© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Derber Realismus
Noch ein Michelangelo: Eine Ausstellung in Rom feiert den Genius Caravaggio
Sebastian Hennig

Von den zahlreichen Würdigungen im 400. Todesjahr des lombardischen Frühbarockmalers Caravaggio ist eine Ausstellung in Rom im Scuderie del Quirinale, dem ehemaligen Marstall des Quirinalspalasts, die bedeutendste. Mit dem Anspruch, nur die verbürgten Werke von des Meisters Hand zu zeigen, sind hier 24 Leihgaben aus St. Petersburg, Mailand, Berlin, London, Neapel, Messina, Dublin, Nancy und aus Nordamerika versammelt.

Ist aber die Wiener Rosenkranzmadonna kein echtes Werk? Oder der Tod der Jungfrau im Louvre? Letzteres Bild hätte in Rom ein großartiges Gegenüber zur Verkündigung aus Nancy ergeben können. Aber der Besucher wird entschädigt durch die Darbietung einer großformatigen Bekehrung des Paulus aus römischem Privatbesitz. In den Uffizien in Florenz sind die Räume mit Caravaggios Bildern fast immer geschlossen.

In Rom sind das Opfer des Isaak und der Bacchus nun endlich einmal zu sehen. Letzterer ergänzt sich aufs schönste mit dem Lautenspieler aus der Petersburger Eremitage. Der gleiche unheimlich dunkelhaarige Knabe blickt einem entgegen. In Amphore und Glas des Baccchus schimmert der Wein undurchdringlich dunkel wie Herzblut, so dunkel, wie die Trauben auf seinem Haupt und wie seine Augen und seine Brauen. Unzweifelhaft handelt es sich um eine einmalige Gelegenheit, diese Bilder im Zusammenhang wahrzunehmen.

Die meisten von ihnen kommen freilich im Tageslicht ihrer üblichen Aufbewahrungsorte bei weitem besser zur Geltung als in der gegenwärtigen Präsentation. Die Lichtregie, in abgedunkelten Räumen allein die Gemälde gezielt zu beleuchten, 2008 mit Tizians in Venedig und unlängst in Brüssel mit El Grecos Malerei durchaus gelungen angewandt, führt nun in Rom zu einem unbefriedigenden Ergebnis. Möglicherweise liegt es am Wechselspiel des leuchtenden Inkarnats mit den dunklen Hintergründen in Caravaggios Malerei, daß die Beleuchtungsstrategie diesmal versagt.

Besonders im Hautton wirken alle Gemälde zu warm. Sie glühen wie späte Rembrandts. Die monumentale Härte der Grablegung aus der Pinakothek des Vatikan versinkt in einer homogenisierten Farbtemperatur. Auch der siegreiche Amor aus Berlin kann sich dort bestimmter entfalten. Das zarte Stilleben aus der Ambrosiana in Mailand wird durch die Reflexionen des Goldrahmens wie von einem Nimbus überstrahlt. Die Darstellung des Früchtekorbes, der auf einer Tischplatte an der unteren Bildkante aufsitzt, gilt als frühestes Stilleben der italienischen Malerei und wurde das erste Mal überhaupt außer Haus geliehen.

Die gestalterische Unsicherheit setzt sich im Katalog fort. Doppelseitige Reproduktionen stürzen hinab in einen tiefen Bundfalz. Dafür wird jedes der Bilder gesondert von einer Koryphäe, darunter selbstverständlich auch deutsche Kunsthistoriker, in einem Essay eingehend erörtert. Die Spekulationen um die Person des Malers werden zugunsten seines verblüffenden Werkes in den Hintergrund verwiesen. Aber nur die teure Buchhandelsausgabe im Hardcover gibt den Text in englisch wieder.

Zwei Stunden nach dem ersten Einlaß ist das Geschiebe zwischen den Bildern so undurchdringlich geworden, daß nur ergebenes Ausharren Schritt für Schritt den Bildern nahe rücken läßt. (Dringend empfiehlt es sich, die zahlreichen Polsterbänke und Sessel in den Durchgängen zu den Ausstellungsbereichen aufzusuchen, um die Beharrlichkeit im Ansteuern des einen oder anderen Bildes zu stärken.) Nächstes Ziel: Die Falschspieler, entstanden um 1594.

Die Federn auf den Hüten der Falschspieler wippen mephistophelisch. Der Arglose schaut träumerisch in sein Blatt und glaubt nur mit Fortuna zu handeln, während wie eine Rampe der Rücken des Zinkers ihn bestürmt. Dieser zieht hinterwärts aus seiner Pluderhose das falsche Blatt. Sein Kumpan schielt dem Opfer ins Blatt und signalisiert Verrat. Leben hat auf diesem Bild nur der Ausgebeutete. Er ist der große unerschöpfliche Spender. Die Betrüger wirken in ihrer Angespanntheit wie irrlichternde Gespenster.

Auf der riesigen Anbetung aus Messina stürzen die Hirten in einer Diagonale auf die im Stroh lagernde junge Mutter ein wie die gierigen Alten auf die entkleidete Susanna. (Amerikanische Bomben auf Messina und Berlin haben allein sechs bedeutende Gemälde dieses Meisters unwiederbringlich zerstört.)

Gegenüber der Dornenkrönung aus Wien, die vor einigen Jahren schon einmal in Berlin zu sehen war, hängt die dramatische Grablegung Christi aus dem Vatikan. Maria Magdalena hat dort dieselbe wunderschöne Nackenlinie, wie auf dem Bild von ihrer Reue in der Galleria Doria-Pamphili. Dorthin ist Die Ruhe auf der Flucht am 22. März aus der Scuderie wieder zurückgekehrt. Der Petersburger Lautenspieler und der stürzende Saulus-Paulus aus Privatbesitz verlassen die Ausstellung im Mai und Juni. Die bestürzende Geißelung Christi aus Neapel ist erst am 14. April eingetroffen.

Die Pathosgebärden der derben Bauerngestalten wirken gewaltig. Lessings Laokoon-Abhandlung über die Grenzen der Bildenden Kunst werden durch diese Malerei widerlegt. Caravaggios herber Realismus übermittelt die Indolenz des Wirtes, seine Frau ist nicht weniger verständnislos, nur verbirgt sie es mit weiblicher Feinheit (Abendmahl in Emmaus). Während die Judith dem Holofernes das Haupt abschneidet, widerspiegeln ihre Züge weiblichen Unmut über die Schwäche dieses Mannes, dem sie sich zur Rettung ihres Volkes hingegeben hat (Judith enthauptet Holofernes). Die Festnahme Christi im Judaskuß zeigt Eifersucht im Männerbund. Der Judas nähert sich seinem Rabbi mit geschürzten Lippen in der ganzen Not seiner aufrichtigen Liebe, während Jesus schon die Hände ringt im Angesicht des Kommenden.

Dem Rom-Besucher sei angeraten, den Eindruck zu vervollständigen und zu vertiefen durch den Besuch der Kirchen San Luigi dei Francesi mit den Matthäus-Bildern und Santa Maria del Popolo mit der Bekehrung Pauli und der Kreuzigung Petri. Entgegen allem Echtheits-Purismus sei auch der Besuch der Galleria Borghese angeraten, des genuinen Caravaggio-Museums in Rom.

Die Caravaggio-Ausstellung in Rom ist noch bis zum 13. Juni in der Scuderie del Quirinale, via XXIV Maggio 16, täglich von 10 bis 20 Uhr, Freitag und Samstag bis 22.30 Uhr, zu sehen. Der Katalog kostet 29 Euro.

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