© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Weckruf
Karl Heinze

Ursula Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, läßt sich durch die Strategen ihrer Partei, die auf Koalitionsfähigkeit setzen und daher zur Mäßigung raten, nicht den Schneid abkaufen. Sie ist und bleibt empört über die Diskreditierung der DDR und will dies offen bekunden dürfen. Dabei treten sogar grundsätzliche Ressentiments gegen Geheimdienste, die bei ihr ansonsten desöfteren durchscheinen, in den Hintergrund. Die einstige DDR-Auslandsaufklärung scheint sie sogar regelrecht ins Herz geschlossen zu haben. Deren Veteranen, die sich jüngst zum gemütlichen Austausch von Erinnerungen an die gute, alte Zeit in Strausberg versammelten, übersandte sie eine „solidarische“ Grußadresse, in der sie sich darüber beklagt, daß so viele von ihnen „für ihren mutigen Einsatz für den Frieden nach dem Ende der DDR mit Gefängnis bestraft“ wurden.

Anders als viele andere Funktionsträger ihrer Partei, die in ihrer Vita nachrichtendienstliche Tätigkeiten vorzuweisen haben, ist Ursula Jelpke in dieser Frage von ehernen Grundsätzen geleitet und nicht von dem Bemühen, ihre eigene Biographie zu verarbeiten. In der Zeit der Teilung lebte sie im Westen und spielte dort lange eine führende Rolle im Kommunistischen Bund. Dieser gehörte zu der bunten Vielfalt der sogenannten „K-Gruppen“, die aus der 68er-Bewegung hervorgegangen waren und abseits des von der SED finanzierten DKP-Netzwerks eine Revolution nach eigenem Gusto ersehnten. Folglich wurden sie von der DDR mit Argwohn betrachtet und nachrichtendienstlich ausgespäht. Möglicherweise ist damals sogar Ursula Jelpke ins Fadenkreuz der DDR-Auslandsaufklärung geraten, in diesem Fall wäre ihr Grußwort als ein Beispiel für das häufige psychologische Phänomen aufzufassen, daß Opfer eine positive emotionale Bindung zu Tätern aufbauen.

Ihrer Partei und deren Ambitionen schadet sie durch die Anteilnahme am Schicksal der verkannten „Kundschafter des Friedens“ nicht. Im Gegenteil: Durch ihren Einzug in westdeutsche Länderparlamente und den schleichenden Terraingewinn ehemaliger Sozialdemokraten, die über die WASG zur Linken gefunden haben, droht dieser der Identitätsverlust als Regionalpartei, die das Erbe der DDR hoch hält.

Ursula Jelpkes Grußwort ist daher zugleich ein Weckruf: Eine westdeutsch geprägte Linke muß um ihre Massenbasis in Osten bangen. Wer ihre Traditionslinie zur SED abreißen läßt, nimmt den Menschen, die der DDR nachtrauern, das letzte Refugium, das sie mit der Welt von heute versöhnt.

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