© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Mächtiger als Gott
Daredevil schlägt Hitler, Superman jagt Goebbels: Comics im Jüdischen Museum
Harald Harzheim

Gleich zwei neue Kunstformen entstanden am Ende des 19. Jahrhunderts: der Film (1895 in Paris) und der Comic (1893 in New York). Natürlich ist der Zeitpunkt kein Zufall. Als die Einwanderung in den USA ihren Höhepunkt erreichte, bedurfte es neuer Ausdrucksformen, um die vielsprachige Bevölkerung zu erreichen. Was lag näher als eine Bildersprache, die verbale Differenzen transzendiert? Deren visuelle Informationen nur durch Zwischentitel bzw. Sprechblasen unterbrochen werden?

So erschienen 1893 die ersten farbigen Comics in New York, das bis in die fünfziger Jahre Zentrum dieser Kunstform bleiben sollte. Da sich ähnlich wie beim Film besonders jüdische Emigranten um deren Entwicklung verdient machten, widmet das Jüdische Museum in Berlin diesem Thema eine Sonderausstellung. Und die erweist sich als wahre Fundgrube. Da lassen sich in Glasvitrinen frühe vergilbte Comicseiten entdecken, Parodien aufs alltägliche Familienchaos, so „The Katzenjammer Kids take Mamma skating“ (Die Katzenjammer-Kinder nehmen die Mamma mit zum Eislaufen“, 1899) oder „Happy Hooligan in the Bosom of his Family“ (Der lustige Hooligan im Schoß der Familie, 1906) über einen Tolpatsch, der seine Verwandtschaft in den Wahnsinn treibt.  

In Deutschland zog Rudolf Dirks nach, zeichnete neue Abenteuer von „Max und Moritz“ (1915) oder über den kleinen „Schnucks“, den alles fasziniert, was seine Eltern fürchten. Dadurch hilft er ihnen, unnötige Ängste abzubauen.

Gesellschaftliche Mißstände, zunächst vorsichtig angedeutet, wurden von der folgenden Generation kompromißlos attackiert. Dazu kreierte Al Capp die „Shmoos“, weiße Vorläufer späterer Barbapapa-Figuren, die sich in Lebensmittel verwandeln und beliebig reproduzieren können. In einer Bildgeschichte von 1948 muß ein verarmtes Mädchen die Essens-Einladung eines reichen Lüstlings annehmen. Dann aber kommen die „Shmoos“ in ihre Wohnung und verwandeln sich in Lebensmittel. So kann die Schöne dem Scheusal absagen.

In Capps „Li’l Abner“ (1952) züchtet ein Schweinefleisch(!)-Magnat Billionen Shmooses. Aber die Exemplare reproduzieren sich auch nach ihrem Verkauf, so besitzt bald jeder Kunde Millionen von Shmooses. Die Preise für die Wundertiere sinken, worauf der Schweinefleisch-Magnat den Shmoos-Genozid anordnet: eine makabere Bildgeschichte über künstlich erzeugten Mangel als Wirtschaftsmotor.

Während des Zweiten Weltkriegs entstanden Superhelden, die bis heute hohe Popularität genießen: darunter Superman, Batman, Capitän America und Will Eisners Detektiv „The Spirit“. Die wurden natürlich alle gegen die Nationalsozialisten losgelassen. Superman beispielsweise zertrümmert die Bomben von Hitler und Stalin, um die beiden Diktatoren anschließend vor das Völkerbund-Tribunal zu schleifen. Womöglich hatten die Zeichner ihre Superhelden zur Kompensation eigener Hilflosigkeit erfunden. Sie schienen wirksamer als der Gott Abrahams, der sein Volk nicht mehr schützte. So wurden Figuren aus jüdischer Tradition erst später zu Comic-Helden, etwa der Golem in den Siebzigern.

Und in Europa? Dazu zeigt die Ausstellung ein Dokument, das den Atem raubt: Der Zeichner Horst Rosenthal wurde ins französische Internierungslager Gurs gesperrt und von dort nach Auschwitz deportiert. In Gurs malte er Postkarten, auf denen Micky Maus lachend das Lager präsentiert. Verzweiflung kollidiert hier mit Amüsement, das Ergebnis ist eisiger Schrecken.

Zwischen 1960 und 1970 erweiterte sich die Legion der Superhelden noch um Hulk, Die fantastischen Vier und X-Men. Und wie im 19. Jahrhundert gegen Jugendromane und im 21. Jahrhundert gegen Videospiele protestierten 1956 Eltern, Erzieher und Psychologen gegen die „verrohende Wirkung“ der Comics auf „unschuldige Kinder“. Auslöser des Kreuzzugs war der Schmöker „Seduction of the Innocent“ (Verführung der Unschuldigen, 1955) des Psychologen Fredric Wertham. Nur wenige Comic-Serien überlebten diese Kampagne, darunter das 1952 gegründete Satiremagazin Mad, das Herbert Feuerstein später für Deutschland adaptierte.

In den USA wie in Europa zeichneten Shoa-Überlebende und deren Nachkommen autobiographische Bildgeschichten. Am bekanntesten wurde „Maus“ (1989) des Ex-Underground-Zeichners Art Spiegelman. Darin sind SS-Männer als Katzen, Juden als Mäuse und Auschwitz zu „Mauschwitz“ verfremdet – womit das Szenario keine Verniedlichung erfährt, sondern wie bei den Postkarten von Horst Rosenthal ins Unerträgliche mutiert.  

In vergangenen Jahren feierte die französische Comic-Serie „Die Katze des Rabbiners“ von Joann Sfar internationalen Erfolg. In ihr verbindet sich die Welt der Kabbala und der Talmud-Exkurse mit einer spannenden Abenteuergeschichte.  

Am Ende der reichhaltigen Ausstellung fällt lediglich die Abwesenheit von Ralph Bakshi auf. Der New Yorker Cartoon-Filmer schuf mit Werken wie „Heavy Traffic“ (1973) und  „Fritz the Cat“ (1972) höchst (selbst-)ironische Werke über jüdisches Leben in den USA. Er hätte auch einen Platz verdient gehabt.

Die Ausstellung „Helden, Freaks und Superrabbis. Die jüdische Farbe des Comics“ ist bis zum 8. August im Jüdischen Museum Berlin, Lindenstraße 9–14, täglich von 10 bis 20 Uhr, montags bis 22 Uhr, zu sehen. Internet: www.jmberlin.de

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