© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Sklaverei unter dem Halbmond
Dreizehn Jahrhunderte gehörte Menschenraub und -handel zur Kultur der islamisch-arabischen Welt
Wolfgang Kaufmann

Als der britische Historiker Tom Holland im vorigen Jahr sein Meisterwerk „Millennium“ vorlegte, rückte er damit die inzwischen weitgehend verdrängte Tatsache wieder ins Gedächtnis, daß es im hochmittelalterlichen Europa zu einer Renaissance des bis dahin schon fast völlig eingeschlafenen Sklavenhandels kam. Grund war die Expansion und Prachtentfaltung des Islam: Die Muslime entwickelten deswegen einen immer größeren Bedarf an „ungläubigen“, aber qualifizierten Arbeitskräften.

Dabei kauften sie ihre christlich-europäischen Sklaven zunächst bei Zwischenhändlern in Neapel und anderen multikulturellen Brennpunkten des Mittelmeerraums, in denen permanent Sklavennachschub aus dem Norden eintraf. Das heißt, europaweit agierende bzw. vernetzte Gruppen skrupelloser Christenmenschen fingen ihre arglosen Glaubensbrüder ein und verhökerten sie hernach meistbietend an die vermeintlichen Helfershelfer des Antichristen. Später freilich – nach ihrer Verdrängung von der Iberischen Halbinsel und Sizilien – gingen die arabo-islamischen Sklavenhändler dann dazu über, sich die nach wie vor dringend benötigte „Ware“ selber zu beschaffen, indem sie entweder Raubzüge an den Küsten Spaniens, Portugals, Frankreichs, Italiens und sogar Englands unternahmen oder aber Schiffe auf hoher See kaperten.

Welcher Leidensweg für die betroffenen Christen mit einer Versklavung durch Muslime in Normalfall begann, verdeutlicht uns Giles Milton anhand der Erinnerungen des englischen Schiffsjungen Thomas Pellow, welche bis vor kurzem unentdeckt im britischen Nationalarchiv schlummerten. Pellow geriet 1715 in die Fänge des Sultans von Mek­nes in Marokko, aus denen er sich erst nach 23 quälenden Jahren der Sklaverei befreien konnte, und berichtet unter anderem, daß es eine weitverbreitete Praxis war, die christlichen Sklaven so lange zu foltern, bis sie entweder starben oder physisch und psychisch gebrochen zum Islam konvertierten.

Bis 1816 endete etwa eine Million Europäer in vorrangig maghrebinischer Gefangenschaft, dann legte ein Nachfahre Pellows das Sklavenhandelszentrum Algier vermittels 50.000 wohlgezielter Schüsse seiner 18 Kriegsschiffe in Schutt und Asche und sandte damit ein unmißverständliches Signal an die Adresse aller Sklaventreiber in Nordafrika und Nahost. Nicht Einsicht, sondern die wachsende militärische Stärke der Europäer sorgte also für das abrupte Ende des Handels mit weißen, christlichen Sklaven. Deshalb kam es auch zu keinem prinzipiellen Umdenken auf seiten der arabischen bzw. muslimischen Menschenfänger. Vielmehr richtete sich ihr Blick nunmehr voll und ganz auf Schwarzafrika, von wo aus sie ohnehin schon seit dem Jahre 652 in kleinerem Umfang Sklaven bezogen hatten.

Was diese Schwerpunktverlagerung für die betroffenen Völker südlich der Sahara bedeutete, schildert der senegalesische Anthropologe Tidiane N’Diaye in seiner jetzt auf deutsch vorliegenden Studie: In der Folgezeit wurden mindestens 17 Millionen schwarze Afrikaner wie Vieh eingefangen und in die islamische Welt deportiert. Dabei kam ein erheblicher Teil der Betroffenen infolge der extrem unmenschlichen Behandlung während der Todesmärsche durch das Innere des Kontinents ums Leben. Ein übriges taten die in großem Umfang vorgenommenen Kastrationen, denn nicht weniger als achtzig Prozent der Knaben und Männer, denen die Genitalien auf barbarische Weise entfernt wurden, weil Eunuchen größere Gewinne versprachen, starben eines jämmerlichen Todes.

Angesichts dieser unzweifelhaften ethnischen Auslöschung spricht N’Diaye, dessen Arbeit 2008 in Frankreich Furore machte (JF 35/08), dann auch klar und eindeutig von einem „verschleierten Genozid“ an den Völkern aus dem Bilad as-Sudan, also dem „Land der Schwarzen“. Außerdem fällt auf, daß die arabo-islamische Gesellschaft über einen extrem großen Zeitraum auf Sklavenarbeit setzte, nämlich 13 Jahrhunderte lang – so wurde beispielsweise die Sklaverei in Saudi-Arabien erst 1962 offiziell abgeschafft. Zum Vergleich: Der transatlantische Sklavenhandel der Europäer, in dessen Verlauf Millionen schwarzer Menschen in die Neue Welt verschleppt wurden, währte vier Jahrhunderte.

Dabei war der beispiellose Aderlaß für Schwarzafrika durch eine unvergleichliche Brutalität gekennzeichnet, welche sowohl in rassischer als auch in religiöser Überheblichkeit wurzelte, denn aus arabo-islamischer Sicht handelte es sich bei der menschenverachtenden Sklavenjagd im subsaharischen Raum um einen vollkommen legitimen Dschihad gegen eine „heidnische“ und zugleich noch biologisch „minderwertige“ Rasse. Dennoch tut man sich in Schwarzafrika heute immer noch sehr schwer mit der Verurteilung des muslimischen Sklavenhandels und der damit verbundenen Ausrottungsexzesse. N’Diaye spricht hier treffend von einem „Stockholm-Syndrom afrikanischer Art“, das von der afrikanischen bzw. nunmehr teilweise afro-islamischen Gesellschaft mit aller Macht konserviert werde, weil es die conditio sine qua non für den angeblich so notwendigen afrikanisch-arabischen Schulterschluß gegen den Westen sei.

Ja, mehr noch! Einige willfährige Wissenschaftler fanden sich sogar bereit, die historische Wahrheit zu verfälschen, indem sie die Sklavenexporte aus Sansibar in Richtung des Arabisch-Persischen Golfes kleinrechneten oder gleich ganz unverfroren dem transatlantischen Sklavenhandel der Europäer zuschlugen – ein eindrucksvolles Exempel für die „Standortgebundenheit“ heutiger geschichtswissenschaftlicher Forschung. Und das in einer Zeit, in der die Sklaverei in Ländern wie Mauretanien, Niger und dem Sudan gerade ungehindert Wiederauferstehung feiert.

Giles Milton: Weißes Gold. Die außergewöhnliche Geschichte von Thomas Pellow und das Schicksal weißer Sklaven in Afrika. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2010, gebunden, 288 Seiten, 22,90 Euro

Tidiane N‘Diaye: Der verschleierte Völkermord.Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels in Afrika. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010, gebunden, 256 Seiten, Abbildungen, 19,95 Euro

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