© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Ole von Beust wackelt
Hamburg: Angesichts des Streits um die schwarz-grüne Schulreform formiert sich in der CDU Widerstand gegen den Linkstrend der Partei
Sverre Schacht

Die Mehrheit der Hamburger fordert den Rücktritt ihres Ersten Bürgermeisters Ole von Beust (CDU), und der „Baron“ hat allen Grund, geneigt zu sein, von selbst abzutreten. Vor vier Jahren konnte er noch damit drohen. Inzwischen wünscht sich nicht nur die Mehrzahl der Hanseaten laut Umfragen seinen Rücktritt, sogar viele in der eigenen Partei haben die regierende schwarz-grüne Koalition und deren geplante Schulreform satt.

Damals wie heute spielt der Streit um konservative Personen und Positionen, die von Beust weitgehend aus der Elb-CDU gedrängt hat, die entscheidende Rolle bei der Rücktrittsfrage. Zahlreiche Skandale um die Finanzen der Stadt, laut Beust-Eingeständnis von „kreativer Bilanzierung“ geprägt, bieten den Anlaß und erschüttern die CDU-Wirtschaftskompetenz. Schon im März habe Beust zusammen mit dem Finanzsenator zurücktreten wollen, schreibt die Bild – auch der in Hamburg mächtige Springer-Verlag geht auf Distanz. Doch die Grünen hätten den Bürgermeister zwecks Rettung der Schulreform zum Weitermachen genötigt, der Finanzsenator, zugleich CDU-Landeschef, sich dagegen nicht umstimmen lassen: Michael Freytag trat zurück. Seither bekommt dieser vom Bürgermeister die Schuld an der Finanzmisere. Obwohl vor gut zwei Jahren Wahlen waren, bieten sich SPD und CDU nebst Grünen einen Schlagabtausch wie zu Wahlkampfzeiten.

Im April sagte Beust noch: „Ich bin nicht amtsmüde.“ Die Rücktrittsforderungen kommen jedoch inzwischen aus verschiedensten Richtungen, seit dem Wochenende auch von den städtischen Angestellten und Beamten, denen der Senat Kürzungen der Bezüge auferlegt. So wie die soziale Kluft zwischen ehrgeizigen Senats-Projekten plus offener Geldverschwendung einerseits und ständig neuen Sparzwängen andererseits größer wird, entfernt sich Schwarz-Grün vom Stadtvolk. Die Liste der Debakel ist lang, der Landesvater uneinsichtig: Milliardenverluste um die landeseigene HSH-Nordbank verkauft von Beust nach wie vor als „erfolgreiche Sanierung“ – drei Milliarden Euro kostet sie. Die Elbphilharmonie erweist sich als 330-Millionen-Euro-Grab (JF 21/10). Das grüne Prestigeprojekt Stadtbahn schlägt mit einer Milliarde zu Buche, steht noch am Anfang und somit zum Sparen frei. Das geschieht aber nur bei den Bürgern, die der Senat obendrein mit der Einführung der Primarschule für 390 Millionen Euro plus 64 Millionen Euro pro Jahr für laufende Kosten beglücken will – zu seiner „Überraschung“, so Ole von Beust, gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit.

Am 18. Juli wird über die Primarschul-Einführung per Volksentscheid abgestimmt. Schwarz-Grün droht Umfragen zufolge eine Niederlage. Das entfaltet in der Elb-CDU Sprengkraft. Der Alsterkreis „für einen konservativen Aufbruch“ in der CDU ruft Parteimitglieder und CDU-Wähler per Rundbrief auf, am 18. Juli gegen den Senat und dessen Primarschule und für die Volksinitiative „Wir wollen lernen“ zu stimmen. Ein offener Bruch mit Ole von Beust, auch wenn keine Namen fallen: Die Initiative sei „die vorerst letzte Chance in Hamburg zu einer christdemokratischen Schulpolitik zurückzukehren“, heißt es in dem Aufruf, der bei der Parteispitze sofort massive Abwehrreaktionen auslöste. Das Papier von Johannes Keßner und Horst Szychowiak offenbart die Tiefe des Zerwürfnisses der CDU-Basis mit Schwarz-Grün: „Die Grünen haben es geschafft, die CDU vor sich herzutreiben“, so die im Kern rund 60 Mitglieder zählende Gruppe – „Führende Unionspolitiker haben sich linksideologische Positionen zu eigen gemacht, anstatt christdemokratische Grundsätze in der Schulpolitik wirksam werden zu lassen“.

Keßner wie Szychowiak kennen als langjährige Parteimitglieder die Stimmung an der Basis. Ihre Gruppe greift die CDU-geführte Bürgerschaft frontal an: „Dabei ist es ihre Politik der vorschnellen Preisgabe eigener Überzeugungen, die CDU-Mehrheiten zerstört, Bürgerliche politisch heimatlos werden und die Zustimmung zu linken Parteien wachsen läßt.“ Längst bereite die Koalition in den Schulen das Ende des Leistungsgedankens und die Einheitsschule vor. Die Thesen treffen ins Herz der Bürger, denn jüngste deutschlandweite Erhebungen bescheinigen der Stadt trotz Spitzenausgaben für Bildung unterdurchschnittliche Ergebnisse. Selbst die heillos zerstrittene Elb-FDP plakatiert „Keine Axt an die Gymnasien“ und nutzt die politische Heimatlosigkeit Konservativer. In der CDU sei dagegen die öffentliche Kommunikation „in einem Maße von den Reformbefürwortern geprägt, wie dies deren Gewicht innerhalb der Union nicht entspricht“, sagt Keßner. Mit Blick auf die Benachteiligung konservativer CDU-Strömungen warnt der Alsterkreis vor den Folgen für die Partei: „Die Verkümmerung einer dieser Wurzeln führt zum Ende dieser Erfolgsgeschichte“.

Hamburg droht nach der Volksabstimmung jetzt ein Modellfall für die Bundes-CDU zu werden, wie vom Alsterkreis vorhergesehen: „Die CDU könnte gezwungen sein, sich in der heutigen Parteienlandschaft als Partner, eventuell sogar nur als Juniorpartner, in einer Großen Koalition oder in der Opposition einzurichten. Gleichzeitig wächst die Gefahr, daß in das von der CDU eröffnete Vakuum andere bestehende oder sich neu gründende Parteien und Wählervereinigungen hineinstoßen.“

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