© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

UMWELT
Die größte Katastrophe
Volker Kempf

Der britische BP-Konzern – der in Deutschland unter dem Namen „Aral“ Benzin und Diesel verkauft – hat seit dem 20. April fast die Hälfte seines Börsenwerts eingebüßt. BP-Anleihen tendieren Richtung Ramschniveau, denn die Schadenersatzforderungen steigen täglich. Wegen der Ölpest im Golf von Mexiko wurde eine Fläche größer als Großbritannien für die Fischerei gesperrt. Nach Louisiana, Mississippi und Alabama hat das Öl die Sandstrände Floridas erreicht. Entlastungsbohrungen sollen noch bis August dauern. Kommentatoren sprechen vom „Tschernobyl der Ölwirtschaft“. Denn wie bei der sowjetischen Atomkraftwerksexplosion 1986 hat der Gau kontinentale Züge angenommen. Bisher ist von der Ölpest zwar nur US-Territorium direkt betroffen, doch das hat mehr mit der Größe von God’s own country als mit dem Ausmaß der Katastrophe zu tun.

Die gigantischen Auswirkungen, die eine einzige Tiefsee-Ölplattform im Golf von Mexiko ausgelöst hat, straft all diejenigen Lügen, die meinen, der Mensch könne machen, was er wolle, weil die Erde zu groß sei, um auf ihr viel anzurichten. Gerade unter Klimakatastrophen-Kritikern hat dieses Argument aus der hoffnungsfrohen Zeit der Hochindustrialisierung Konjunktur. Doch die Macht des Menschen über die Biosphäre ist in den vergangenen 200 Jahren unübersehbar gewachsen. Das lehren nicht nur die BP-Ölpest oder der Tschernobyl-Gau, sondern auch die Überfischung der Meere und das Schwinden der Regenwälder. Es wird nicht reichen, die Sicherheitsvorkehrungen bei Tiefseebohrungen zu verbessern. Denn die Schädigung der Biosphäre geht auch mit zuverlässigerer Technologie und Notfallplänen weiter, ohne viel Aufsehen zu erregen. Das ist die größte Katastrophe.

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