© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

„Das Geld ist alle!“
Großbritannien: Die neue Regierung will mit Ausgabenkürzungen und Abgabenerhöhung die internationalen Finanzmärkten beruhigen
Derek Turner

Mehr als sieben Monate brauchte die neue schwarz-gelbe Bundesregierung, bis sie mit konkreten Sparbeschlüssen an die Öffentlichkeit ging. Die neue britische Regierung nahm sich nicht einmal drei Wochen Zeit, bevor sie Königin Elisabeth II. vor Ober- und Unterhauses das konkrete Programm der neuen Koalition aus Konservativen und Liberaldemokraten (LibDems) für die nächsten 18 Monate vortragen ließ. Darin sind einige revolutionäre Vorhaben enthalten, die sowohl bei Tory-Hinterbänklern als auch in den Medien bereits heftige Proteste ausgelöst haben.

Die Ansprache der Königin führte 22 Gesetzesentwürfe auf, darunter viele öffentlichkeitswirksame Wahlversprechen der Konservativen. Anderes aber wurde zur Beschwichtigung des neuen Bündnispartners verändert oder ganz unterschlagen. Ausgabenkürzungen von 6,2 Milliarden Pfund sind in den nächsten zwölf Monaten geplant, eine Geste, mit der man den internationalen Finanzmärkten signalisieren will, daß Großbritannien es ernst meint mit dem Sparen und auch seine Staatsschulden von derzeit etwa 156 Milliarden Pfund verringern will. Schon am 22. Juni soll der Krisenhaushalt beschlossen werden und im Herbst eine umfassende Revision der Staatsausgaben erfolgen, die weiterreichende Kürzungen empfehlen wird.

Die LibDems, die im Wahlkampf verkündet hatten, solange die Rezession anhalte, dürfe es keine Kürzungen der öffentlichen Ausgaben geben, sind nun zu der Einsicht gelangt, daß kein Weg an sozialen Grausamkeiten vorbeiführt. Der Posten des Finanzstaatssekretärs ging zunächst an den ehemaligen Investmentbanker David Laws, einen Liberaldemokraten – dessen Vorgänger ihm, so heißt es, auf dem Schreibtisch einen Zettel mit der knappen Botschaft  hinterließ: „Das Geld ist alle!“ Doch seine Amtszeit war nach 18 Tagen schon zu Ende, als der Daily Telegraph nämlich am 28. Mai berichtete, Laws habe Spesen in Höhe von 40.000 Pfund für ein Mietverhältnis in einem Haus verrechnet, das seinem Liebhaber gehöre – eine peinliche Enthüllung für eine Partei, die nach den Spesenskandalen der vergangenen Jahre viel Wirbel um das Versprechen eines politischen Neuanfangs gemacht hatte. Laws trat daraufhin zurück.

Der neue Finanzstaatssekretär Danny Alexander (LibDems) hält an den Plänen fest. Die Gelder sollen hauptsächlich durch einen Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst und Mittelkürzungen in den Bereichen Informationstechnologie, Verkehrswesen und der Finanzierung halbstaatlicher Organisationen („Quangos“) eingespart werden. Weitere Kürzungen müssen auf regionaler und lokaler Ebene, von den Regionalregierungen in Schottland, Wales und Nord-irland sowie Stadt- und Gemeinderäten, vorgenommen werden. Sämtliche Haushaltsentscheidungen der abgewählten Labour-Regierung seit Januar sind unter Revision. Allein die Entscheidung, die geplante Einführung von Personalausweisen vorerst auszusetzen, spart dem Staat stolze 4,5 Milliarden Pfund.

Volksentscheid über künftige EU-Verträge

Um dem Volk die bittere Medizin zu versüßen, sollen 500 Millionen der eingesparten Mittel dem Bildungswesen, der Schaffung von Arbeitsplätzen und dem sozialen Wohnungsbau zugute kommen, so daß die Kürzungen eigentlich nur 5,7 Milliarden betragen. Die Zuständigkeit für Wirtschaftsprognosen, die bislang in den Aufgabenbereich des Finanzministeriums fiel, soll einer neu einzurichtenden regierungsunabhängigen Haushaltsaufsichtsbehörde übertragen werden. Hinzu kommen eine strengere Regulierung des Bankwesens sowie eine Vereinfachung des Steuersystems. Richtige Bauchschmerzen bereiten Konservativen das Festhalten an der geplanten Anhebung des Sozialversicherungssatzes um ein Prozent – die nun allerdings nur für den Arbeitnehmeranteil gelten soll – sowie die LibDem-Initiative, die Vermögensteuer für Nicht-Geschäftsvermögen auf 40 oder gar 50 Prozent zu erhöhen.

Für Unmut sorgt auch die Tatsache, daß von dem Wahlversprechen, den Human Rights Act wieder abzuschaffen (das Gesetz regelt die volle Gültigkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention für das Vereinigte Königreich), plötzlich keine Rede mehr ist. Daß sich die Regierung „ehrgeizige“ Maßnahmen zum Klimaschutz und eine Erhöhung der Ausgaben für Entwicklungshilfe auf die Fahnen geschrieben hat, macht sie bei Hinterbänklern nicht beliebter, und auch das Versprechen, an die EU abgetretene Befugnisse nach Westminster zurückzuholen, findet sich im Regierungsprogramm nicht wieder. Immerhin soll über künftige EU-Verträge per Volksentscheid abgestimmt werden.

Den Versuch des neuen Premierministers David Cameron, den einflußreichen 1922er-Ausschuß durch ein Stimmrecht für amtierende Minister zu neutralisieren, mußte er nach unerwartet heftigem Widerstand wieder aufgeben. Zum Dank wählte der Hinterbänkler-Ausschuß einen erbitterten Cameron-Gegner zu seinem künftigen Vorsitzenden.

Protest regt sich auch am anderen Ende des politischen Spektrums, wo man sich über die geplanten Sparmaßnahmen ebenso empört wie über Gesetzesentwürfe zur Festlegung einer bestimmten Legislaturperiode, zur Erschwerung eines Mißtrauensvotums und zur Neuanpassung der Wahlkreise – von der damit einhergehenden Verringerung der Zahl der Unterhausabgeordneten um zehn Prozent wären vor allem Labour-Sitze betroffen. Befürchtet wird auch, daß einige Maßnahmen der neuen Regierung zu mehr Ungleichheit führen – so können Schulen sich künftig der Aufsicht durch den Stadt- oder Gemeinderat entziehen, die wiederum Teile ihres Aufgabenbereichs an Bürgervereinigungen abtreten dürfen – und daß gewählte Polizeipräsidenten nach US-Vorbild eine härtere Linie in der Kriminalitätsbekämpfung verfolgen werden. Der Regierung stehen schwere Zeiten bevor – der britischen Bevölkerung nicht weniger.

 

Derek Turner ist Publizist und seit 2007 Herausgeber der britischen Zeitschrift „Quarterly Review“ (www.quarterly-review.org).

Foto: Premierminister Cameron (l.) mit Finanzstaatssekretär Alexander: Es stehen schwere Zeiten bevor

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