© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Auschwitz ist an allem schuld
Hypermoralist und Herrenmensch: Die hehren Europa-Visionen des Jürgen Habermas
Doris Neujahr

Die hehren Europa-Visionen werden gerade auf ihren banalen Kern reduziert: eine  Mischung aus Bürokratenherrschaft und einer von Deutschland zu finanzierenden Transferunion. Um sie zu rechtfertigen und dem verunsicherten Juste milieu der BRD neuen Halt zu geben, brachte dessen Zentralorgan, die Wochenzeitung Die Zeit, kürzlich ihr allerschwerstes Geschütz in Stellung: den Philosophen Jürgen Habermas, der laut ihrem Geburtstagsartikel zum Achtzigsten vom letzten Jahr eine „Weltmacht“ darstellt. Die Weltmacht titelte nun: „Wir brauchen Europa!“ Gewiß – bloß welches?

Wann immer Habermas sich zu politischen Fragen äußert, erstrebt er eine Tiefenanalyse und Gesamtschau mit Gültigkeit über den Tag hinaus. Eine 1979 von ihm herausgegebene Aufsatzsammlung trägt den anspruchsvollen Titel „Stichworte zur geistigen Situation der Zeit“. Das nimmt Bezug auf die Schrift „Die geistige Situation der Zeit“, die Karl Jaspers kurz vor Hitlers Machtergreifung veröffentlichte. Jaspers gelang darin einerseits eine luzide Analyse der aktuellen Lage und andererseits deren zeitlose Abstrahierung. Er war sich bewußt, daß die größte Gefahr für einen geistigen Menschen der Moderne: die Vergiftung seines Denkens durch Ideologien, ihn selber bedrohte, weshalb er sich in jedem Satz gegen sie stemmte. Dadurch wurde der Homo politicus gleichsam zum Auge Gottes und sein Buch zum alterslosen Klassiker.

Habermas dagegen bleibt immer Partei und erschöpft sich im Furor der Tagespolitik. So glaubte er sich 1979 allen Ernstes inmitten einer „Restaurationsphase, der sogenannten Tendenzwende“, welche die „kurze Reformphase vor 1972“ – also 1968 ff. – abgelöst habe. Die Richtung werde bestimmt von einer „Neuen Rechten“ (Schön wär’s gewesen!), von „selbsternannten Türhütern einer eher militarisierten denn wehrhaften Demokratie“, vor denen die Linke sich in „Gettos“ zurückgezogen hätte.

Der Großphilosoph nahm das Feuilleton-Geschwätz von der „Tendenzwende“ also für bare Münze! Solche Kurzschlüsse sind typisch für seine politischen Texte, denen jede antizipatorische Kraft abgeht. Sie veralten schnell und sind nur als Zeugnisse bundesdeutscher Realitätsverkennung interessant. Obwohl Habermas regelmäßig widerlegt wird, weiß er sich hinterher dennoch im Recht, denn nicht er hat sich geirrt, sondern die Wirklichkeit, in der immer etwas zu spät, zu früh und auf jeden Fall dazwischenkam.

Sein Europa-Beitrag beginnt mit einer falschen Bildbeschreibung. Auf den Fotos, das Merkel und Sarkozy nach ihrem Brüsseler Treffen am 8. Mai in Brüssel zeigen, erkennt er einen „versteinerten“ Gesichtsausdruck bei beiden Kontrahenten. In Wahrheit trifft das nur auf Merkel zu. Die Klima-Königin von Heiligendamm stand da als Monarchin ohne Land, die nicht einmal mehr über den eigenen Haushalt bestimmen durfte. Mit wenigen Handgriffen hatte der Napoleon-Verschnitt sie auf Mädchen-Niveau zurückgestutzt.

Gescheitert war damit nicht nur Merkel. Es stellte sich heraus, daß die lyrischen Beschreibungen der EU als Werte- und Solidargemeinschaft nur von Deutschland ernst genommen worden waren. Sarkozy bemühte sich vergeblich, sein Triumphgefühl zu verbergen. Sein süffisantes Lächeln sagte: Wir wollten euer Geld! Und weil ihr Deutschen dumme Schafe seid mit einem Oberschaf an der Spitze, bekommen wir es auch!

Habermas aber spinnt an der Spekulanten-Legende weiter und macht Merkel – der man vieles vorwerfen kann – den falschen Vorhalt, „die Kreditwürdigkeit Griechenlands gegen eine auf Staatsbankrott abzielende Spekulation“ nicht „rechtzeitig gestützt“ zu haben. Welche Kreditwürdigkeit kann ein Land ohne industrielle Substanz, mit aufgeblähtem Staatssektor, wuchernder Korruption, mieser Steuermoral und absurden Sozialprivilegien wohl besitzen? Doch Brüssel sei Dank, werden „die Steuerzahler der Euro-Zone fortan gemeinsam für die Haushaltsrisiken der jeweils anderen Mitgliedsstaaten haften“. Der zynische Wortschaum umschreibt die Nord-Süd-Transferunion, die von Deutschland getragen werden muß und sich als Vermögens- und Sozialraub auswirkt.

Habermas aber alarmiert nur, daß die deutsche Zustimmung ein wenig „klamm“ ausgefallen sei. Und das, obwohl er kraftvoll daran gearbeitet hatte, einen „Mentalitätswandel in der Breite der Bevölkerung“ sowie „gewandelte normative Überzeugungen“ in Deutschland herbeizuführen. Dazu zählt er jene „Weltoffenheit“, die die Nachbarn „versöhnlich“ gestimmt habe.

Auch das ist so ein Irrtum des BRD-Großdenkers! Es wurde lediglich die katastrophische Variante politischer Unzuständigkeit durch eine harmlosere ersetzt, welche die Nachbarn darüber belehrte, daß die Deutschen nun pflegeleicht und benutzbar waren und jederzeit mit der NS-Keule in Schach gehalten werden konnten. Weder die Habermas-konditionierten, „weltoffenen“ deutschen Politiker noch die in seinem Sinn „normativ“ argumentierende Presse waren imstande, die europäische Motiv- und Interessenlage richtig einzuschätzen und einen wasserdichten Maastricht-Vertrag auszuhandeln bzw. einzufordern. Habermas, der alte Normenverkünder, ist ohne politischen Durchblick!

So tritt er dafür ein, der EU-Kommission noch mehr Macht zuzuschanzen, sie allerdings unter die verstärkte Aufsicht des Straßburger Parlaments zu stellen – das von kopflosen Schreihälsen wie dem Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit dominiert wird. Die „wirksame Koordinierung der Wirtschaftspolitiken“, die er im gleichen Atemzug verlangt, würde nur, nachdem Deutschland alle politischen und diplomatischen Trümpfe aus der Hand gegeben hat, zu seiner politischen Majorisierung und verstärkten ökonomischen, finanziellen und sozialen Ausbeutung führen.

Habermas, der zur normativen Letztbegründung wieder einmal den Holocaust erwähnt, bekümmert das nicht. So vereint sich in ihm der Hypermoralist mit dem Herrenmenschen. Sein politischer Denkfehler aber ist dieser: Die deutsche Selbstaufgabe, auf die seine Empfehlungen hinauslaufen, führt keineswegs zur Vereinigung Europas, sondern lediglich zu einem Vakuum in seiner Mitte.

Einem Mann seiner Intelligenz kann das nicht verborgen bleiben. Ist die deutsche Selbstaufgabe für ihn etwa ein heimlicher Selbstzweck? Während des Historikerstreits dekretierte er, „nationaler Stolz und kollektives Selbstwertgefühl (müßten) durch den Filter universalistischer Wertorientierungen hindurchgetrieben werden“. Dieser Filter würde jedes nationale Selbstinteresse und jede Eigenart aussondern. Dafür mutet Habermas den Deutschen auch brutalste Konsequenzen zu.

Woher dieser Haß? Es wird Zeit, daß man den politischen Publizisten und BRD-Repräsentanten Habermas endlich als einen pathologischen Fall unter die Lupe nimmt.

Foto: „Weltmacht“ in Aktion: Jürgen Habermas bei einer Diskussion in der Hochschule für Philosophie München

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen