© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Preußen – eine humane Bilanz: Eine Serie von Ehrhardt Bödecker / Teil 2
Preußen war einer der ersten Rechtsstaaten
Ehrhardt Bödecker, Gründer des „Brandenburg-Preußen Museums Wustrau“, berichtigt gängige Preußenklischees / Auszüge aus seinem neuesten Buch

Auch von den heftigsten Kritikern Preußens wird nicht bestritten, daß dieser Staat der erste Rechtsstaat war. „In eigener Person Recht zu sprechen, ist eine Aufgabe, die kein Herrscher zu übernehmen vermag. Vor Gericht sprechen die Gesetze, der Herrscher muß schweigen.“ Das waren die Worte Friedrichs des Großen. Zum ersten Mal gab ein Staat dem Bürger die Möglichkeit, mit dem König zu prozessieren. In Paragraph 18 der Einführung des „Allgemeinen Preußischen Landrechts“ heißt es: „Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Oberhaupte des Staates und seinen Untertanen sollen bei den ordentlichen Gerichten nach den Vorschriften der Gesetze entschieden werden.“ Das war etwas Außerordentliches im 18. Jahrhundert. Wieder war Preußen ein Vorbild! Außerordentlich war es auch, daß sich der Schutz des Staates auf die in Preußen lebenden Ausländer und Flüchtlinge erstreckte. Pogrome wurden in Preußen gegen keine Bevölkerungsgruppe geduldet.

„Der Rechtsstaat ist wichtiger als der Parlamentarismus“

Die Einteilung der Staatsformen folgt bis in die Gegenwart der Lehre des Aristoteles: Monarchie, Aristokratie, Demokratie, oder in der heutigen Sprache ausgedrückt: Einzelherrschaft, Herrschaft einer bevorzugten Klasse und Volksherrschaft. Später sprach man noch zusätzlich von einer Theokratie, bei der die Gottheit selbst durch ihre Priester regiert (Gottesstaat in reiner Form). Mit dem „Cuius regio, eius religio“ entstand eine Mischform, bei der der Kirche ein überragender Einfluß auf die jeweilige Regierung zustand. Diese Art des Gottesstaates, das heißt eines Staates unter bedeutendem Einfluß der Kirche, konnte sowohl in einer Monarchie als auch in einer Demokratie bestehen. Das gilt natürlich in gleicher Weise für eine konstitutionelle Monarchie, in der sich die Kirche ebenfalls einen erheblichen Einfluß anmaßte. Alle diese Staatsformen standen gleichberechtigt nebeneinander, Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, der einen Form der Regierung der anderen gegenüber einen überlegenen moralischen oder staatsrechtlichen Wert beizumessen. Der Dünkel und die Arroganz der angeblichen moralischen Überlegenheit eines Staates und seiner Staatsverfassung über einen anderen sind das Ergebnis des modernen Zeitalters, also der heutigen Zeit. Auf diesem Gebiet zeichneten sich und zeichnen sich die beiden angelsächsischen Staaten Großbritannien und die USA besonders aus, obwohl sie angesichts ihrer eigenen Geschichte nicht den geringsten Grund für ihren Überlegenheitsdünkel haben.

Bismarck hat diese Entwicklung aufgrund seiner phänomenalen politischen Einsichten vorausgesehen, indem er am 17. September 1878 im Deutschen Reichstag sagte: „Und im Zuchthaus, da ist wenigstens ein Aufseher, ein Mensch, ein achtbarer Beamter, den man ‘anfassen’, über den man sich beschweren kann, aber wer werden die Aufseher sein in dem sozialistischen Zuchthaus? Das werden die unbekannten Redner sein, die durch Beredsamkeit die große Masse, die Majorität der Stimmen für sich gewinnen, gegen sie wird kein Appell sein, das werden die erbarmungslosesten Tyrannen sein.“ Und zu den Rednern, die Bismarck hier im Auge hatte, würde heute in erster Linie das Fernsehen gehören, das auf die Mentalität der Menschen durch die Programmgestaltung und Programmauswahl wohl den größten geistigen Einfluß ausübt. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), in Stuttgart geborener preußischer Staatsphilosoph (wohl der preußischste unter allen Philosophen), postulierte: Die beste Staatsform ist die rechtsstaatliche Monarchie!‘

Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist der Begriff des Rechtsstaats geprägt worden. Für den einzelnen Bürger spielt es keine Rolle, ob seine Rechte gegenüber dem Staat gestärkt oder ob die Herrschaftsrechte gegenüber den Bürgern eingeschränkt werden. Es ist ein Spiel mit Worten. Entscheidend bleibt, daß die Individualrechte gestärkt und die Maßnahmen der Verwaltung durch Rechtssätze gebunden wurden. Der bekannte Staatsrechtler und Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg, der mit 95 Jahren  im Jahre 1999 gestorben ist, sagte durchaus zutreffend: „Der Rechtsstaat ist wichtiger als der Parlamentarismus.“ Und Preußen war ein Rechtsstaat. Unsere heutige Gerichtsverfassung stammt immer noch aus der Zeit, in der Deutschland unter dem Einfluß Preußens stand.

Lynchmorde gab es in den USA, in Preußen war derart nicht geduldet

Viele Staaten, an der Spitze Japan, haben das preußisch-deutsche Rechtssystem übernommen. Rechtssicherheit und Gleichbehandlung gehören zu den unersetzlichen Voraussetzungen eines Rechtsstaats. Ein Staat, der Lynchmorde duldet, verfehlt daher die Eigenschaft eines Rechtsstaats. Vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis 1942, also über einen Zeitraum von 42 Jahren, wurden in den USA fast 5.000 Menschen durch Lynchjustiz unter dem Beifall von Hunderten von Zuschauern auf die grausamste Weise umgebracht. (Manfred Berg in: Historische Zeitschrift, Band 283, S. 583–616). Colored man roasted alive“ oder „Negro Barbecue“ wurden diese Morde genannt. Gegen diese gnadenlosen und unmenschlichen öffentlichen Morde an Menschen mit dunkler Hautfarbe griffen weder Justiz noch Polizei in den USA ein. Ein solches Verhalten schließt die Verwendung der Bezeichnung „Rechtsstaat“ aus.

Die hohe Rechtskultur Preußens wird an einem Beispiel besonders deutlich: Rudolph Hertzog jr., der Kaufhauskönig von Berlin, kaufte sich als erster in Berlin ein Auto. Es war ein Horch Cabriolet mit schwarzem Verdeck aus Zwickau. Die Polizei registrierte es unter „I A-1“. Zwei Jahre später schaffte sich auch der Kaiser ein Auto an, es war ein Daimler. Er wollte aus Prestigegründen nicht mit der Nummer „I A-2“ fahren und bat daher die Polizei, Rudolph Hertzog jr. zur Freigabe der Nummer „l“ zu bewegen. Hertzog weigerte sich. Es kam zum gerichtlichen Prozeß, bei dem der Kaiser unterlag. Der Polizeipräsident gestattete dem Kaiser daraufhin, ohne Kennzeichen zu fahren. Was lernen wir daraus? In diesem angeblich so autoritären, militaristischen und obrigkeitlichen Staat konnte der allmächtige Kaiser nicht einmal das Kennzeichen seines Autos durchsetzen. Das Recht hatte Vorrang.

Fortsetzung in der nächsten JF

Ehrhardt Bödecker Preußen –eine humane Bilanz Olzog Verlag, München 2010, geb., 142 Seiten, Abb, 16,90 EUR Best.-Nr.: 90767

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