© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Königliche Ängste
Niederlande: Knappe Mehrheit für Mitte-Rechts-Parteien / Wilders will in die Regierung / Auch Mitte-Links-Koalition unter Führung des Wahlsiegers Rutte möglich
Mina Buts

Königin Beatrix habe den Ausgang der niederländischen Parlamentswahlen so sehr gefürchtet, daß sie – anders als geplant – nicht abgedankt habe, so kolportierte es die Berliner taz. Das niederländische Nieuwsblad hatte nämlich das Gerücht in Umlauf gebracht, die 72jähige habe ihr 30jähriges Kronjubiläum am 30. April eigentlich nutzen wollen, um die Amtsgeschäfte ihrem 43jährigen Sohn, Prinz Willem Alexander, zu übergeben. Offenbar hatte die Monarchin den richtigen Instinkt.

Die Niederlande befinden sich in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und ausgerechnet jetzt gelingt es dem umstrittenen Anti-Islamisten Geert Wilders, mit seiner Partei für die Freiheit (PVV) drittstärkste Kraft zu werden. Bei der vorgezogenen Parlamentswahl am 9. Juni konnte die PVV ihre Stimmenzahl auf fast 1,5 Millionen (15,5 Prozent) verdreifachen, sie ist künftig mit 24 Abgeordneten im 150sitzigen Parlament vertreten.

Eigentlicher Wahlsieger wurde wie erwartet Mark Rutte von der wirtschaftsliberalen Volkspartei (VVD), die mit 20,5 Prozent und 31 Sitzen stärkste Fraktion wurde. Rutte hatte harte Einschnitte ins soziale Netz angekündigt, um die Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen. Einer seiner Kernpunkte ist die Heraufsetzung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre. Hier und nicht in der Einwanderungspolitik liegen PVV und VVD am weitesten auseinander. Wilders, der das Renteneintrittsalter im Wahlkampf für unverhandelbar hielt, ruderte aber schon zurück: Um Koalitionsgespräche mit der VVD (der Wilders bis 2004 angehörte) nicht von vorneherein zum Scheitern zu verurteilen, sei selbst eine Beratung über dieses Thema nicht länger tabu. Die Gerüchte allerdings, die Ex-VVD-Ministerin Rita Verdonk (ihre neue Rechtspartei „Stolz auf die Niederlande“/TON scheiterte mit 0,6 Prozent) könne nun möglicherweise für die PVV wieder ins Parlament einziehen, wies Wilders als wilde Spekulation zurück.

Anfang der Woche beauftragte die Königin den VVD-Fraktionschef der Ersten Kammer (Senat), Uri Rosen­thal, Sondierungsgespräche für eine Regierungsbildung aufzunehmen. Zwar werden alle Fraktionen formell dazu eingeladen, realistisch sind eigentlich nur zwei Varianten: eine „Lila-Koalition“ aus VVD, Sozialdemokraten (PvdA/30 Sitze), Linksliberalen (D’66/10 Sitze) und den Grünen (10 Sitze), die mit 81 Sitzen eine numerisch komfortable Mehrheit hätte. Oder aber eine Mitte-Rechts-Koalition aus VVD, PVV und den dezimierten Christdemokraten (CDA/21 Sitze) des bisherigen Premiers Jan Peter Balkenende. Unterstützung für dieses Dreierbündnis hat die bibeltreu-calvinistische SGP signalisiert, die wieder mit zwei Abgeordneten im Parlament vertreten ist. Rutte könnte so auf 78 Stimmen bauen.

Erstaunlich dabei ist: Trotz des für viele Niederländer kaum akzeptablen Rechtsrucks fordert selbst der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, Job Cohen, Sondierungsgespräche der Mitte-Rechts-Parteien. Der Wählerwille sei so eindeutig, daß er respektiert werden müsse. Ob allerdings die Christdemokraten für Wilders bereit sind, ist die große Frage. Innerhalb der CDA man uneinig, allerdings hatte Balkenende 2002 keine Scheu vor einer Koalition mit der VVD und der einwanderungskritischen Liste Pim Fortuyn (LPF) gezeigt. Von den linken Parteien gibt es einen klaren Abgrenzungsbeschluß gegen die PVV.

Keine Zustimmung findet in den Niederlanden hingegen die Forderung von Ingrid Rep, der Leiterin des staatlich geförderten Zentrums für bildende Kunst in Gelderland (CBKG), alle Kontakte zu Künstlern abzubrechen, die für Wilders’ PVV gestimmt haben. Dies wird als Verstoß gegen Artikel 1 der Verfassung gesehen, der die Meinungsfreiheit garantiert. Um diese zu wahren, hatte Rutte schon im vergangenen Jahr gefordert, sowohl das Verbot der Gotteslästerung als auch das der Holocaust-Leugnung aufzuheben: „So unsinnig es auch ist, daß jemand den Holocaust leugnet, verbieten muß nicht sein.“ Auch Hitlers „Mein Kampf“ solle künftig frei erhältlich sein. Das ist ein weiterer Kontrapunkt zu Wilders, der ja sogar den Koran verbieten will.

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