war ja seit Jahrhunderten eine hochsublimierte abendländische Kulturübung und ging als solche in die Geistesgeschichte ein. Es stand für Gelassenheit und männliche Nachdenklichkeit. Man denke nur an das legendäre „Tabakskollegium“, das Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. im 18. Jahrhundert eingerichtet hatte, um dort mit erstklassigen Räten schwierigste Staatsentscheidungen vorzubereiten! Oder an jenen hochelitären, zigarrenrauchgeschwängerten Londoner Club, in dem – laut Jules Verne – von gutgelaunten britischen Gentlemen die berühmte „Reise um die Welt in 80 Tagen“ ausgeheckt wurde!

Unter den deutschen Geistesgrößen hatte nur Goethe etwas gegen Raucher (er hatte auch etwas gegen Hunde und Brillenträger). Unter den Studenten des Vormärz gehörte die ellenlange Meerschaumpfeife mit Porzellandeckel geradezu zur revolutionären Grundausrüstung. Wilhelm Busch hat ihr unsterbliche Verse gewidmet. Karl Mays Kara Ben Nemsi griff stets mit Wonne und bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Nargilee, der unvergleichlichen orientalischen Wasserpfeife. Und Old Shatterhand trug immer mehrere der edlen, aus heiligem Ton gefertigten indianischen Friedenspfeifen um Hals und Nacken.

Was die Zigaretten betrifft, so waren sie geradezu Markenzeichen des gehobenen, qualitätsvollen Hollywood-Films zwischen 1925 und 1955. Jeder Drehbuchschreiber hatte das zu berücksichtigen und entsprechende Regieanweisungen in sein Skript einzuarbeiten.  Alle großen Filmschauspieler der großen Filmzeit, nicht nur Charlie Chaplin und Humphrey Bogart, rauchten damals ununterbrochen Zigaretten. Die Palette dessen, was sie damit jeweils ausdrücken wollten oder unterschwellig zu erkennen gaben, war höchst umfangreich und wurde von allen Zuschauern verstanden.

Von dieser Art Raucherkultur ist weniger als nichts übrig geblieben. Jeder Blick in farbige Magazine oder Modejournale belehrt uns, daß die Stars, ob Männer oder Frauen, ob Machos oder Softies, grundsätzlich ohne jeden Rauch zu erscheinen haben. Keine einzige Fluggesellschaft mehr, die in ihren Maschinen das Rauchen auch nur phasenweise noch erlaubte, auch keine Vorstandssitzung oder Redaktionskonferenz mehr, schon der „unfreiwilligen Mitraucher“ wegen. Der allgemeine Drang zur Volksgesundheit ist erbarmungslos, hat in seinem Eifer jedes Gefühl für Freiheit und Maß verloren.

Dabei kann jeder sehen: Auch in Fragen der Gesundheit kommt es stets auf das rechte Maß an, alles ist eine Frage der richtigen Dosierung. Es gibt kein „Gift an sich“, wie schon Paracelsus wußte, nur giftige Dosierungen. Und Ähnliches gilt nicht minder für die sogenannten Genuß-, Rausch- und Aufputsch- bzw. Beruhigungsmittel, nicht zuletzt fürs Rauchen. Leidenschaftliche Raucher, wie etwa George Bernard Shaw oder Ernst Bloch, sind bei guter Gesundheit weit über neunzig Jahre alt geworden. Jeder Mensch ist eben verschieden, und letztlich ist jeder seines eigenen Glückes Schmied.

Natürlich will jeder Vernünftige gesund bleiben und schätzt dankbar medizinischen Rat. Doch er legt sich quer, wenn Regierungen und bürokratische Weltorganisationen ihm bis in die kleinsten, privatesten Einzelheiten hinein vorschreiben wollen, was er zu tun und zu lassen habe. Das verletzt seine Freiheit, und Freiheit gehört zur Gesundheit.

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