© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Namen, die niemand mehr nennt
Im ehemaligen KGB-Untersuchungsgefängnis in Potsdam wird endlich mit der Erforschung der Häftlingsschicksale begonnen
Ekkehard Schultz

Der Potsdamer Stadtteil Nauener Vorstadt zählt schon seit vielen Jahren zu den beliebtesten Wohngegenden der brandenburgischen Landeshauptstadt. Auch viele Spaziergänger und Touristen besuchen tagtäglich das Areal zwischen Pfingstberg und Neuem Garten. Kaum noch etwas erinnert heute daran, daß sich in diesem noblen Villengebiet zwischen 1945 und 1994 das sowjetische „Militärstädtchen Nr. 7“ befand.

Bereits Anfang Juni 1945 mußten die damaligen deutschen Bewohner ihre Häuser räumen. Am 11. August 1945 übernahm der sowjetische Geheimdienst KGB das 16 Hektar große Terrain. Dieser richtete seine Deutschlandzentrale in einem früheren Internat des Kaiserin-Augusta-Stifts ein. Von diesem Gebäude führte ein schmaler Gang zu einem früheren Gebäude des Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins (EKH). Dieses Objekt wurde bereits im Herbst 1945 zu einem Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Spionageabwehr Smersch (russische Abkürzung für „Tod den Spionen“) umgebaut. Sowohl im Keller als auch im Erdgeschoß und im Ostflügel der ersten Etage entstanden Haftzellen. In jedem einzelnen der insgesamt 36 Räume, die jeweils nur knapp zwölf Quadratmeter Grundfläche aufweisen, wurden zehn Gefangene zusammengepfercht. Die Durchgänge und Fenster wurden bis auf schmale Öffnungsschlitze zugemauert. Massives Eisen vergitterte verbliebene Fensteröffnungen. Sichtblenden machten Kontaktaufnahmen mit der Außenwelt unmöglich. 

Todes- oder Freiheitsstrafen nicht unter zehn Jahren

Als Gründe für die Inhaftierung von mehr als 1.200 deutschen Zivilisten dienten die vermeintliche „Werwolf“-Tätigkeit von Jugendlichen, Spionage, Diversion oder „antisowjetischer Hetze“. Die Verfahren vor einem sowjetischen Militärtribunal endeten mit Todesstrafen oder Freiheitsstrafen nicht unter zehn Jahren. Nach der Verurteilung wurden viele Opfer in das sowjetische „Speziallager“ Sachsenhausen und von dort oftmals zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion überstellt. Zwischen Mitte der fünfziger Jahre bis 1986 diente das gleiche Gebäude als Haftanstalt für Militärangehörige der „Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“.

Heute stellt das ehemalige KGB-Gefängnis in der Leistikowstraße das einzige Objekt dar, durch das noch ein authentischer Eindruck aus dieser Zeit vermittelt wird. Als nach dem Abzug der sowjetischen Militärangehörigen das Gebäude dem Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein wieder zurückübertragen wurde, bemühten sich mehrere Opfervereine der kommunistischen Gewaltherrschaft und die russische Menschenrechtsorganisation Memorial e.V. umgehend darum, gemeinsam mit dem nunmehrigen Eigentümer eine Lösung zu finden, um das Gebäude dauerhaft zu Dokumentationszwecken zu erhalten. Am 4. Oktober 1997 war daher zum ersten Mal direkt vor Ort die Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“ zu besichtigen, die der Förderverein für Memorial/St. Petersburg e.V. erarbeitet hatte.

Kurz danach wurde die „Initiativgruppe Leistikowstraße 1“ gegründet, die dafür sorgte, daß seit 1998 regelmäßig Führungen durch das Objekt stattfinden konnten, die oft von unmittelbaren Zeitzeugen durchgeführt wurden. 2000 löst sich zwar die Initiativgruppe auf; doch die von Gisela Kurze und Christian Albroscheit am 30. August 1999 gegründete „Arbeitsgemeinschaft Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis“ übernimmt umgehend deren Aufgaben.

Doch nach wenigen Jahren war eine Besichtigung des Gebäudes wegen Baufälligkeit nicht mehr möglich. Am 29. April 2003 untersagte der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein als Hauseigentümer weitere Führungen durch die Kellerräume. Der Verein könne das Risiko nicht länger tragen, falls er zu Unfällen kommen sollte, begründete der EKH damals diesen Schritt.

Wiederum bedurfte es des Engagements der Bürger- und Zeitzeugeninitiative, damit am 9. Dezember 2004 das Grundstück Leistikowstraße 1 – und somit auch das ehemalige Untersuchungsgefängnis – unter Denkmalschutz gestellt wurde. Zwei weitere Jahre später fand ein begrenzt offener Realisierungswettbewerb für die Sanierung des historischen Gefängnisgebäudes und die Errichtung eines Besucherzentrums für eine künftige Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam statt. Das Preisgericht empfahl einstimmig den Entwurf des Münchner Architekten Wolfgang Brune zur Realisierung, die in den Jahren 2007 bis 2008 erfolgte.

Doch seitdem die Arbeit vor Ort Ende 2008 von der unselbständigen Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße übernommen wurde, die wiederum der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten untersteht, hat sich das Verhältnis zum Förderverein ehemaliges KGB-Gefängnis deutlich verschlechtert. Viele Zeitzeugen fühlen sich von der jetzigen offiziellen Leitung ausgegrenzt. So wird von dem Förderverein beklagt, daß seit der Führung der Gedenkstätte durch die Historikerin Ines Reich im vergangenen Februar  die wenigen, oft hochbetagten Überlebenden kaum noch zu Wort gekommen seien. Ferner kam Reich den zahlreichen Bitten und Aufforderungen nicht nach, zumindest bis zur Erstellung einer neuen Dauerausstellung die Präsentation „Von Potsdam nach Workuta“ von Memorial Deutschland e.V. vor Ort zu zeigen.

Erforschung von 1.500 Inschriften der Häftlinge

Dies beklagte auch die Brandenburgische FDP-Politikerin Linda Teuteberg. Auf einer Veranstaltung des Fördervereins am 30. Mai bezeichnete sie diese Ausstellung als „ein wichtiges Zeitzeugendokument“: „Die darin zu Wort kommenden ehemaligen Inhaftierten des KGB-Gefängnisses haben dazu beigetragen, den Opfern von Gewaltherrschaft eine Stimme zu geben“, so Teuteberg.

Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten teilte inzwischen selbst mit, daß zur Zeit die zahlreichen Einritzungen von Häftlingen in den Zellen des ehemaligen sowjetischen Gefängnisses sorgfältig dokumentiert und wissenschaftlich erschlossen würden. Insgesamt sind es über 1.500 Inschriften, darunter auch viele Namen, zu denen weitere Recherchen unternommen werden, weil man sich davon erhellendere historische Erkenntnisse zum Geschehen vor Ort erhofft. Die ersten Ergebnisse, die auch Teil der künftigen Dauerausstellung werden sollen, wurden am 17. Mai vorgestellt. Diese sollen, so teilte Reich mit, Teil der künftigen Dauerausstellung werden.

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