© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Schlachtfeld für Krawalltouristen
„Bunte Republik Neustadt“: Was in Dresden als Straßenfest begann, droht zum Tummelplatz von Linksextremisten zu werden
Paul Leonhard

Eine DDR-Fahne weht vor dem Kulturhaus auf der Alaunstraße in Dresden. Im Ährenkranz sind allerdings nicht Hammer und Zirkel zu sehen, sondern eine fröhlich schauende Micky Maus. So begann am 22. Juni 1990 die „Bunte Republik Neustadt“. Es sollte ein Fest für Kinder und Erwachsene werden und eine Protestveranstaltung gegen die anbrechenden „kapitalistischen Zeiten“ in der ausgehenden DDR.

Wenigstens für ein Wochenende wollte die linke Szene in Dresden ihre am Wählerwillen gescheiterte Utopie einer ihrer Ansicht nach „gerechten Gesellschaft“ ausleben. Am Wochenende vor der Währungsunion wurde rund um die Äußere Neustadt, Dresdens weitgehend von den alliierten Bombenangriffen im Februar 1945 verschont gebliebenes Gründerzeitviertel mit rund 15.000 Einwohnern, ein weißer Strich als symbolische Grenze gezogen. Zudem wurden Pässe und eine eigene „Neustadtmark“ ausgegeben. Diese galt als offizielles Zahlungsmittel und war an Wechselstuben einzuwechseln. Gegenüber der Ost-Mark galt ein Umtauschkurs von eins zu eins; wer nur Westgeld besaß, mußte zwei D-Mark für eine Neustadtmark berappen. Westdeutsche, die einen Neustadt-Paß erwerben wollten, mußten sich einer Prüfungsordnung unterwerfen, über deren Einhaltung eine „ordentliche provisorische Regierung“ wachte. An deren Spitze stand wiederum ein „Monarch ohne Geschäftsbereich“. Diese Rolle übernahm der langmähnige Lebenskünstler und Neustadt-Dichter Gregor Kunz.

„Gegen Spekulation und Mietpreiswucher“, hieß die Losung damals. Die zumeist studentische Hausbesetzer­szene in Dresdens Gründerzeitviertel fürchtete, daß die gesetzfreien Zeiten bald vorbei sein könnten. Sie pflanzten die schwarzroten Fahnen der Anarchisten auf ihre Balkons. Die Interessengemeinschaft Äußere Neustadt dagegen formulierte konkrete Forderungen an die Politik: Stopp des Verfalls, Abschluß von Mietverträgen mit den Schwarzmietern, Verkehrsberuhigung, Umweltschutz durch Öl- und Gasheizungen, neue Spielplätze. Zwanzig Jahre später sind alle diese Punkte weitgehend erfüllt – und die selbsternannte Republik steht immer häufiger für Randale.

Das Viertel hat sich grundlegend gewandelt. Die meisten Häuser sind saniert, einige Neubauten sind entstanden, verschiedenste Eigentumsformen wurden hier gefördert. Die Äußere Neustadt ist noch immer das lebendige Szeneviertel der sonst behäbig daherkommenden Landeshauptstadt. Die hohe Kneipendichte sorgt für moderate Mieten, und beides zieht vor allem junge Menschen an.

Verändert hat sich dagegen die Bunte Republik. Die „provisorische Regierung“ hat sich bereits 1993 aufgelöst. Das Stadtteilfest ist längst unregierbar geworden. In den vergangenen Jahren fand sich nicht einmal mehr ein Organisator, der gegenüber der Verwaltung die Verantwortung für die Veranstaltung übernehmen wollte. Selbst viele Bewohner des Viertels fliehen am Festwochenende. Ursache ist die Janusköpfigkeit des Festes. Was sich tagsüber als buntes Straßenfest mit skurrilen Typen präsentiert, wird in den frühen Morgenstunden zu einem Schlachtfeld, auf dem sich aus ganz Deutschland angereiste linke Krawalltouristen Straßenschlachten mit der Polizei liefern. Die Szenen erinnern an die Ausschreitungen, die regelmäßig das Schanzenfest im Hamburger Schanzenviertel begleiten. Auch hier nutzen Linksextremisten ein Straßenfest, um sich Auseinandersetzungen mit der Polizei, dem Repräsentanten des von ihnen gehaßten Systems, zu liefern.

Vor drei Jahren bewarfen in Dresden 500 Gewalttäter aus der sogenannten „autonomen Szene“ die Polizei mit Flaschen, Steinen, Feuerwerkskörpern und errichteten Barrikaden. An diesem Wochenende ging auch das Stadtteilhaus in Flammen auf. Die Sicherheitskräfte mußten Reizgas und Wasserwerfer einsetzten, um des tobenden Mobs Herr zu werden. Ein Jahr später sicherten 2.800 Beamte das Stadtteilfest ab und nahmen 50 Personen fest. Als am Ostermontag 2009 dem Brandanschlag auf den Fuhrpark der Offiziersschule des Heeres in Dresden ein Bekennerschreiben folgte, das ausdrücklich auf eine „provisorische Regierung der Bunten Republik Neustadt“ Bezug nahm, fürchteten die Sicherheitskräfte für das Stadtteilfest das Schlimmste.

„Jede Verherrlichung von Krieg, Militarismus, Faschismus und Rassismus ist in der BRN verboten“, zitierten die Brandstifter, denen 42 Fahrzeuge der Bundeswehr zum Opfer fielen und die bis heute nicht gefaßt werden konnten, aus der „Proklamation“ der „Bunten Republik Neustadt“. Größere Ausschreitungen blieben im vergangenen Jahr zwar aus, aber auch viele Dresdner machten einen Bogen um die Bunte Republik. Statt der sonst üblichen 100.000 kamen deutlich weniger Gäste. Dies ist neben der Angst vor Krawallen auch der Kommerzialisierung des Festes und seiner abnehmenden Originalität geschuldet. Besucher beklagen steigende Preise, die Einwohner und Vereine zu strenge Reglementierungen durch das Ordnungsamt. Schon längst feiert das Viertel sich nicht mehr selbst.

Wenn sich in diesem Jahr die Gründungsväter der Bunten Republik wieder der Wurzeln des Stadtteilfests entsinnen wollen, dann könnte das einen Neuanfang bedeuten. Voraussetzung für einen Neuanfang im Szeneviertel ist aber, daß Anwohner, Gastronomen und Künstler ein gemeinsames Konzept finden und die vom 18. bis 20. Juni stattfindende 20. Bunte Republik Neustadt – auch nachts – eine friedliche wird.

Foto: Straßenszene in der Dresdner Neustadt: Das Stadtteilfest ist längst unregierbar geworden

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