© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Frisch gepresst

Leben in der Krise. Kein Wohngeld, kein Hartz IV, Renten auf dem niedrigsten Niveau – wo in der Bundesrepublik die Sozialverbände gegen „menschenunwürdige“ Zustände vor Gericht ziehen würden, üben sich Bürger im Osten Europas in Pragmatismus. Das System Eigenversorgung hat dort schon eine lange Tradition, die Datscha war in Zeiten der sozialistischen Mangelwirtschaft in der Sowjetunion einziger Garant für Abwechselung bei frischem Obst und Gemüse. Heute halten sich weite Teile der Bevölkerung mit den Erzeugnissen über Wasser, auch wenn der allgegenwärtige Supermarkt keinerlei Versorgungsengpässe mehr zuläßt. Kai Ehlers hat diesen konsumistischen Wirtschaftskosmos genauer beleuchtet, dem er auch bei angenommener Prosperität in Putins Rußland nicht nur eine Zukunft, sondern sogar das Zeug zum Exportschlager attestiert. Vielleicht wird das System Datscha schon in nicht allzu ferner Zeit auch hierzulande seinen Beitrag zur Grundversorgung leisten müssen (Kartoffeln haben wir immer. Überleben in Rußland zwischen Supermarkt und Datscha. Horlemann Verlag, Bad Honnef 2010, broschiert, 254 Seiten, Abbildungen, 14,90 Euro).

 

Königsberger Studenten. Jahrzehntelang mußte zu Emil Popps besserer Broschüre (1955) greifen, wer etwas über das Königsberger Studentenleben erfahren wollte. Erst 1995 legte Torsten Thamm eine sehr dichte, allerdings nur die Zeit von 1918 bis 1945 erfassende Studie über das Korporationsstudententum an der Albertus-Universität vor. Seit 2005, als Rüdiger Döhler das Material zur Geschichte des Corps Masovia edierte, scheint aber der Bann gebrochen. Vor einigen Wochen kam Hans-Georg Balders Gesamtdarstellung des Königsberger Korporationslebens heraus (JF 19/10), und gleichzeitig präsentiert der unermüdliche Döhler zusammen mit Georg von Klitzing zwei wuchtige Bände, die das Lebenswerk des Kieler Anwalts Siegfried Schindelmeiser (1901–1986) enthalten. Dieser gebürtige Ostpreuße entfaltet darin auf hundert Seiten zunächst seine Forschungen über „Die Albertina und ihre Studenten“ von 1544 bis 1851. Der sich anschließende Hauptteil seiner Arbeit gilt jedoch der detaillierten Rekonstruktion der Geschichte des Corps Baltia II (1851–1934). Um spezialistischer Verengung zu entgehen, ist Schindelmeiser bemüht, die Schicksale der relativ überschaubaren studentischen Gemeinschaft zeithistorisch einzubetten, dabei für die Weimarer Jahre den unüberbrückbaren Graben zwischen der preußischen Prägung des Corps und dem Nationalsozialismus profilierend (Die Albertina und ihre Studenten 1544 – WS. 1850/51 und Die Geschichte des Corps Baltia II zu Königsberg. Aventinus Edition, München 2010, 2 Bände, zusammen 1.119 Seiten, Abbildungen, 149,80 Euro).

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