© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Irreparable Schäden
Die israelische Militäraktion ist eine Niederlage im Propagandakrieg
Michael Wiesberg

Ganz gleich, wie man es dreht oder wendet: Die Aufbringung der sogenannten „Gaza-Hilfs-“ oder „Solidaritätsflotte“ (und eines Nachzüglers am Wochenende) kommt für Israel einem PR-Gau gleich, dessen Konsequenzen das Land noch lange spüren dürfte. Diese Feststellung gilt unabhängig von der Frage, ob das Vorgehen Israels auf hoher See berechtigt war oder nicht bzw. wer für die Eskalation der Ereignisse nun verantwortlich ist; eine Frage, die möglicherweise nie befriedigend geklärt wird.

Die einen, sprich Israel, machen „gewaltbereite“ Araber und Türken einer „Armada des Hasses“ verantwortlich, die anderen die „Rambo-Mentalität“ israelischer Soldaten, die „wie im Krieg“ aufgetreten seien. Israel verweist darauf, sich mit der Hamas in einem kriegerischen Konflikt zu befinden und sein „Recht auf Selbstverteidigung“ wahrgenommen zu haben.

Dazu gehört aus seiner Sicht auch das Recht, die über den Gaza-Streifen verhängte Blockade, mit der Hunderttausende von Palästinensern für die Aktivitäten der Hamas in Geiselhaft genommen werden, auf Hoher See durchzusetzen. Völkerrechtlich ist diese Sicht, wie unter anderem der Kieler Völkerrechtsexperte Thomas Giegerich feststellte, „sehr umstritten“. Denn es ist Staaten nicht erlaubt, die Hohe See ihrer Souveränität zu unterwerfen.

Auch wenn die Regierung Netanjahu einmal mehr signalisiert, die internationale Kritik an der gewaltsamen Unterbindung der Lieferungen der Gaza-Hilfsflotte ignorieren zu können, wurde außenpolitisch viel Porzellan zerschlagen. Am schwersten dürfte wiegen, daß das über lange Zeit hinweg gute Verhältnis zur Türkei nun nachhaltig gestört ist; in einer offiziellen Erklärung der türkischen Regierung war von einem „flagranten Bruch internationaler Gesetze“ die Rede, „die irreparable Konsequenzen“ für die beiderseitigen Beziehungen haben könnte.

Was das konkret heißt, verdeutlichte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der sich hinter die im Gaza-Streifen regierende Hamas stellte. Wenig überraschend verhielten sich bisher die USA, indem sie eine Untersuchung der Vorgänge fordern, die US-Präsident Obama als „tragisch“ bewertete. Diese Zurückhaltung kann aufgrund der geostrategischen Bedeutung, die der Türkei beigemessen wird, nicht weiter verwundern; die hiermit verbundenen US-Interessen verbieten wohl eine allzu eindeutige Stellungnahme zugunsten Israels.

Israel hat sich, schaut man auf die Verlautbarungen der islamisch-türkischen Organisation IHH, die den angegriffenen Konvoi initiierte, darauf einzustellen, daß es von nun an zu immer neuen „Solidaritätsaktionen“ gegen den Boykott des Gaza-Streifens kommt. Die „Stiftung für Humanitäre Hilfe“ soll Verbindungen zu Hamas, al-Qaida und den Taliban haben; möglicherweise gehört sie auch zu den Hamas-Finanziers, wie Nilüfer Narli, Professorin an der privaten Bahcesehir-Universität in Istanbul, behauptet.

Die Stiftung und ihre Sympathisanten, zu denen Linkspartei-Politikerinnen wie Anette Groth oder Inge Höger oder deren Ex-Parlamentskollege Norman Paech, emeritierter Professor für Öffentliches Recht, gehören, haben von Anfang an auf den propagandistischen Wert dieser Aktionen gesetzt, und Israel hat ihnen nicht nur den Gefallen getan, durch die Unverhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel die entsprechende weltweite Aufmerksamkeit zu erzeugen, sondern darüber hinaus auch noch „Märtyrer“ geschaffen. Paech nutzte im übrigen denn auch gleich die Situation, um von einem „völkerrechtlichen Verbrechen“ zu reden, das „sehr hart bestraft“ werden müsse. „Mit Blick auf den Krieg der Bilder und den Propagandakrieg scheint mir die israelische Regierung den Krieg zu verlieren“, schlußfolgerte der französisch-jüdische Philosoph Bernard-Henri Lévy zutreffend. Der dadurch ausgelöste „Schaden“ sei „gefährlicher“ als ein „militärischer Fehler“.

Mit den Vorgängen um den Hilfskonvoi steht nun auch die Verhältnismäßigkeit des Boykotts des Gaza-Streifen wieder ganz oben auf der internationalen Agenda. Niemand hat das schärfer zum Ausdruck gebracht als der israelische Schriftsteller David Grossman, der in einem Beitrag für den Spiegel der Hoffnung Ausdruck verlieh, daß die „Wahnsinnsaktion“ gegen die „Gaza-Hilfsflotte“ „zur längst fälligen Aufhebung des palästinensischen Elends und damit auch der israelischen Befleckung“ führen möge.

Eineinhalb Millionen Palästinenser dürfe wegen der „Verbrechen der Hamas-Führer“ nicht das „Leben vergällt werden“. Eine Einschätzung, die durch Usama Antar, Politologe an der Al-Aksa-Universität in Gaza-Stadt, bestätigt wurde, der die „totale Isolierung des Gaza-Streifens vom Rest der Welt“ und die damit einhergehende „Perspektivlosigkeit“ anprangerte. Und dies bei einer im Durchschnitt sehr jungen Bevölkerung, die auf rund 365 Quadratkilometern zusammengepfercht ist; 80 Prozent der dort lebenden Palästinenser sind auf Hilfslieferungen angewiesen.

Es bedarf wenig Phantasie, um sich auszumalen, daß eine derartige Lage der Hamas hinreichend Nachwuchs zutreibt, der auch zu militanten Aktionen bereit ist – was für Israel wiederum die Argumente schafft, die Sanktionsschraube weiter anzuziehen. Ein Teufelskreis ohne erkennbare Lösungsperspektive.  

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