© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Grüne Insel mitten im Moloch
Italien-Sehnsucht: Die Villa Massimo als Herberge für deutsche Künstlerseelen
Paola Bernardi

Der Lärm an der Piazza Bologna ist ohrenbetäubend. Die Stadt scheint jetzt am frühen Morgen eingeschmolzen im Lavastrom der Autos und Busse, ein Strom, der nicht abzureißen scheint. Dabei beginnt nur der ganz gewöhnliche römische Alltag. Nur wenige Minuten weiter, hinter hohen Mauern verborgen, breitet sich eine stille grüne Parklandschaft aus: die Deutsche Akademie Villa Massimo in Rom, ein wahres Refugium vor dem Lärm und Gestank der Stadt.

Hingelagert wie eine grüne Insel mit Pinien und Zypressen, die sich scherenschnittartig gegen den römischen Sommerhimmel erheben, schmalen Wegen, gesäumt von leuchtenden Blumenrabatten, die alle zum Herrenhaus führen, und über allem liegt der Duft der blühenden Bougainvillea-Hecken und Kletterrosen. Alle Italien-Sehnsüchte eines Nordmenschen werden hier wahr.

Am 3. Juni feiert Rom 100 Jahre Deutsche Akademie Villa Massimo. Fackeln werden die Wege des weiten Parks beleuchten, der weiße Kies wird unter den Schritten knirschen, und die deutschen und italienischen Ehrengäste werden sich in Elogen ergehen, allen voran der deutsche Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Der deutsche Pianist Martin Oppitz wird ein Solokonzert geben, Candida Höfer ihr Werk ausstellen, und ein DJ-Set aus Berlin wird donnernd die alten Mauern erbeben lassen.

Diese Stiftung Villa Massimo ist wie ein Brennspiegel der jüngsten Geschichte, alle Höhen und Tiefen lassen sich in ihrer Chronik ablesen. Als der deutsche Industrielle Eduard Arnhold im Jahre 1910 den 35.000 Quadratmeter großen Besitz vom römischen Fürsten Massimo erwarb und das Herrenhaus und die Ateliers errichten ließ, grenzte der Besitz noch an die römische Campagna.

Ganz begeistert und stolz schrieb er nach dem Kauf an seine Frau: Unser Terrain ist einzig schön, mächtig gestreckt, fünf große Wiesenstücke, von uralten Steineichen und Zypressen umrahmt, hohe malerische Pinien, weiter Blick über Campagna nach den Albaner Bergen, wie gemacht für schaffensfreudige Künstlerseelen.

Inzwischen hat sich der Moloch Rom immer größer ausgeweitet mit neuen Straßenvierteln und Verkehrsadern, die längst die Villa Massimo übersprungen haben, so daß sie heute wie eine verborgene grüne Insel inmitten dieses quirligen Großstadt-Chaos ruht.

Bereits 1913 stiftete Arnhold, der großzügige deutsche Mäzen, diese Anlage dem preußischen Staat, damit man den Rom-Preisträgern der Preußischen Akademie der Künste angemessene Arbeits-und Wohnbedingungen bieten konnte. Auch er trug wie viele Deutsche die ewige Italien-Sehnsucht in sich.

Im Verlauf der jüngsten Geschichte änderte sich jeweils auch das Geschick dieser Akademie. So wurde sie während des Ersten Weltkrieges als Feindesgut beschlagnahmt. Erst 1929 durften wieder deutsche Künstler in die Villa Massimo einziehen und arbeiten. Unter ihnen waren damals Karl Schmidt-Rottluff und Ernst Wilhelm Nay. Als Hitler 1938 Rom besuchte, wurde der langjährige Direktor Herbert Gericke verjagt und durch einen römischen Ortsgruppenleiter der NSDAP ersetzt. 1943 richtete die deutsche Luftwaffe hier ein Casino ein.

Das fürstliche Anwesen erweckte stets Begierde sowohl bei Freunden wie bei Feinden: Nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmten die Italiener das Gelände; die italienische Unesco-Sektion residierte fortan hier, und in den Ateliers arbeiteten nun anstelle der deutschen italienische Künstler wie zum Beispiel Renato Guttuso.

Der deutsche Außenminister Clemens von Brentano war bei seinem Rom-Besuch so entzückt von dem Anwesen, daß er das Gelände für die deutsche Botschaft zum Quirinal haben wollte. Doch da bremste die italienische Regierung; sie gab das Anwesen nur als Kultureinrichtung wieder an Deutschland zurück. Endlich, ab 1958, wurde die Villa Massimo wieder ihrer eigentlichen Bestimmung zurückgegeben; Rompreisträger wie Hans Werner Henze und Uwe Johnson zogen ein.

Doch auch die 68er hinterließen hier ihre Spuren. Für manche deutsche Künstler schien soviel Harmonie und Schönheit dieses Fleckens schier unerträglich. So klagte der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann seiner Frau Maleen: Der große Schrott der abendländischen Geschichte erwartet dich hier.

Und die heutige Nobelpreisträgerin Herta Müller schien nach ihrem Leben unter den Kommunisten völlig überfordert mit diesem römischen Stipendium. Sie wurde zur Wortführerin einer Anführerclique von Stipendiaten, die alles desavouierten. In diesen siebziger und achtziger Jahren fochten manche Künstler ihren eigenen Kulturkampf in Rom aus.

Die internen Fehden brachten die Villa Massimo immer wieder in die Schlagzeilen. So wurde 1992 die Ur-Enkelin des Gründers, Elisabeth Wolken, (sie ist verheiratet mit dem Dichter Karl Alfred Wolken) nach 27 Jahren Tätigkeit, in denen sie Hunderte von deutschen bildenden Künstlern, Schriftstellern und Musikern betreute, von heute auf morgen ihres Amtes enthoben. Es gab endlose Prozesse, der Staat in Gestalt des Bundesinnenministeriums gegen Elisabeth Wolken. Doch die Ur-Enkelin gewann alle Prozesse.

Aus den Fehlern der Vergangenheit hat man gelernt. Heute müssen die zehn Stipendiaten, die immerhin monatlich 2.500 Euro plus eine großzügige Atelierswohnung für ihr sorgenfreies Schaffensjahr erhalten, bereits in ihrem Beruf gearbeitet haben und Sprachkenntnisse mitbringen. Die Villa Massimo untersteht jetzt gemeinsam mit der Casa Baldi in Olevano Romano dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Die Studienplätze werden hingegen auf Länderebene bestimmt. Der derzeitige Akademie-Direktor ist Joachim Blüher, ein Galerist aus Köln.

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