© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Schiffbruch am Kap
Gescheitertes Multikultopia: Ein umgekehrter Rassismus stürzt Südafrika ins Chaos
Michael Paulwitz

Die Fußballbegeisterten aus aller Welt, die in diesen Wochen zur WM nach Südafrika reisen, kommen in ein Land, in dem sich ein seltsames Experiment vollzieht: die Transformation eines westlich geprägten Industriestaats in ein Entwicklungsland. Gut anderthalb Jahrzehnte nach Ende der weißen Vorherrschaft ist die mit viel Vorschußlorbeeren bedachte multikulturelle Utopie der Regenbogennation gescheitert, das Land gespalten, die wichtigsten Entwicklungsindikatoren des Landes weisen inzwischen rasant nach unten. Übrig ist die rosa Brille, mit der politische und mediale Schönredner auf das Chaos am Kap blicken.

Wer Südafrika heute als Schwellenland bezeichnet, sollte hinzufügen, daß die Republik an der Schwelle zur Kellertreppe steht. Das gefährlichste Land der Welt, in dem in einem Jahr mehr Menschen gewaltsam zu Tode kommen als in Afghanistan unter Kriegsbedingungen, leidet unter ausufernder Kriminalität und dem Niedergang der Sicherheitskräfte, unter der Ausbreitung von Aids und dem Verfall des Gesundheitssystems, unter der Ausbreitung der afrikanischen Krankheiten Korruption und Vetternwirtschaft, einem rasanten Anstieg der Arbeitslosigkeit und hoher Armutsrate trotz aller kostspieligen WM-Infrastrukturprojekte, unter zunehmenden Versorgungsengpässen zum Beispiel bei der Energieversorgung, dem schleichenden Zusammenbruch von Bildungswesen, öffentlicher Infrastruktur und Rechtsstaatlichkeit.

Das größte Problem des neuen Südafrika ist indes ein altes: Rassendiskriminierung und Rassenhaß. Lediglich die Vorzeichen haben sich geändert. Offener Haß Schwarzer auf Schwarze trifft vor allem Einwanderer aus benachbarten afrikanischen Krisenstaaten wie Simbabwe, während Südafrikas Weiße einem System vielfältiger Diskriminierung von der institutionellen Benachteilung bis zur geduldeten systematischen Gewalt, Raub und Mord unterliegen: Zwanzig Prozent der Weißen haben das Land schon verlassen, so Flip Buys, Vertreter der weißen Minderheit im JF-Interview (siehe Seite 3). Doch die gut ausgebildeten weißen Leistungsträger werden in die Emigration getrieben, ohne daß die neuen Herren sie ersetzen könnten.

Ein gängiges Erklärungsmuster versucht jegliche Mißstände als Folge der Entmündigung und Entrechtung der schwarzen Bevölkerung unter dem System der Apartheid zu entschuldigen. Doch daß unsere Führer einfach die Ausbeutungsmentalität ihrer einstigen Unterdrücker kopiert hätten, wie der Kolumnist Moeletsi Mbeki, Bruder des Ex-Präsidenten Thabo Mbeki, kritisiert, ist allenfalls ein kleiner Teil der Wahrheit. Mit der Verdrängung der Buren und Engländer gehen auch die europäischen Maßstäbe, nach denen sie den Staat einst aufgebaut haben. Die Machtübernahme des ANC 1994 bedeutete einen fundamentalen kulturellen Paradigmenwechsel, der Südafrika in eine vorhersehbare Krise geführt hat.

Die Blauäugigkeit und ideologische Voreingenommenheit westlicher Meinungsmacher und der von ihnen getriebenen Politiker hat daran beträchtlichen Anteil. Daß es sich beim ANC nicht um eine friedliche Bürgerrechtsbewegung, sondern um eine terroristische Organisation handelt, die vor allem im letzten Jahrzehnt das alte Südafrika durch massiven Terror und systematische Aufstachelung zur Gewalt Schwarzer gegen Schwarze zu destabilisieren suchte, übersah man in der westlichen Öffentlichkeit meist ebenso geflissentlich, wie man im Namen der guten Sache und der vermeintlichen Volksbefreiung auf fernen Kontinenten stets über die Verbrechen kommunistischer und sozialistischer Bewegungen von Mao und Ho Chi Minh bis zu Fidel Castro oder Nicaraguas Sandinistas hinwegzusehen pflegte.

Die Fortsetzung war die zumindest fahrlässige Illusion, daß eine Bewegung vom Schlage des ANC nach ihrer Machtergreifung im Bunde mit Kommunisten und revolutionären Gewerkschaftern zum Garanten multikultureller Aussöhnung und Erbauer eines liberalen Musterlandes werden würde. Um im Traumland zu bleiben, klammerte man sich an den zur Lichtgestalt verklärten Übergangspräsidenten Nelson Mandela und blendete geflissentlich aus, was das optimistische Bild vom schönen neuen Südafrika störte.

Ein Symptom dieser Ignoranz ist, daß die westliche Öffentlichkeit zwar einiges über Farmermorde und Staatsversagen in Simbabwe weiß, aber kaum je von den Tausenden ermordeten weißen Farmern in Südafrika gehört hat. Mandelas Nachfolger verhalten sich kaum anders als ihre Nachbarn in Simbabwe oder Namibia: Die eigene Klientel wird mit Umverteilung aus der vorhandenen Substanz befriedigt. Wenn sich die Krise verschärft, müssen die Weißen wieder als Sündenbock herhalten. Doch die Bevorzugung Schwarzer aufgrund rassischer statt fachlicher Kriterien durch das Black Economic Empowerment-Programm hat, wie jede positiv diskriminierende Quotenregelung, lediglich Niveaus abgesenkt und die Spaltung verschärft, auch innerhalb der schwarzen Bevölkerung.

Nur vereinzelt werden differenziertere Stimmen laut, die vor dieser Fahrt in den Abgrund warnen. Ironischerweise kommen diese oft aus denselben Wirtschaftskreisen, die einst um der besseren Wiedereinbindung Südafrikas in die globale Finanz- und Rohstoffwirtschaft willen den Druck zur Beendigung der weißen Vorherrschaft mit verstärkt hatten. Wenn Südafrika noch zu retten sein soll, ist eine Voraussetzung die Abkehr von multikulturellen Illusionen. Mit bloßem One man, one vote läßt sich ein multiethnisches Staatswesen nicht regieren, ohne daß strukturelle ethnische Mehrheiten die Minderheiten übervorteilen. Ein Vielvölkerstaat kommt nicht ohne extreme Föderalisierung und institutionelle Mechanismen zum Minderheitenschutz aus.

Das immerhin läßt sich aus dem Scheitern der Utopie der Regenbogennation lernen: Multikulturelle Gesellschaften, die Differenzen ignorieren, funktionieren nicht. Nirgends. Südafrikas Absturz ist somit auch ein Menetekel für die Zukunft Europas.

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