© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Immer jünger, betrunkener, linker
Kriminalität: Angesichts des dramatischen Anstiegs der Gewalt gegen Polizisten streiten die Politiker über eine Strafverschärfung
Marcus Schmidt

Vor mir standen circa 6.000 gewalttätige Demonstranten, die Steine und Flaschen flogen mir mit einer bis dahin nicht gekannten Intensität um den Kopf. Körperliche Angriffe wurden gemeinschaftlich verübt, Wurfgeschosse aus allernächster Nähe gezielt auf den Kopf geworfen: Was sich liest wie der Bericht aus einem Bürgerkrieg, sind die Erlebnisse eines 38 Jahre alten deutschen Polizisten.

Die Schilderung ist Bestandteil einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie über die wachsende Gewalt gegen Polizisten in Deutschland, die besorgniserregende Ergebnisse zutage gefördert hat. Demnach ist die Zahl schwerer Gewaltübergriffe auf Polizisten 2009 im Vergleich zum Jahr 2006 um 60,1 Prozent gestiegen, berichtete Nieder­sachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) bei der Vorstellung der ersten Ergebnisse der Studie in Berlin. Für die Untersuchung hat das vom Rechtswissenschaftler Christian Pfeiffer geleitete Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen die Fragebögen von mehr als 22.500 Polizisten ausgewertet. Dies ist ein drängendes innenpolitisches und gesellschaftliches Thema, sagte der Minister mit Blick auf die Zahlen und verwies darauf, daß bei Angriffen auf Polizisten bei Demonstrationen drei von vier Tätern Linksextremisten seien. Hier müsse die Gesellschaft genauso wie bei der Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalt gegensteuern: Wir brauchen ein Bündnis gegen linksextreme Gewalt, forderte er.

Doch sind es nicht allein die zunehmenden Ausschreitungen von Linksextremisten, die die Innenminister in der vergangenen Woche veranlaßt haben, auf ihrer Konferenz über Konsequenzen zu beraten. Die überwiegende Gewalt gegen Polizisten, das belegt die Studie eindrucksvoll, trifft die einfachen Streifenbeamten, die tagtäglich auf den Straßen unterwegs sind. Sie sehen sich immer häufiger zum Teil unvermittelter Gewalt ausgesetzt. Für Pfeiffer ist diese wachsende Zahl von Übergriffen ein Krisensymptom der Gesellschaft.

Demnach wurde fast jeder Streifenbeamte mehrmals im Dienst beleidigt, jeder zweite mußte körperliche Attacken hinnehmen, fast 27 Prozent wurden mit Fäusten geschlagen, zwischen acht und neun Prozent sogar mit Waffen angegriffen. All das zeigt, daß wir handeln müssen, sagte Schünemann, der aber zugleich auf erste Erfolge verwies. So sei die Zahl der besonders schweren Straftaten, die eine Dienstunfähigkeit der verletzten Polizisten von mehr als zwei Monaten nach sich ziehen, seit 2007 um 30 Prozent zurückgegangen.

Pfeiffer zeigte sich schockiert von den Schilderungen der Beamten, die Opfer eines Übergriffs geworden sind. Die Täter werden immer jünger, sagte der Kriminologe. Die Zahl der Angriffe von Jugendlichen auf Polizisten sei in den vergangenen Jahren um 80 Prozent gestiegen. Gleichzeitig stünden die Täter immer häufiger unter dem Einfluß von Alkohol. Die werden immer jünger, immer betrunkener, und wenn es sich um politische Dinge handelt, dann immer linker, faßte Pfeiffer die Entwicklung zusammen.

Die heikle Frage nach dem Anteil der Jugendlichen aus Einwandererfamilien an der Zunahme der Gewalt gegen Polizisten ließ Pfeiffer unbeantwortet. Die Frage komme vier Monate zu früh, sagte der Kriminloge. Allerdings sei dies ein interessanter Untersuchungsgegenstand, zumal die Polizeiliche Kriminalstatistik keine Aussage über einen möglichen Migrationshintergrund treffe. Sein Hinweis, daß man in anderen Ländern gute Erfahrungen mit ethnisch gemischten Streifenwagenbesatzungen gemacht habe, läßt ahnen, welche Rolle der Migrationshintergrund spielen dürfte.

So beunruhigend die Ergebnisse der Studie auch sind, die Forderung nach einer Strafverschärfung blieb nicht ohne Widerspruch (siehe auch Seite 2). Zwar einigten sich die Innenminister von Bund und Ländern mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger darauf, die Strafe für Widerstandshandlungen gegen Polizisten (Paragraph 113 Strafgesetzbuch) von zwei auf drei Jahre zu erhöhen.

Die Forderung der Innenminister, den gesetzlichen Schutz auch für Feuerwehrleute, Rettungskräfte oder Gerichtsvollzieher auszudehnen, lehnt die FDP-Politikerin ab. Sie sperrt sich auch dagegen, Angriffe auf Streifenbeamte, die nicht im Zusammenhang mit Vollstreckungshandlungen erfolgen, härter zu bestrafen. Schünemann hatte bei der Vorstellung der Studie darauf verwiesen, daß in diesen Fällen der Paragraph 113 in seiner jetzigen Form nicht zur Geltung komme und daher erweitert werden müsse. Widersetzt sich ein Gewalttäter bei einer Demonstration seiner Festnahme und verletzt einen Beamten, greift das Gesetz nicht aber, wenn ein Streifenpolizist unvermittelt angegriffen wird. Es wird kein Zweiklassenstrafrecht geben, das die Unversehrtheit von Polizisten höher bewertet als die von Bauarbeitern oder Bankangestellten, sagte die Ministerin dazu dem Hamburger Abendblatt und lehnte ein Sonderstrafrecht für Polizisten ab. Prävention sei wichtiger als Repression. Die von ihr mitgetragene Erhöhung des Strafmaßes bezeichnete sie selbst als marginale Änderung. Die Gewerkschaften zeigten sich denn auch enttäuscht von den Ergebnissen der Innenministerkonferenz.

An der Studie beteiligen sich zehn der sechzehn Bundesländer. Im Vorfeld der Untersuchung waren einige Fragen auf Kritik von Gewerkschaftern gestoßen, da sie als zu persönlich für die befragten Polizisten bewertet wurden. Daraufhin hatten Bayern, Hamburg, Sachsen, Nord­rhein-Westfalen und die Bundespolizei die Teilnahme an der Studie abgesagt.

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