© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Die Vision ist einfach zu schön
Den katastrophalen Schattenseiten des Post-Apartheid-Systems des ANC wird aus ideologischen Gründen kaum Beachtung geschenkt
Felix Krautkrämer

Lange Jahre galt Südafrika als Musterbeispiel dafür, wie ein multiethnischer Konflikt ohne viel Blutvergießen beigelegt werden kann. Journalisten, Politiker und Wissenschaftler überschlugen sich in Lobeshymnen auf das friedliche Miteinander von Schwarzen, Weißen, Mischlingen und Indern in der Regenbogennation. Nelson Mandela, Südafrikas erster Präsident nach dem Ende der Apartheid 1994, wurde nicht nur in seinem Heimatland, sondern auch im Westen als Überwinder der Rassenschranken gefeiert. Der Traum von einer besseren Welt, in der Hautfarbe und Herkunft keine Rolle mehr spielen: In Südafrika schien er wahr zu werden.

Noch im Jahr 2000 schwärmte die Welt, neben der deutschen Wiedervereinigung gelte die Wende am Kap als das gelungenste Unterfangen einer friedlichen gesellschaftlichen Transformation. Was den Deutschen die Vereinigung von Ost und West, sei in Südafrika die Versöhnung von Schwarz und Weiß. Mittlerweile, zehn Jahr später, ist der südafrikanische Traum längst zum Alptraum geworden. Gewalt, Aids und Korruption beherrschen das Land, und angesichts der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft schlägt der ein oder andere Bericht über die Regenbogennation durchaus auch kritische Töne an. Dennoch scheuen sich die meisten Journalisten und Politiker offenbar aus ideologischen Gründen, das wahre Ausmaß der katastrophalen Situation zu benennen.

Einen wirklich schonungslosen Blick auf das Land am Kap bietet dagegen die jüngst erschienene Studie des Instituts für Staatspolitik (IfS) über Südafrika. Die Autoren zeigen in ihr vor allem eines: So notwendig die Abschaffung des Apartheidregimes war, so wenig bedeutete sie einen Segen für das Land, in dem der Alltag nach wie vor von Rassismus geprägt ist wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen. Erinnert sei beispielsweise an den weißen Südafrikaner Brandon Huntley, dem Kanada im vergangenen Jahr politisches Asyl gewährte, weil er in seiner Heimat nachweislich wegen seiner Hautfarbe verfolgt wurde.

Aufgrund des sogenannten black economic empowerment, der umgekehrten beziehungsweise positiven Diskriminierung ist die Hautfarbe im neuen Südafrika laut IfS-Studie genauso wichtig wie im alten: Rassenquoten und daher auch Rassendenken bestimmen fast jeden Aspekt des Lebens, nur mit dem anderen Akzent, daß es nicht um Unter- und Überlegenheit, sondern um Korrektur des Unrechts der Vergangenheit geht. Mit fatalen Folgen, wie die Autoren zeigen: Ob Sicherheit, Wirtschaft oder Bildung, in nahezu allen Bereichen wirkt sich die Bevorzugung der schwarzen Bevölkerung negativ aus. Das südafrikanische Militär ist mittlerweile so gut wie nicht mehr einsatzbereit. Vor allem die Eingliederung der ehemaligen Freiheitskämpfer des African National Congress (ANC) wirkte sich verheerend aus. Gleichzeitig wanderten zahlreiche, vor allem weiße Soldaten, nach Australien aus. So traten beispielsweise ganze südafrikanische Geschwader, vom Befehlshaber bis zum Flugzeugtechniker, zur australischen Luftwaffe über.

Auch bei der Polizei führte die Eingliederung ehemaliger ANC-Kämpfer und der starke prozentuale Anstieg schwarzer Polizisten zu einem erheblichen Verlust der Disziplin und einem Korruptionsanstieg in den Reihen der Sicherheitskräfte. Während weiße Polizisten zunehmend bei privaten Sicherheitsdiensten anheuerten, stieg unter den schwarzen Polizisten der Anteil derjenigen, die neben dem Dienst kriminellen Beschäftigungen nachgingen. Auch nahm die Brutalität der Polizei zu. Wurden zwischen 1963 und 1983 etwa sechzig Personen registriert, die in Polizeigewahrsam ums Leben kamen, waren es allein 2009 etwa 300.

Der Zerfall der Polizei hat einen gigantischen Anstieg der Kriminalität nach sich gezogen. So wurden im vergangenen Jahr in Südafrika 18.000 Morde und 54.000 Vergewaltigungen gezählt. Das entspricht 50 Morden und 150 Vergewaltigungen am Tag. Das Schweizer Boulevardblatt 20 Minuten brachte die dramatischen Statistiken auf den Punkt: Es ist für eine in Südafrika geborene Frau heute wahrscheinlicher, im Lauf ihres Lebens vergewaltigt zu werden, als lesen zu lernen. Kein Wunder: Verteidigte sich doch der heutige Präsident Südafrikas, Jacob Zuma, als er 2006 wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung angeklagt war, damit, seine kulturellen Wertvorstellungen erlaubten es ihm nicht, eine provokativ gekleidete ergo sexuell erregte Frau unbefriedigt zu lassen.

Aber auch in anderen Bereichen spiegelt sich der Niedergang Südafrikas wider: Während unter der Apartheid die Lebensbedingungen, Alphabetisierung und Lebenserwartung der schwarzen Bevölkerung stiegen, gehört Südafrika heute zu den sechs Entwicklungsländern mit einer sinkenden Lebenserwartung. Vor allem wegen der weiten Verbreitung von Aids sank die durchschnittliche Lebenserwartung zwischen 1990 und 2007 von 62 auf 50 Jahre. 2008 waren laut der Weltgesundheitsorganisation elf Prozent der südafrikanischen Gesamtbevölkerung HIV-positiv, in der Altersgruppe der 15- bis 49jährigen sogar 18,1 Prozent. Aids ist mittlerweile die häufigste Todesursache im Land.

Auch im Bildungssektor ist ein erheblicher Niveauverfall zu beklagen, der zum einen auf den gravierenden Lehrermangel zurückzuführen ist und zum anderen in der Afrikanisierung des Schulkonzeptes seine Ursachen hat. Ähnlich verhält es sich mit der Landwirtschaft, die mit dem Bevölkerungswachstum von 40,5 Millionen Einwohnern im Jahr 1996 auf derzeit rund 49 Millionen Einwohner nicht mithalten konnte. Versorgungsengpässe haben dazu geführt, daß Südafrika mittlerweile auf den Import von Lebensmitteln angewiesen ist (JF 13/09). Ein Resultat, das vor allem der Landreform geschuldet ist, bei der etwa 30 Prozent der landwirtschaftlich produktiven Böden neuverteilt und vorwiegend an schwarze Farmer vergeben werden sollten. Nur erwiesen sich diese beim Ackerbau oftmals als wenig erfolgreich, weshalb die südafrikanische Regierung Anfang 2010 eingestand, daß von Weißen bewirtschaftete Farmen das Rückgrat der südafrikanischen Landwirtschaft seien. Ein Wandel in der weißenfeindlichen Politik der Regierung erfolgte allerdings nicht.

Es ist nicht übertrieben, wenn die Autoren der Studie angesichts der Entwicklung Südafrikas in den vergangenen 15 Jahren dem Land bescheinigen, es weise Symptome eines scheiternden Staates auf. Treffend ist daher auch das Urteil, das Ignorieren der Heterogenität Südafrikas beziehungsweise die Umkehr dieser Schwäche in eine vermeintliche Stärke durch Vielfalt habe sich als schwerer Fehler und Ausdruck von Realitätsverweigerung erwiesen.

Institut für Staatspolitik: Südafrika. Vom Scheitern eines multiethnischen Experiments. Wissenschaftliche Reihe, Heft 16, Albersroda 2010, broschiert, 42 Seiten, 5 Euro; zu beziehen unter www.staatspolitik.de

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