© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/10 02. Juli 2010

Lord Acton, Aron und die Freiheit
Hayek-Tagung: Symposium über fragile Demokratie, Schattenwirtschaft, Privateigentum und Finanzmarktregulierung
Klaus Peter Krause

Über lange Frist können wir die politische Tendenz nur ändern, indem wir die geistige Entwicklung ändern.“ Diese wohl immer gültige Feststellung stammt von dem großen Liberalen Friedrich August von Hayek. Sie wurde vorige Woche von Iris Karabelas als Einstieg in die Tagung der Hayek-Gesellschaft und Hayek-Stiftung gewählt, die in diesem Jahr in Münster stattfand. In ihrem Vortrag unter dem Titel „Rezeption und Bedeutung Hayeks in der Bundesrepublik“ legte die Referentin für Forschungspolitik der Max- Planck-Gesellschaft in München dar, inwieweit Hayeks Gedankengut dort zwischen 1949 und 1990 aufgenommen wurde und, geprägt von der Kurzformel „Freiheit statt Sozialismus“, Widerhall und Eingang in die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen fand.

Eine solche Hayek-Rezeption hatte es vor allem mit Margaret Thatcher und unter Ronald Reagan gegeben. Im Deutschland der siebziger und achtziger Jahre habe eine vergleichbare Rezeption nicht stattgefunden. Und anders als in Großbritannien und den USA, wo Hayek als staatskritischer Marktliberaler gedeutet worden sei, habe man ihn in Deutschland vor allem als Anti-Sozialisten interpretiert, aber ohne seine kritische Haltung dem Staat gegenüber, so Karabelas. Auch habe sich hier die Wahrnehmung Hayeks bis in die 1970er Jahre auf Fachkreise beschränkt. Erst von Mitte der siebziger Jahre an sei Hayek zu einer Figur der Öffentlichkeit geworden. Daß der 1899 in Wien geborene Nationalökonomen und Philosoph 1974 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet worden ist, hat daran sicher einen wesentlichen Anteil gehabt.

Zur Rezeption Hayeks in Deutschland nach 1990, als die Sowjetunion und die DDR untergegangen waren und der Sozialismus damit als der große ideologische Gegner besiegt schien, sieht Karabelas den Resonanzraum eingeschränkt, das Interesse an antisozialistischen Denkern sei wegen vermeintlich fehlender Dringlichkeit erlahmt. Eine Rezeption Hayeks als marktliberaler Denker hält sie hierzulande für wenig wahrscheinlich. Denn die Politik fahre auf einem Gegenkurs. Wohl hat, auch dies ein Karabelas-Forschungsergebnis, Hayeks Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ in Deutschland am meisten Resonanz unter seinen vielen Werken gefunden. Sein Werk „Die Verfassung der Freiheit“ sei hingegen ohne Widerhall geblieben.

Wer Hayeks Erkenntnisse mißachtet, den bestraft das Leben – das ließe sich aus dem schlußfolgern, was Gérard Bökenkamp vom Liberalen Institut Potsdam aus seinem Buch „Das Ende des Wirtschaftswunders – Geschichte der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Bundesrepublik 1969 bis 1998“ vortrug. Stichworte sind Ausweitung der Staatsaufgaben und Subventionen, steigende Sozialtransfers, Haushaltsdefizite, schnell wachsende Staatsverschuldung, schwere Fehler bei und nach der Wiedervereinigung.

Liberale Demokratie, das am wenigsten schlechte System

Karabelas wie Bökenkamp stellten ihre Arbeiten im „Workshop der Nachwuchswissenschaftler“ vor, mit dem traditionell die alljährlichen Hayek-Tagungen beginnen. In diesem Rahmen stellte auch der Jurist Alexander Dörrbecker vom Bundesjustizministerium seine Gedanken über Leben und Werk des Historikers und Philosophen Lord Acton (1834 bis 1902) dar. Er skizzierte Lebensstationen und Leistungen Actons, der sich umfassend mit der Entwicklung der Freiheit in der Geschichte befaßte, mit der Gewissensfreiheit als Basis der Freiheit, mit der Machtbegrenzung, wie er für den Föderalismus eintrat, für die Aufteilung von Souveränität, für eine direkte Besteuerung statt einer indirekten, für das private Eigentum.

Matthias Oppermann (Universität Potsdam) kennzeichnete den politischen Denker Raymond Aron (1905 bis 1983) als einen Mann, der nach anfänglichen sozialistischen und pazifistischen Irrungen zu einem Verfechter des Liberalismus geworden ist und den Liberalismus als konservative Verteidigung der Demokratie verstand. „Der Aufstieg des Nationalsozialismus und die unmittelbare Erfahrung des Niedergangs einer liberalen Demokratie ließen ihn erkennen, daß jede liberale Ordnung fragil war und beständig Gefahr lief, an den eigenen Mängeln oder durch die Angriffe von inneren und äußeren Feinden zugrunde zu gehen“, sagte Oppermann über Aron. Der Franzose habe erkannt, was es zu verteidigen galt: „die liberale Demokratie als im aristotelischen Sinne bestes Regime, also das für die meisten Staaten erreichbare, am wenigstens schlechte politische System“.

Die diesjährige Hayek-Vorlesung hielt der Ökonom Viktor Vanberg, Vorsitzender des Freiburger Walter-Eucken-Instituts, zum Thema „Neurowissenschaft, Eigenverantwortung und Verfassung der Freiheit“. Ausgangspunkt war die Ansicht von Hirnforschern wie Wolf Singer, alle Entscheidungen eines Menschen seien neuronal determiniert, und demnach gebe es keinen freien Willen. Vanbergs Lesung drehte sich um die Frage „Können wir gleichzeitig neuronal determiniert und frei sein?“ Seine Antwort: Wir können. Es handelt sich um ein Scheinproblem. Das Gehirn ist ein System, das sich spontan organisiert. Es nutzt gespeichertes Erfahrungswissen. Menschen können dazu gebracht werden, anders zu handeln als neuronal ursprünglich festgelegt.

Vanberg wurde, wie auch der Ökonom Hernando de Soto Polar, mit der Hayek-Medaille geehrt. In seinem Vortrag sprach der Peruaner zum Thema „Die Krise, Wachstum und Privateigentum“. 1986 kam sein Buch über die Schattenwirtschaft Limas heraus („Marktwirtschaft von unten“). Die Aufgabe, eine informelle Wirtschaft in die formelle Wirtschaft zu überführen, wie unter seiner Mitwirkung in Peru geschehen, kam auch in seinem Vortrag zum Ausdruck. Daniel Bahr, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, plädierte für ein freiheitliches Gesundheitssystem: „Wir wollen es aufbauen, weil es die besseren Ergebnisse bringt“, so der FDP-Politiker. Ein interessantes Symposium über die Frage „Regulierung der Finanzmärkte – aber wie?“ mit den Wirtschaftsprofessoren Thorsten Polleit, Klaus-Werner Schatz und Joachim Starbatty sowie dem Risikospezialisten Karlheinz Walch und dem FDP-Abgeordneten Frank Schäffler schloß die Tagung ab.

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