© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Politische Alpträume
Niederlande: Verhandlungen über Mitte-Rechts-Koalition gescheitert / Sozialdemokraten wollen Mitte-Links-Regierung durchsetzen
Mina Buts

Job Cohen, der Parteivorsitzende der niederländischen Sozialdemokraten (PvdA), hat nach der Parlamentswahl vom 9. Juni (JF 25/10) eine gewiefte Politik des Abwartens betrieben. Das könnte sich jetzt auszahlen, da sich die bislang regierenden, aber nun dezimierten Christdemokraten (CDA) gegen eine numerisch mögliche Mitte-Rechts-Koalition sperren. Als aussichtsreicher PvdA-Spitzenkandidat war Cohen, zuvor Bürgermeister von Amsterdam, angetreten. Er konnte aber – entgegen den Prognosen und durch eigenes Verschulden – dann doch nicht den erhofften Platz eins erringen.

Die Niederländer wählten statt dessen mehrheitlich Mitte-Rechts. Der Antiislamist Geert Wilders konnte mit seiner faktischen Einmannpartei PVV seinen Stimmenanteil verdreifachen. Stärkste Fraktion wurde die rechtsliberale Volkspartei (PVV) mit ihrem 43jährigen Spitzenkandidaten Mark Rutte, der damit als designierter Ministerpräsident gehandelt wird. Gleich nach den Wahlen forderte Cohen VVD und PVV auf, aus „Respekt vor dem Wählerwillen“ in Koalitionsverhandlungen einzutreten – wohlwissend, daß die in ihrer Haltung Wilders gegenüber gespaltenen Christdemokraten als Mehrheitsbeschaffer gebraucht werden würden. Zum Unterhändler wurde Uri Rosenthal (VVD-Führer in der Ersten Kammer) bestellt, das erste Sondierungsgespräch der drei Parteien dauerte aber nur wenige Stunden. Die drei Parteien hätten gemeinsam über 76 der 150 Parlamentssitze verfügt, die hauchdünne Mehrheit wäre allerdings von der wertkonservativ-calvinistischen SGP (sie hat zwei Parlamentssitze) toleriert worden.

Christdemokraten über Wilders gespalten

Die CDA, deren Chef Premier Jan Peter Balkenende mittlerweile zurückgetreten ist, steht vor dem Dilemma, daß der konservativere Teil ihrer Wählerschaft längst zu PVV oder VVD abgewandert ist. Der linke CDA-Flügel schließt hingegen eine Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Wilders rigoros aus, einige drohen sogar mit Parteiaustritt. Rutte steht nun vor dem Dilemma, daß Cohen sich aus fadenscheinigen Gründen weigert, der nächstliegenden Alternative, einem Sondierungsgespräch von VVD, CDA und PvdA (zusammen 82 Sitze), zuzustimmen. Da seien unter den drei Parteien gleich zwei Wahlverlierer, das wiederum sei eine Verhöhnung des Wählerwillens, meinte Cohen. Er pocht statt dessen auf eine „lila plus“-Koalition, in der neben VVD, PvdA und der linksliberalen D’66 (wie unter Wim Kok/PvdA bis 2002) nun auch die Grünen beteiligt werden sollen. Schließlich hätten die beiden Kleinparteien ja auch Stimmengewinne zu verzeichnen gehabt. Seit Anfang der Woche finden erste Gespräche zwischen den vier Parteien statt.

Es ist allerdings schwer vorstellbar, daß der rechtsliberale Rutte tatsächlich Ministerpräsident eines linken Kabinetts wird, nicht nur weil die politischen Vorstellungen der möglichen Koalitionäre sehr weit auseinanderliegen. Anders als die VVD wollen die Linken keine schärfere Einwanderungspolitik und keine der so nötigen Einschnitte ins soziale Netz. Sie fordern den Abzug aus Afghanistan und den EU-Beitritt der Türkei. Mit einem „lila plus“-Kabinett würde der Wählerwille ad absurdum geführt, das weiß Rutte. Das Magazin Elsevier warnt ihn daher, sich nicht zum „Paten eines Alptraums“ zu machen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen