© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Jakob Augstein imponiert mit einem neuen Zeitungskonzept, überzeugt aber nicht.
Der Toskana-Gärtner
Michael Paulwitz

Ein prononcierter Linker, dem das ererbte Aktienpaket ein sorgenfreies Leben garantiert, eine schöngeistige Edelfeder, die Abgesänge auf den Zeitungsjournalismus anstimmt und trotzdem zum Verleger wird Jakob Augstein steckt voller Widersprüche. Aber er hat Erfolg: Seit er vor zwei Jahren die schwächelnde sozialistische Wochenzeitung Der Freitag (www.freitag.de) gekauft hat, ist aus dem dröge dahindümpelnden Textfriedhof für unzufriedene Linksintellektuelle wieder eine les- und zitierbare Stimme in der deutschen Presselandschaft geworden.

Regisseur wäre der 1967 in Hamburg geborene Erbe des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein auch gern geworden, Gärtner ist der dreifache Familienvater aus Leidenschaft. Den Freitag hat er neu inszeniert und nach seinen journalistischen Idealen gründlich umgepflügt: Kommentarfreudigkeit und eine enge Verzahnung von Lesern, Online-Nutzern und Redakteuren zu einer Community, die er wie einen Garten pflegen möchte. Zudem postuliert Augstein Abstand zum Politikbetrieb: Sie lügen alle! zitiert er sein Vorbild Gay Talese, Mitbegründer des New Journalism der sechziger Jahre: Politiker sollen Journalisten fürchten und Journalisten sollen Politikern mißtrauen. Die klassische Tageszeitung sieht er als Auslaufmodell. Als Beispiel nennt er ausgerechnet die Süddeutsche, wo er selbst sich nach dem Politikstudium von 1993 bis 2003 die journalistischen Sporen verdient hat und wo seine Halbschwester Franziska zur Autorenprominenz zählt.

In der Praxis fällt das Experiment mit dem Journalismus der Zukunft freilich ernüchternd aus: Die eifrig bloggenden Leser bzw. Nutzer, deren beste Beiträge ins gedruckte Blatt übernommen werden können, nehmen den Freitag-Anspruch als Meinungsmedium gern wörtlich und verbreiten zum Leidwesen des Verlegers statt Fakten, Argumenten und Urteilen meist Bauchgefühl und persönliche Befindlichkeiten, und die beschworene Distanz zur Politik gerät leicht zur Abgehobenheit. Der Chef bloggt über seinen Garten, ein Redaktionskollege über kulinarische Finessen Augsteins Freitag ist ersichtlich auch ein Wohlfühlort für arrivierte und saturierte Salon- und Toskana-Linke.

De facto mag Augstein mehr Bedeutung als Alleinvertretungsberechtigter des 24-Prozent-Anteils der Familie Augstein in der Spiegel-Gesellschafterversammlung haben, der auch bei den Hauskrächen des Hamburger Magazins trotz fehlender Sperrminorität stets ein Wort mitredet. Als Kommentator und Gast in Interviews und Gesprächsrunden hat er sich jedoch dank des Freitag seinen Platz im Medienbetrieb gesichert. Sein Stil ist klar und elegant; der pikant leibliche Sohn des Schriftstellers Martin Walser und der Updike-Übersetzerin Maria Carlsson, der späteren Ehefrau des Spiegel-Patriarchen, hat sein in die Wiege gelegtes literarisches Talent nicht verkümmern lassen. Guter Journalismus, glaubt Augstein, ist nur aus klarer Haltung heraus möglich. Da sind wir uns jedenfalls einig.

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