© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Pankraz,
C. Venter und das synthetische Genom

Wir sind Gott, orgelte die Bild-Zeitung bedeutungsschwanger, und auch viele andere Medien ergingen sich in teils begeisterten, teils erschrockenen Ausrufen. Nun sei, behaupteten einige, das Rätsel des Lebens gelöst. Aber davon kann in Wirklichkeit überhaupt nicht die Rede sein. Der Schleier der Maja hat sich zunächst einmal eher verdichtet.

Was ist geschehen? Nun, an den von amerikanischen Pharmakonzernen hochdotierten Forschungsinstituten des bekannten Gen-Sequenzierers J. Craig Venter in Rockville (Maryland) und San Diego (Kalifornien) hat man die DNA, also die Erbinformation, eines besonders kleinen Bakteriums synthetisiert, d. h. man hat die Biomoleküle seines Genoms auf neuartige Weise zusammengeschnitten, und das Bakterium akzeptierte das und pflanzte sich fort, als sei nichts geschehen.

Ob es nun neue Eigenschaften entwickelt und welche, weiß man offenbar noch nicht. Auch über den Aufbau des synthetischen Genoms wird in den Artikeln, die bisher darüber erschienen sind, so gut wie nichts verlautbart. Alles ist noch Geschäftsgeheimnis, es geht möglicherweise um viel, viel Geld. Denn Bakterien beeinflussen das Leben jeder höheren Kreatur, nicht zuletzt des Menschen, und wer Macht über sie gewinnt, kann die Gesellschaft unter Umständen tiefgreifend verändern und steuern.

Keine einzige Pflanze, kein einziges Tier und auch kein Mensch vermag ohne Bakterien zu leben. Bakterien bilden die Darmfauna in den tierischen Verdauungsorganen, die den Stoffwechsel erst möglich macht. Bakterien sorgen unterirdisch dafür, daß den Wurzeln der Pflanzen Nährstoffe zugeführt werden; jeder Wald, jeder Feldrain ist gebunden an eine spezifische Bakterienkultur, allein sie läßt ihn blühen und gedeihen.

Andererseits sind viele Bakterien ein wahres Kriegergeschlecht, welches dauernd unterwegs ist, um irgendwo einzudringen und Tod und Verderben anzurichten. Ihretwegen müssen die Tiere und Pflanzen in ihrem Inneren und auf ihrer Oberfläche ganze Armeen von Abwehrkräften unterhalten, von Antikörpern. Doch die Bakterien verfügen über ein unheimliches Anpassungsvermögen, können sich gegebenenfalls (auch ohne synthetische Genome) im Nu auf neue Situationen einstellen. So gelingt es ihnen immer wieder, die Verteidigungslinie der Antikörper zu durchbrechen und tödlich aktiv zu werden.

Die neue Wissenschaftsdisziplin der synthetischen Genetik will natürlich nur segensreich wirken. Neue Bakterienstämme sollen geschaffen werden, die eventuell verschmutzte Flüsse und Meere reinigen, Böden fruchtbar machen, neue Impfstoffe ermöglichen. Doch die Gefahr, daß aus Wohltat Plage wird, ist gerade wegen der gewaltigen und so rätselhaften Reaktions- und Variationskraft der Bakterien riesengroß. Gerade synthetische Genome könnten da besonders leicht verwildern und grauenhaften Schaden anrichten.

Freilich, alles über mögliche Folgen der synthetischen Biologie ist noch reine Science-fiction. Die US-Regierung in Washington hat inzwischen signalisiert, daß sie das Treiben Craig Venters und der hinter ihm stehenden Konzerne genau beobachten und im Falle einer Verwilderung sofort eingreifen wird das war gut so. Jede Medienhysterie allerdings, jedes Geschwafel über Gottesgleichheit und Geheimnis des Lebens gelüftet, ist reiner, ruchloser Unsinn. Die synthetische Biologie wird den Menschen weder vergöttlichen noch in höllische Tiefen stürzen.

Sie ist nichts anderes als erweiterte Gentechnik und als solche ganz eng mit dem Rhythmus der Natur verbunden. So wie die Natur unentwegt Mutationen an lebendigen Leibern hervorruft und sie anschließend selektiert, so setzten schon die frühesten Landwirte Pflanzen und Tiere mutationsträchtigen Situationen aus und selektierten die Mutanten bedachtsam nach dem Prinzip höheren Ernteertrags und anderer Nützlichkeiten. Es gibt im Grunde nichts typisch Menschlicheres, Gottgewollteres als die Gentechnologie.

Ihre moderne Variante und Erweiterung, also die genaue Analyse von DNA-Sequenzen und möglichen Molekül-Kombinationen, ist kein erkenntnistheoretischer oder gar moralischer Qualitätssprung, sondern eine quantitative Ausweitung der bisherigen Praxis, die sich logisch aus dem Fortschritt der Wissenschaft ergibt. Für sie gelten die gleichen theoretischen und moralischen Standards wie für die übrige Wissenschaft auch.

Nicht seine fleißige Arbeit an Computer und Synthesizer sind Craig Venter zum Vorwurf zu machen, allenfalls sein in zahllosen Interviews bezeugter naiver Glaube, daß das Leben nichts weiter als eine bloße Maschine sei, eine Art Leseautomat, wo der Zellkern oder die Proteine oder sonstwer von der DNA abliest, wo es langzugehen hat daß man als Genforscher also lediglich an der DNA herumdoktern müsse, um sich zum Herrn des Lebens aufschwingen zu können. Der Herr wird sich wundern.

Längst hat ja die normale Biologie (siehe Manfred Eigen, Ernst Peter Fischer) hinreichend klargestellt, daß die DNA keine simplen Lesezeichen liefert. Die nackte DNA existiert in der Zelle gar nicht, vielmehr findet sich ein verwickeltes Gesamtgebilde, von dem die DNA nur ein integraler Teil ist, das in sich vielfach gefaltet und gebogen ist: keine Kette von Buchstaben, sondern etwas, das Fischer ein mehrdimensionales Gewebe nennt, welches eher an eine Plastik denn an ein Buch, einen Text erinnere.

Genome sind keine Lesebücher, sondern eine Art Raumfaktor in der Zelle, der die Ordnung der Struktur aufrechterhält. Ihre Sequenzierung verspricht allenfalls diagnostischen, keinen therapeutischen oder sonstwie praktischen Nutzen. Es kommt darauf an, sie mit einer Fülle zusätzlicher Faktoren in Beziehung zu setzen, die Wechselwirkungen zwischen den diversen Faktoren zu erforschen, zu vergleichen, wahrhaft zu experimentieren. Erst dann wird sich die synthetische Biologie auch geldlich lohnen.

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