© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Asche, weiß wie Schnee
Schalk im Nacken: Ein Meister-Eckhart-Monolog in der Berliner Theaterkapelle
Harald Harzheim

Etwas mehr Meister Eckhart täte manchem gut“, riet der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung seinen Lesern. Martin Heidegger entlieh ihm den „Gelassenheits“-Begriff, Erich Fromm ließ sich von seiner Definition von umfassender Liebe inspirieren, und Christoph Schlingensief zeigte sich jüngst von dessen „Hypergott“ beeindruckt. Sogar ein Meister-Eckhart-Preis wird alle zwei Jahre ausgelobt (Preisträger unter  anderem Claude Lévi-Strauss, Richard Rorty und Ernst Tugendhat).

Die mystischen Spekulationen des Meister Eckhart,  die zu seinen Lebzeiten mit der Amtskirche kollidierten, gehören seit dem 19. Jahrhundert zu den wichtigsten Quellen westlicher Spiritualität. Ihre Wirkung geht weit über den religiös-philosophischen Bereich hinaus. Auch Politiker wie der Anarchist Gustav Landauer wurden durch sie geprägt. Andererseits versuchten NS-Ideologen wie Alfred Rosenberg vergeblich, den Meister in eine SA-Uniform zu zwängen. Sogar Sektenguru Osho (alias Baghwan) riet seinen westlichen Anhängern, sich weniger mit Buddha, sondern mehr mit Meister Eckhart zu beschäftigen: Schließlich weise beider Denken große Ähnlichkeit auf. Die Ethik des Dominikanermönchs gipfelte in der Forderung, die Grenze zwischen Leben und Tod zu überwinden, eine tiefe „Gelassenheit“ in der Einheit mit Gott zu erfahren.

„Ich und Gott sind eins!“ lautet folglich der Titel des Meister-Eckhart-Monologs von Harald-Alexander Korp. Diese bislang erste Bühnenadaption vom Leben des 1260 bei Gotha geborenen Mystikers kam jetzt anläßlich des 750. Geburtsjahrs zur Aufführung.

Spielort ist die „Theaterkapelle“ an einem Friedhof in Berlin-Friedrichshain. In der wird tagsüber getrauert und beerdigt, während man abends darin Theater spielt. Danach lädt die Gewölbebar, „Knochenbox“ genannt, zu einem Drink auf gemütlichen Sperrmüllmöbeln nebst Konzerten und Performances. (Die Kombination von Friedhof und Bühne ist übrigens nicht neu: Schon um 1900 errichtete der Kurort Freudenstadt sein Theater direkt auf dem Gottesacker.)

Daß dieses ungewöhnliche Kulturzentrum sich als idealer Aufführungsort erwies, liegt an seiner „kirchlichen“ Atmosphäre. Der weiße Wandputz und das hölzerne Gewölbe werden direkt ins Bühnenbild  (Marc Löhrer) verlängert, schließlich ist der Schauplatz eine Mönchszelle, in der Meister Eckhart (Werner H. Schuster) an einem Herbsttag auf sein Verhör wartet. 28 seiner Thesen soll er widerrufen. Eckhart probt den Auftritt vor dem Inquisitionstribunal, formuliert seine Verteidigungsrede.

Dabei sitzt ihm kräftig der Schalk im Nacken. Werner Schuster präsentiert die Figur zunächst witzig-skurril, läßt ihn über die scholastischen Haarspaltereien seiner Gegner spötteln. Oder er füttert sein „Haustier“, eine Grille, mit der Heufüllung seines Kopfkissens. Einmal stellt er sein Bett aufrecht und nutzt es als Kanzel für rhetorische Übungen. Nein, Widerruf kommt für ihn nicht in Frage. Wie kann er zurücknehmen, was er als Wahrheit erkannt hat? Und wieso sollte er das einfache Volk verwirren, weil er nicht in Latein, sondern in deutscher Sprache predigt?

Zugleich aber halluziniert er spionierende Mönche hinter der Zellenwand. Seine Zuversicht verblaßt. So greift er zu seinem berühmten „Trostbuch“, aber die eigenen Sätze überzeugen nicht mehr. Überhaupt: „Soll man die Menschen immer trösten?“ fragt er sich.

Die Unsicherheit lädt zur Reise in die eigene Vergangenheit, zu seiner Prediger- und Lehrtätigkeit in Straßburg, Köln und Paris – bis schließlich seine finstere Seite herausplatzt. Er bekennt, als Dominikaner ein „Spürhund Gottes“, seinerseits Inquisitionsurteile unterzeichnet zu haben. Und bestreitet jeden Einfluß durch die französische Mystikerin Margareta Porete, die man als Ketzerin verbrannte. All das spricht der Prediger in donnerndem Ton, wandelt sich vom Verfolgten zum brüllenden SA-Eckhart à la Rosenberg.

Aber in der folgenden Nacht träumt er von der Verleugneten: Auf der Folterbank gestreckt, fleht Margareta ihn um Hilfe an. Jetzt bricht sein Panzer. Eckhart erzählt von beider Treffen, daß er in ihr eine Schwester im Geiste erkannte, für sie empfand, was man mit „Liebe“ übersetzen kann. Als die Inquisition sie in Paris verhaften und verbrennen ließ, sah Eckhart nur noch ihre „Asche, weiß wie Schnee“. Sie hatte sich geweigert zu widerrufen. Diese Kraft besitzt der große Mystiker nicht. Eckhart weiß, daß er widerrufen wird.

Da entdeckt er, daß es zu schneien beginnt. Eine letzte Euphorie überkommt ihn. Den Zuschauer hingegen packt das Grauen – wurde doch Schnee mit der verbrannten Margareta Poreta assoziiert. Sind es ihre Aschenflocken, die Eckhart fallen sieht? Schon bald wird er ihr folgen.

Historisch ist unklar, ob der 1328 verstorbene Mystiker wirklich widerrufen hat. Als Dokument existiert lediglich die Bulle des Papstes Johannes XXII. Ohnehin ist bei sowenig Gesichertem jede Biographie großteilig spekulativ. So bleibt fraglich, ob Eckhart wirklich Person und Werk Margareta Poretes kannte. Immerhin bewegt sich Harald-Alexander Korps Monolog im Rahmen des historisch Möglichen. Daß es eine interessante Möglichkeit bleibt, daran haben das intensive Spiel Werner Schusters und der steile Spannungsbogen der Regie (Boris A. Knop) hohen Anteil.

Die Produktion wird nochmals am 4. und 5. Juni, jeweils um 21 Uhr, in der Berliner Ölberg-Kirche, Lausitzer Straße 28, gezeigt. Kartenbestellung unter Telefon: 0 15 78 / 75 61 775. Vorstellungen in anderen Städten sind in Planung. Termine im Internet unter www.playeckhart.info

Kurt Flasch: Meister Eckart. Philosoph des Christentums, C.H. Beck, 2010, gebunden, 272 Seiten, 24,95 Euro

Rolf Stiller: Meister Eckhart. Das Brennholz Gottes, Verlag Josef Knecht, Freiburg i.B. 2010, kartoniert, 300 Seiten, 9,95 Euro

Thomas Polednitschek (Hg.): Meister Eckhart: Philosophisch leben. Verlag Herder, Freiburg i.B. 2010, gebunden, 160 Seiten, 14,95 Euro

Foto: Ältestes Fragment der Predigt 5b von Meister Eckhart: Eines der frühesten Zeugnisse der gesamten Eckhart-Überlieferung überhaupt; ein Bild von ihm ist nicht bekannt

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen