© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Die DDR-Wirtschaft war ohnehin am Ende
Auch ein anderer Umtauschkurs hätte das Wegbrechen der DDR-Absatzmärkte nicht verhindern können / Phantomdiskussion über den Umtauschkurs
Karl Feldmeyer

Am 1. Juli liegt die Währungsunion, also die Einführung der D-Mark in der noch existierenden DDR, zwanzig Jahre zurück. Für Otto Normalverbraucher war dieses Datum nahezu gleichbedeutend mit dem Einstieg in die Wiedervereinigung. Sie mußte bis zum 3. Oktober warten, weil die völkerrechtliche Verbindlichkeit der Einheit Deutschlands erst nach Abschluß der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen erreicht war. Sie aber waren alles andere als eine Formalität. Denn von einer geschlossenen Unterstützung der Wiedervereinigung durch die Westmächte konnte keine Rede sein. Im Gegenteil: Maggie Thatcher, die britische Premierministerin, versuchte die Wiedervereinigung mit aller Kraft zu verhindern. Und Frankreichs Präsident François Mitterrand unterstützte sie dabei. Allein auf die Unterstützung von US-Präsident George Bush konnte Bundeskanzler Kohl sich verlassen. Bushs entschiedene Unterstützung bewog den sowjetischen Präsidenten Gorbatschow letztlich, Ja zu Deutschlands Einheit und zu seinem Verbleib in der Nato zu sagen.

Die innenpolitischen Details – die Frage, wie die Wiedervereinigung vor sich gehen sollte, rechtlich, wirtschaftlich, sozial und finanziell – aber waren schon vor dem 3. Oktober im Staatsvertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialgemeinschaft geklärt worden. Nachdem die Deutschen in der DDR am 18. März erstmals die Volkskammer der DDR frei gewählt hatten, ging es zügig an die Klärung der Sachfragen von den Renten bis hin zu dem heikelsten Thema: Wie sollte der Umtauschkurs  der Mark der DDR in die D-Mark festgelegt werden?  Verständlich, daß jeder Besitzer von DDR-Mark sein Geld am liebsten eins zu eins in D-Mark umgetauscht hätte; wohlwissend, daß sie dies nicht wert war. Diese Forderung lief darauf hinaus, sich Kaufkraft von der alten Bundesrepublik schenken zu lassen.

1990 brach osteuropäischer Absatzmarkt zusammen

Für diesen Wunsch hatten viele Verständnis, ging es doch auch um ein Entgegenkommen für die deutschen Landsleute, die 45 Jahre lang die schwerere Last des verlorenen Krieges tragen mußten. Die Fachleute aber verwiesen auf die Probleme, die sich daraus für die Betriebe in der DDR ergeben würden. Ein Umtausch im Verhältnis Eins-zuEins mußte ihre Wettbewerbsfähigkeit vernichten, weil  ihre Produktions- und Lohnkosten hierdurch so stark erhöht worden wären,  daß ihre Produkte nicht mehr verkäuflich gewesen wären. So argumentierte die Bundesbank und sprach sich Ende März für den Zwei-zu-Eins-Kurs aus. Darin folgten ihr die meisten Wirtschaftsfachleute. Sie gingen dabei von einer Annahme aus, die sich kurz danach bereits als illusorisch erwies: Sie unterstellten nämlich, daß die Unternehmen der DDR weiter ihre bisherigen Kunden in der DDR und in den Ländern des Comecon genannten osteuropäischen Wirtschaftsraums behalten und beliefern könnten – wenn nur die Preise stimmten. Das aber war falsch. Die DDR-Wirtschaft war weder zu einem Drei-zu-Eins-Kurs noch zum Zwei-zu-Eins-Kurs zu retten, denn bald darauf lösten sich Comecon und Sowjetunion auf. Einen osteuropäischen Markt gab es nicht mehr, und diejenigen Unternehmen, die in die Marktwirtschaft fanden, kauften von nun an für D-Mark erstklassige Qualität aus West-Germany und nicht zweitklassige aus der DDR. Ein Trabi war – unabhängig vom Kurs – nunmehr unverkäuflich. Aber so weit reichte die Prognosekraft im April und Mai 1990 noch nicht, als man über den Umtauschkurs und darüber nachdachte, wie man die DDR-Bürger am zu reprivatisierenden „Volksvermögen“ beteiligen könne, das es tatsächlich gar nicht gab.

Anfang April gab es in Ost-Berlin sowie in mehreren Städten der DDR sogar Demonstrationen gegen die Einführung eines Zwei-zu-Eins-Kurses, über die das Neue Deutschland genüßlich breit berichtete. In Westdeutschland wandten sich SPD-Politiker wie Vogel, Dreßler und Matthäus-Maier gegen eine Zwei-zu-Eins-Regelung. Dem damaligen stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Lafontaine aber kam das Thema gelegen, denn ihm paßte bekanntlich die ganze Richtung nicht. Zwei-zu-Eins sei ein Wählerbetrug der Bundesregierung, tönte er schon am 2. April 1990  – obwohl damals noch gar nichts entschieden war. Dann ließ er die Katze aus dem Sack: Eine rasche Wiedervereinigung sei falsch. Man solle sich für einen „mehrjährigen Übergang“ unter Fortbestand der beiden Währungen entscheiden: mit anderen Worten für den Verzicht auf die Wiedervereinigung zumindest bis auf weiteres, besser überhaupt; denn aus seiner negativen Einstellung zur Einheit des deutschen Volkes hat Lafontaine nicht einmal einen Hehl gemacht, als er 1990 als Kanzlerkandidat der SPD um Stimmen werben mußte.

Die Diskussion hatte sich bereits wenige Wochen später erledigt. Bonn und Ost-Berlin einigten sich am 2. Mai 1990 darauf, den Umtauschkurs zu staffeln. Für Löhne, Gehälter, Pachten, Mieten und Renten sollte ein Kurs von Eins-zu-Eins gelten, für laufende Geschäfte, Forderungen und Verbindlichkeiten dagegen ein Kurs von Zwei-zu-Eins. Guthaben von Kindern bis 14 Jahren konnten bis zu 2.000 Mark, diejenigen von 15 bis 59jährigen bis zu 4.000 und über 60jährige bis zu 6.000 Mark Eins-zu-Eins umtauschen. Für höhere Beträge galt der Kurs Zwei-zu-Eins. Damit war dieser Streitpunkt aus der Welt geräumt – und Raum für neue geschaffen.

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